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05.09.09 / Russki-Deutsch (33): Nitschewo

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-09 vom 05. September 2009

Russki-Deutsch (33):
Nitschewo
von Wolf Oschlies

Nitschewo“ ist der Genitiv des russischen Pronomens „niitschto“ (nichts). „Nitschewo“ kann zum einen als Adverb verwendet werden und bedeutet dann „ganz gut, leidlich, einigermaßen“: „Kormjat tam nitschewo“ (Das Essen ist dort brauchbar). Zum anderen taucht es als Prädikat auf und steht für „ist egal, macht nichts, stört nicht“. Gerade in dieser Verwendung symbolisiert es den fatalistischen Gleichmut der Russen: „Dengi vse vyschli, a emu nitschewo“ (Das ganze Geld ist weg, aber ihm ist das egal).

1923 kam in Wien der Schlager „Nitschewo“ heraus, getextet von Béla Jenbach, dem berühmten Librettisten von Lehár, Kálmán und anderen Operettengrößen. In diesem Liedchen wurde russisches „Nitschewo“-Lebensgefühl gut getroffen: „Des Russen schönste Eigenschaft / Die ihm erhält die Lebenskraft / Bleibt, dass er so phlegmatisch ist / im Ganzen durch und durch apathisch ist. / Väterchen, ob jetzt so oder so / Sagt man kurz: To Nitschewo / Schließlich ist jeder fürchterlich blöd / Dem zu Herzen was geht.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchte das Wort auch in Buchtiteln auf, 1964 z. B. bei Hans-Georg Kemnitzers Sibirienroman „Nitschewo – Über Dornen Sibiriens zur Freiheit“. So eine Titelgebung kann auch ins Auge gehen. 2001 drehte Stefan Sarazin den Film „Nitschewo“, eine melancholische Story aus der tiefsten ostdeutschen Provinz – der missglückte Versuch, dem deutschen Osten eine „russische“ Lebensphilosophie aus Todessehnsucht und Untergangsbereitschaft überzustülpen. „Nitschweo, es gibt andere Filme, die man anschauen kann“, lästerte ein Kritiker.

Die Nitschewo-Kultur der DDR stand und fiel mit der Tatsache, dass dank des erbarmungswürdigen Russischunterricht dort kaum jemand Russisch konnte. Es sei denn, man wollte dem eigenen Staat am Zeuge flicken. Das in der DDR so eifrig verfolgte „Weltniveau“ für Produkte der eigenen Wirtschaft wurde bei den Menschen zum entlarvenden „Weltnitschewo“. Das änderte sich nach 1985, dem Machtantritt Gorbatschows. Jetzt bedauerten die Menschen, dass sie kein Russisch konnten, trösteten sich aber mit witzigen Chansons: „Nitschewo, lernt nur Perestojka und Glasnost richtig auszusprechen!“


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