23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.8.09 / Wunderbare Parodie / US-Politiksippe in der Kritik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-09 vom 29. August 2009

Wunderbare Parodie
US-Politiksippe in der Kritik

„Ich achte darauf, dass ich auf meinen Lesereisen nicht in stocksteifen Veranstaltungsorten strande. Meine Romane gehören in Punkrockclubs“, bekennt der ehemalige Frontsänger und Gitarrist der Punkrockband „The Mullets“ in einem Interview. Mit ihr tourte Joey Goebel Mitte der 1990er Jahre quer durch die USA, bevor er sich 2003 der Schriftstellerei widmete. Das 28-jährige Ausnahmetalent landete bereits mit seinem Bestseller „Vincent“, einer Persiflage auf die Massenkultur, und seinem Erstlingswerk „Freaks“, in dem fünf Außenseiter eine Band gründen, zwei Volltreffer. Nun meldet sich Goebel mit einer Politsatire auf der literarischen Bühne zurück.

„Heartland“ nimmt die Scheinheiligkeit der politischen Eliten und die kleinstädtische Borniertheit aufs Korn. Eugene Dewitt Mapother, genannt Blue Gene, ist  Flohmarktverkäufer im 50000-Seelen-Nest Bashford irgendwo im Herzen der USA. In einem ehemaligen Wal-Mart-Supermarkt bietet er die Schätze seiner Kindheit feil – Sammelfiguren aus den 80er Jahren. Was kaum jemand weiß: Der mürrische Typ mit der Vokuhila-Frisur, der in einem Wohnwagen lebt und Monstertruck- und Wrestlingshows liebt, ist der Sprössling einer steinreichen Unternehmerdynastie. Die Mapothers sind mit ihrem Tabakimperium der größte Arbeitgeber im Bezirk.

Jahrelang hatte Blue Gene keinen Kontakt zu seiner Familie, bis ihn seine Mutter Elizabeth eines Tages an seinem Verkaufsstand aufsucht. Sie bittet den abtrünnigen Sohn, seinem älteren Bruder John zu helfen, für den Kongress zu kandidieren. Die Mapothers haben jede Menge Dreck am Stecken. Blue Gene soll daher mit seiner Person im Wahlkampfteam für das Vertrauen der einfachen Leute werben. Als er die unkonventionelle Punkrocksängerin Jackie Stepchild kennenlernt, schlägt seine anfängliche Zustimmung um in eine Ablehnung der moralischen Heuchelei, habgierigen Interessen und Intrigen seiner Familie.

Doch damit nicht genug. Bald erfährt Blue Gene, dass sein nur zwölf Jahre älterer Bruder in Wirklichkeit sein Vater ist, seine damals ebenso alte Mutter bei der Geburt starb und das Kindermädchen in Wahrheit seine Großmutter ist. Der Ausgang dieser vertrackten Familiengeschichte und des tobenden Wahlkampfs sei an dieser Stelle nicht verraten. Der Leser darf sich jedoch auf eine sarkastische Anprangerung der US-amerikanischen Kultur-, Sozial- und Gesundheitspolitik freuen. Blue Genes und Jackies „Partei der Habenichtse“ und ihre Forderung eines Mindestlohns parodieren schließlich die sozialen Missstände der amerikanischen Unterschicht.

Trotz einiger Längen im letzten Drittel des Buches überzeugt Goebel mit seiner grandiosen Beobachtungsgabe, seinen gewollt ste-reotypen Figuren und der politischen Botschaft. Übersetzer Hans M. Herzog schafft es hervorragend, den flüssigen, humoristischen Stil ins Deutsche zu transportieren. Sophia E. Gerber

Joey Goebel: „Heartland“, Diogenes Verlag, Zürich 2009, geb., 714 Seiten, 22,90 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren