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12.09.09 / Manipulation Tür und Tor geöffnet / Neuroökonomen können sichtbar machen, wie welche Hirnregionen bei Kaufentscheidungen reagieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-09 vom 12. September 2009

Manipulation Tür und Tor geöffnet
Neuroökonomen können sichtbar machen, wie welche Hirnregionen bei Kaufentscheidungen reagieren

Welche Hirnregion steuert die Gier, welche die Wohltätigkeit? Mit solchen Fragen befasst sich die noch junge Wissenschaft der Neuroökonomie. Sie spürt mit medizinischer Elektronik den Gedankenströmen des Menschen nach und will herausfinden, welche Gefühle oder Gene die Menschen zu bestimmten Entscheidungen bewegen.

Schon lange setzt die Werbung schöne Frauen oder Bilder einer heilen Welt ein, um Produkte zu verkaufen. Warum die Rama-Margarine für ein glückliches und heiles Familienleben stehen soll, weiß keiner so recht. Aber die Sehnsucht des Menschen nach Glück und Frieden im Privatleben stimuliert die Kaufentscheidungen im Supermarkt. Und ohne die Bilder von Models wäre der Verkauf von sündhaft teuren Parfüms undenkbar. Genau diesen Zusammenhängen versuchen die Neurobiologen und Neuroökonomen genauer auf die Spur zu kommen.

Mit Hilfe von Experimenten, die erst durch die medizinische Computer-Technik der beiden letzten Jahrzehnte möglich geworden sind, erforschen die Wissenschaftler, was genau im Kopf vorgeht, wenn Menschen beispielsweise finanzielle Entscheidungen treffen. Eines der Ergebnisse: Junge Männer, denen erotische Bilder gezeigt wurden, neigen eher zu riskanten Finanzgeschäften. Bei Bildern mit bedrohlichen oder neutralen Motiven verschieben sie die Entscheidungen. Das deckt sich mit den Erfahrungen in der jüngsten Börsenkrise, wo die Bankanalysten Anfang dieses Jahres keine Kaufempfehlungen für Aktien abgaben, obwohl die Preise günstig waren. Jetzt, nach dem Verblassen der bedrohlichen Bilder einer Weltwirtschaftskrise und einem der steilsten Kursanstiege der letzten Jahrzehnte, werden die Herren Finanzmanager wieder mutiger mit ihren Anlageempfehlungen.

Die Leiterin dieser Studie, die Finanzwissenschaftlerin Camelia Kuhnen von der Northwestern University im US-Staat Illinois, erklärt den Zusammenhang zwischen der Stimulation durch schöne Frauen und finanzielle Risikobereitschaft: „Sie regen den gleichen Bereich im Gehirn an.“ Dabei spiele der „nucleus accumbens“ (nahe dem basalen Vorderhirn) eine entscheidende Rolle dabei, was ein Mensch als Freude und Genuss empfindet. Die Untersuchung Kuhnens, die sie gemeinsam mit dem Psychologen Brian Knutson von der Universität Stanford durchführte, erschien in der Fachzeitschrift „NeuroReport“.

Die Neuroökonomie ist eine relativ junge Wissenschaft und existiert erst seit etwa 1990. Vor allem Studenten können die Forscher für die Versuche unter dem Computer-Tomographen (CT) oder dem funktionalen Magnetresonanztomographen (fMRT) als Probanden gewinnen. Solche Apparate stehen in den USA an fast alle großen Universitäten, darunter Harvard, Princeton und Stanford. Am California Institute for Technology (Caltech) in Pasadena und in New York arbeiten die größten Einrichtungen an neuroökonomischen Forschungen. In Deutschland werden neurobiologische Versuche beispielsweise an der Uni Köln durchgeführt.

Dabei müssen die Versuchspersonen, wie ein Kölner Student dieser Zeitung schilderte, still liegen und dürfen ihren Kopf keinen Millimeter bewegen. So kann schon eine Dreiviertelstunde sehr anstrengend werden, auch wenn die Entlohnung relativ hoch ist. Während die Versuchsperson in der Röhre liegt, muss sie sich extrem konzentrieren, denn sie blickt auf einen Bildschirm, auf dem alle paar Sekunden eine neue Frage aufblinkt. Eine lautet: „Würden Sie 15 Euro spenden, damit der Erdkunde-Unterricht in einer Schulklasse mit 30 Euro an Lehrgeldern gefördert wird?“ Eine andere: „Würden Sie fünf Euro spenden, damit der Kunstunterricht in einer Klasse mit 25 Euro gefördert wird?“ Innerhalb von zweieinhalb Sekunden muss die Versuchsperson sich zwischen zwei Knöpfen, „ja“ oder „nein“, entscheiden. Der CT oder fMRT misst dann, was dabei im Gehirn vorgeht.

Die Forscher rund um Paul Glimscher vom neurobiologischen Institut der New York University sind wie elektrisiert von möglichen Ergebnissen. Gelänge es, den Gehirnvorgängen für eine vermeintlich irrationale Kaufentscheidung auf die Spur zu kommen, so hätte die Ökonomie eine neue Grundlage gefunden. Seit Adam Smith (1723−1790) die Wirtschaftswissenschaften begründete, basiert die Ökonomie auf Beobachtungen, Berechnungen und Hypothesen. Die Neuroökonomie könnte die Fakten-Basis verbessern und so die Entscheidungen von Unternehmenslenkern, Politikern oder Kunden verbessern.

Auch für die Wohltätigkeit der Menschen sollen neurobiologische Forschungen von Nutzen sein. Wenn es den Wissenschaftlern mit solchen Versuchsreihen gelänge, sogar die Hirnregion für die Wohltätigkeit zu lokalisieren und zu vermessen, dann wüsste man, ob ein Mensch eine hohe Spendenbereitschaft hätte, hofft Glimcher.

Während die Anhänger des Neuromarketings bereits von ungebremsten Erfolgen träumen, werden die ersten kritischen Stimmen laut und warnen vor Rattenfängerei und verlangen ethische Richtlinien, um einer „Schleichwerbung“ in neuem Gewand Herr zu werden. So gehen unter Wirtschaftswissenschaftlern die Meinungen weit auseinander, wie zukunftsfähig diese neue Forschungsrichtung ist. Skeptisch sind vor allem die Anhänger der Spieltheorie, die ebenfalls versuchen, das wirtschaftliche Verhalten der Menschen zu erklären – allerdings nicht durch Gehirnstrommessungen, sondern durch Befragungen und Tests.

Der Kölner Spieltheoretiker Axel Ockenfels etwa meint, die Neuroökonomie sei derzeit noch auf einem derart „rudimentären Niveau“, dass es „extrem schwierig“ sei, aus ihren Ergebnissen konkrete Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die Neuroökonomen geben zurück, dass neue Forschungsrichtungen nie auf Anhieb bahnbrechende Ergebnisse hervor gebracht hätten. „Insofern verstehe ich die Kritik nicht“, sagt der Forscher Bernd Weber. „Es ist doch schließlich die Aufgabe der Wissenschaft, neue Forschungsfelder zu entwickeln. Auch wenn sie nicht sofort große Ergebnisse bringt.“ Hinrich E. Bues

Foto: Was passiert im Kopf: Moderne Technik zeigt Hirnaktvität auch bei Kaufentscheidungen.            Bild: pa


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