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05.09.09 / Travestie im Sportstadion / Der Kinofilm »Berlin ’36« erzählt die Geschichte der Hochspringerin Gretel Bergmann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-09 vom 05. September 2009

Travestie im Sportstadion
Der Kinofilm »Berlin ’36« erzählt die Geschichte der Hochspringerin Gretel Bergmann

Die Welt des Sports rätselt, ob die in Berlin bei der Weltmeisterschaft so erfolgreiche Leichtathletin Caster Semenya in Wirklichkeit ein Mann ist. Doch so ein Fall ist nicht neu. Bereits 1936 trat in Berlin bei den olympischen Meisterschaften ein Mann als Frau an.

Manche Filmhandlungen klingen derart hanebüchen, dass sie nur einem kranken Hirn entsprungen sein können. Dies vermutet man auch, wenn man die Geschichte liest, die in dem ab dem 10. September in deutschen Kinos laufenden Spielfilm „Berlin ’36“ erzählt wird: Nationalsozialisten schleusen einen als Frau verkleideten Mann in die Frauenmannschaft, um den Sieg einer Jüdin zu verhindern.

Doch was absolut unglaublich klingt, entspricht der Wahrheit. Im Internet sind Fotos zu sehen, die unter anderem aus Leni Riefenstahls Olympia-Film stammen, auf denen Dora Ratjen alias Horst Ratjen zu sehen ist. Aus heutiger Sicht erkennt man eindeutig einen Mann mit mittellangem Haar, doch offenbar zweifelte damals niemand offiziell an „Doras“ Weiblichkeit: Männer in Frauenkleidern waren einfach undenkbar.

Kurz vor Beginn der olympischen Spiele in Berlin forderten die USA das von Nationalsozialisten regierte Deutschland auf, Juden die Teilnahme an den Spielen zu gestatten. Würden diese nicht zugelassen, so drohte Wa-shington, würden die USA an den Wettkämpfen nicht teilnehmen. Da Olympia für das Hitler-Regime zu einer vollkommenen Prestige-Veranstaltung werden sollte, durften die Amerikaner natürlich nicht fehlen. Also sah man sich gezwungen, die  Jüdin Gretel Bergmann und einige weitere Juden an dem Vorbereitungslager teilnehmen zu lassen. Die 22-jährige Hochspringerin Bergmann war, nachdem man ihr aufgrund ihrer jüdischen Herkunft jegliche Vereinsmitgliedschaft in Deutschland verboten hatte, nach England gezogen. Dort hatte sie gerade die britischen Meisterschaften gewonnen. Ihrer noch in Deutschland lebenden Familie zuliebe fügte sie sich dem Druck aus Berlin und nahm an den Trainingseinheiten teil. Drei Sportlerinnen durfte Deutschland in der Sparte Hochsprung der Frauen entsenden. Vier gingen ins Trainingslager.

Karoline Herfurth, eine der vielversprechendsten Jungschauspielerinnen („Das Parfum“) Deutschlands, spielt in dem aktuellen Kinofilm die Rolle der Jüdin Gretel. Voller Selbstbewusstsein und stolz ist die von ihr dargestellte Sportlerin, die sich trotz Häme ihrer Konkurrentinnen nicht unterkriegen lässt. Allerdings erzählt der Film nicht eins zu eins die wahre Geschichte, denn in Wirklichkeit freundeten sich Gretel und Dora, die im Film Marie heißt, nicht so eng an, während sie zusammen trainierten und ein Zimmer teilten. Doch hier nimmt sich Regisseur Kaspar Heidelbach die künstlerische Freiheit heraus, zumal der Film durch die Freundschaft der beiden mehr zu Herzen geht, ohne jedoch kitschig zu sein. Auch war Gretel, die trotz erfolgreichem Training von der Olympiateilnahme ausgeschlossen wurde, nicht im Olympiastadion, als Dora sprang – und vierte wurde (nach einer Ungarin, einer Britin und ihrer deutschen Teamkollegin Elfriede Rahn).

Sebastian Urzendowsky, der im Film die Marie spielt, sieht weiblicher aus als das reale Vorbild. Zusammen mit Karoline Herfurth übten beide den Hochsprung in der überholten Schersprungtechnik, damit der Film authentischer wird. Beide sahen Leni Riefenstahls Filmaufnahmen und lasen Aufzeichnungen aus der Zeit. Karoline Herfurth fand es äußerst reizvoll, eine Figur zu spielen, die noch lebt. „Was Gretel Bergmann zu meiner Darstellung sagt, ob sie zufrieden ist, und dieser Beschreibung zustimmen kann, ob sie sich selbst wiedererkennen kann – das ist mir das wichtigste Anliegen bei dieser Arbeit und ich bin sehr aufgeregt, was sie sagen wird“, so Herfurth im Interview. Die inzwischen 95-jährige Bergmann lebt heute in New York. Bereits 1937 wanderte die Schwäbin in die USA aus, holte ihren Verlobten und ihre Familie nach. 1937 und 1938 siegte sie bei den US-Meisterschaften. Einer ihrer beiden Söhne, der Filmproduzent in Kalifornien ist, wollte bereits ihre Geschichte verfilmen, doch sie meinte, wenn jemand den Stoff verfilmte, dann jemand in Deutschland.

Als der Regisseur Kaspar Heidelbach Gretel Bergmann in den USA besuchte, machte sie aus ihrer Neugier auf den fertigen Film keinerlei Hehl. Auch betonte sie, Verständnis für die Lage von Dora/Horst zu haben. Diese wurde bereits von ihrer Mutter in Mädchenkleider gesteckt und dann von den Nazis gezwungen, als Frau bei den olympischen Spielen teilzunehmen.

Erst 1938 wurde Dora Ratjen als Mann überführt. Nachdem sie nach ihrem Sieg bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Wien von einem Polizeiarzt untersucht worden war, entdeckte dieser die geschickt verborgenen männlichen Genitalien. In aller Stille wurde Ratjen der Sieg aberkannt und er erhielt offiziell eine männliche Identität. Nach Kriegs-ende arbeitete er als Barmann in Hamburg. 1957 behauptete er, dass er vom Bund Deutscher Mädel zu dieser Travestie gezwungen worden sei, um die Medaillenchancen Deutschlands bei den Olympischen Spielen zu verbessern. 2008 starb er.            R. Bellano

Fotos: In Olympia gestartet: Dora Ratjen alias Horst Ratjen. Spielen deutsche Sportgeschichte nach: Sebastian Urzendowsky und Karoline Herfurth übten den Hochsprung, um im Film authentisch zu wirken.   Bild: x-Verleih


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