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29.8.09 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-09 vom 29. August 2009

Realität nervt / Warum man mit anderer Leute Geld glücklicher lebt, wieso Wirklichkeitsferne so befreiend wirkt, und warum Middelhoff wiederkommt
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Nächstes Jahr ist es soweit, der Bau des „Humboldt-Forums“ beginnt. Damit entsteht im Herzen Berlins sozusagen das alte Stadtschloss neu, wenn auch nur in seiner äußeren Gestalt. Bald 20 Jahre wurde darum gekämpft, weshalb der Berliner Senat es gar nicht abwarten kann.

Um die Zeit zu überbrücken, beschloss er, die Fläche bis zum Frühling 2010 in eine Liegewiese zu verwandeln. Kostenpunkt: 1,3 Millionen Euro. Leider verzögerte sich die Sache bis Anfang Juli, weshalb der Rasen nicht mehr gesät werden konnte. So wurde dann nobler Rollrasen ausgelegt. Für nochmal 100000 Euro.

Das Bedürfnis, sich öffentlich hinzulegen, muss bei den Berlinern und ihren Besuchern extrem ausgeprägt sein. Denn gleich neben der Neuwiese befinden sich die Rasenflächen des Schinkelplatzes und des Lustgartens. Und östlich gelangt man auf ein weiteres, riesiges Areal zum Hinlegen und Rumgammeln, bis zum Fernsehturm geht das.

Wie Berlin sich sowas leisten kann? Eine Liegewiese zum Preis von 1,4 Millionen für ein paar Wochen Restsommer genau dorthin, wo sie wirklich nicht mehr gebraucht wird? Berlin ist doch völlig pleite! Genau das ist es ja, was die Sache mit dem Geldausgeben so enorm erleichtert. Würde man je seine eigenen Kröten mit solch jugendlicher Frische verballern? Nie und nimmer. Berlin gibt das Geld anderer Länder aus, der Finanzausgleich macht’s möglich. Und niemand in Deutschland besäße jemals die soziale Kälte, dem rot-roten Senat das öffentlich vorzuwerfen. Wie alle andere Nehmerländer im Finanzausgleich firmiert Berlin nicht als Nassauer, sondern als „sozial benachteiligte Region“, was der Stadtregierung einen moralischen Anspruch auf das Geld anderer Länder verleiht.

Pleite sein macht glücklich und beflügelt die Phantasie, das kann man auch andernorts beobachten, wie in Hamburg beispielsweise. Die vornehmen Hanseaten zählten wie Hessen, Baden-Württemberger und Bayern zu den langjährigen Nettozahlern, bis sie mit ihrer Landesbank Totalschaden erlitten. Nun stehen sie kurz davor, sich in die Staffel der Kostgänger einzureihen. Wie reagieren sie? Ist es ihnen peinlich? Nicht die Bohne. Mit der Pleite vor Augen und der Krise im Genick explodiert die Ausgabenphantasie: Ein Straßenbahnsystem für 300 Millionen, eine teure wie überflüssige Umgestaltung der Schullandschaft – wer will nochmal, wer hat noch nicht?

Der soziale Föderalismus ist wunderbar: Jeder entscheidet, wie er will, bezahlen müssen das aber alle. Funktioniert längst auch auf europäischer Ebene. Griechenland leistet sich ein Korruptionssystem, in dem nicht nur alle Jahre wieder seine Wälder verbrennen. (Nach jeder Brandkatastrophe versprechen Athens Politiker hochheilig, endlich das Gesetz zu ändern, nach dem Spekulanten die eingeäscherten Flächen bebauen dürfen. Passiert ist das nie.) In den herrschenden Freundeskreisen des Landes verbrennen auch Jahr für Jahr Milliarden an EU-Subventionen.

So geht das nicht weiter, höre ich die Miesmacher meckern, wir müssten uns endlich der Realität stellen, sonst nehme das ein böses Ende. Ja? Aber warum denn? Ist nicht längst bewiesen, dass man fernab der Wirklichkeit ein viel glücklicheres Leben führt als zwischen den scharfen Klippen des Faktischen?

Gucken Sie sich Thomas Middelhoff an. Der lächelt derart breit, dass man meint, sein Gesicht sei fast zu klein, um dem Ausdruck seiner Dauerfreude hinreichend Raum zu geben. Zwei Tage vor dem Ende seiner Zeit als Arcandor-Manager (Karstadt, Quelle etc.) ließ er Ende Februar durchblicken, wie er das anstellt, immer so fröhlich zu sein.

In einem Schreiben an ausgewählte Führungskräfte des Unternehmens jubelte er: „Rückblickend steht fest, dass das Ziel, den Konzern zu retten und auf eine tragfähige Basis zu stellen, erreicht wurde.“ Kurz darauf zog Insolvenzverwalter Hubert Görg auf der „tragfähigen Basis“ ein und fand – nichts mehr! „In diesem Haus gibt es wirklich nichts, was nicht anderen Leuten gehört. Das habe ich in einem großen Unternehmen noch nie erlebt“, gab Görg dieser Tage entgeistert zu Protokoll.

Sprich: Es ist alles verfrühstückt worden, derweil Oberboss Middelhoff leicht wie eine Feder durch sein Wolkenkuckucksheim schwebte und Sprüche abließ, wie sie in den 90ern auf diesen „Tschacka“-Seminaren für eingebildete Führungskräfte angesagt waren. So lässt es sich leben, zumal, wie Görg in einem Anflug kalter Wut hervorknirschte, sich die Arcandor-Leitung selbst recht fürstlich belohnte. Middelhoffs Erfolgsrezept ist das gewisser Landespolitiker: Auch er hatte es nur mit dem Geld der anderen zu tun, und konnte im Februar mit einem Sack voller Moneten nach Hause gehen, kurz bevor sein Potemkinsches Dorf umkippte.

Wir werden jetzt wohl eine Weile nicht soviel von Thomas Middelhoff hören, er hat derzeit eine etwas durchwachsene Presse. Aber das geht vorüber, der kommt bestimmt wieder. Gehört er doch zu der kleinen Schar der gefeierten „Top-Manager“, auf die unser Land nie und nimmer verzichten kann, weshalb es in gewissen Branchen sogar „Bleibeprämien“ regnet.

Manchmal hat man den Eindruck, als gehörten diese Top-Leute alle zu einem Verein, bei dem man sich trifft und die Posten aufteilt. Aber ganz so simpel ist es in der deutschen Wirtschaft wohl ebenso wenig wie in der deutschen Politik. In der griechischen schon: Als Außenstehender könnte man glauben, dass manche der dortigen Würdenträger in ihren Ämtern 100 Jahre alt werden. Stimmt aber nicht: Der Posten blieb nur in der Familie. Der Onkel des jetzigen Premiers war auch schon Regierungschef (das erste Mal 1955, das letzte Mal 1980) und danach zweimal fünf Jahre Staatspräsident. Deshalb heißen die alle Karamanlis. In der anderen, der sozialistischen Partei läuft die Seilschaft zwar etwas familienübergreifender, aber nicht minder geschmiert. Mit dem Geld anderer Leute, auch anderer Länder. Es lebe das „soziale Europa“.

War das jetzt gehässig, gar antieuropäisch? In gewisser Hinsicht schon, denn letztlich ist es doch die Aufgabe einer verantwortungsbewussten, dem europäischen Gedanken Brüsseler Rezeptur verpflichteten Presse, die Menschen für Europa zu begeistern, statt die schönen Phrasen ins Feuer von Attika zu schleudern.

Der Zusammenhang zwischen guter Gesinnung und schlechter Kenntnis der Wirklichkeit ist nämlich weltweit belegt, wie eben eine wunderschöne Fernsehreportage aus dem fernen Südafrika bestätigt hat. Es ging um einige Hundert junge Menschen, die alljährlich in einem malerischen Tal bei Kapstadt zelten und zu dröhnender Techno-Musik tage- und nächtelang tanzen. Sie tun das für den Weltfrieden, wie eine begeisterte Frau Mitte 20 den deutschen Reportern ins Gesicht schwärmt.

Alle seien hier einer Meinung, was die Freundschaft und den Frieden zwischen den Rassen der südafrikanischen Regenbogennation angehe, die ja nur noch zu neun Prozent aus Weißen besteht. Sie kämpften hier für Toleranz und dafür, dass Schwarze und Weiße freundschaftlich zusammenleben und zusammen feiern und tanzen und lachen. Und sie sei auch ganz sicher, dass dieses alljährliche Festival für den Frieden und die Versöhnung der Völker und Hautfarben Großes bewirke. Die anderen jungen Leute pflichten ihr begeistert bei.

So schwenkt die Kamera nach links und nach rechts, man sieht mal ein paar Dutzend Gesichter, mal in der Totale fast das gesamte kleine Festival mit den glück­lichen Weltverbesserern, die sich für die Verständigung der Rassen müdetanzen. Nur eines sieht man auf keinem einzigen der Kamera-Schwenks: einen Schwarzen. Nicht mal einen sogenannten „Mischling“. Man wollte sich seinen Weltfrieden wohl nicht von einer Ladung „Town­ship“-Realität versauen lassen.


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