20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.09.09 / Kulturwiege Europas in der Krise / Italiens Regierung spart den Kulturbetrieb zu Tode – Mauern von Kirchen und Palästen beginnen zu bröckeln

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-09 vom 12. September 2009

Kulturwiege Europas in der Krise
Italiens Regierung spart den Kulturbetrieb zu Tode – Mauern von Kirchen und Palästen beginnen zu bröckeln

Vor 20 Jahren drehte Giuseppe Tornatore eine Hommage an das Kino als Erlebnisort und Hort der Träume. „Cinema Paradiso“ erzählt die Geschichte eines sizilianischen Dorfes und seines Kinos von den 1940er Jahren bis heute. Mit dem autobiographischen Epos „Baaria“ des Oscar-Preisträgers über drei Generationen auf Sizilien eröffnete nach zwei Jahrzehnten wieder ein italienischer Beitrag die Filmfestspiele von Venedig. Das weltälteste Filmfestival fand auf dem Lido, der goldenen Insel Venedigs, vom 2. bis zum 12. September statt. Zur Zeit trüben jedoch demonstrierende Regisseure und Schauspieler den nostalgischen Glanz der Traumfabrik Kino. Sie werfen der rechtskonservativen Regierung Berlusconi vor, den italienischen Film zu Tode zu sparen. Diese hatte im letzten Augenblick einen versprochenen zusätzlichen Etat von 200 Millionen Euro aus Spargründen zurückgezogen.

Starregisseur Carlo Verdone warnt vor dem Vormarsch des massenkompatiblen Popcorn-Kinos zulasten kleinerer Programmkinos: „Nur Kinos mit mehreren Sälen überleben, alle anderen müssen schließen.“ In dieselbe Richtung geht das Vorhaben Kulturministers Sandro Bondis, alle zum Kino gehörigen Institutionen unter einem Dach zusammenzufassen. Die einheitliche Filmagentur soll die bisherige Förderung rationalisieren und nach Bondi „pseudointellektuellen Nischenproduktionen“ einen Riegel vorschieben.

Der Qualitätsverlust auf der großen Leinwand hat längst in die italienischen Wohnzimmer Einzug gehalten. Auf den heimischen Bildschirmen flimmern die Reality-Shows Maria De Filippis „Freunde“ und „Männer und Frauen“ sowie kitschige Seifenopern wie „Ein Platz an der Sonne“. Durch das Nachmittagsprogramm des berlusconischen Fernsehimperiums hüpfen halbnackte Showgirls. Anspruchsvolle Filme bekommt der Zuschauer nur selten oder erst am späten Abend zu sehen.

Nicht nur die Filmbranche, sondern der gesamte Kulturbetrieb wie Theater, Opern, Konzerthäuser und Galerien erleben gegenwärtig finanzielle Einschnitte in Millionenhöhe. Bei der diesjährigen Biennale in Venedig, auf der Künstler aus aller Herren Ländern mit ihren nationalen Pavillons vertreten sind, fielen die sonst aufwändigeren Installationen bescheidener aus – ebenso die Galafeiern. Der Staat ist pleite und die Wirtschaftskrise lässt auch die privaten Sponsoren und Spender den Gürtel enger schnallen. Unternehmen zeigen sich wählerischer und fordernder in der Bereitstellung von Drittmitteln.

Selbst Denkmälern und Museen geht es an den Kragen. Die Mauern von Kirchen und historischen Palästen der einstigen Kulturwiege Europas bröckeln vor sich hin. Der ehemalige Kulturbeauftragte der Sozialdemokraten Francesco Siciliano gab angesichts des Stadtverfalls Pompejis zu Bedenken: „In jedem anderen Land wäre deshalb der kulturelle Ausnahmezustand ausgerufen worden. Auch von den Medien. In Italien wird das leider alles sehr heruntergespielt.“ Nicht einmal drei Prozent des Haushalts gibt die Regierung für Denkmalpflege aus und dem Ministerium für Kulturgüter wurde für die nächsten zwei Jahre das Budget um weitere 500 Millionen gekürzt. „Die finanziellen Mittel für Kulturgüter und Museen haben so nachgelassen wie das politische Interesse an Kultur“, beklagt der bekannte Denkmalschützer und Kunsthistoriker Salvatore Settis.

Statt auf die aufwändige Restaurierung setzt Rom lieber auf die Auslagerung in private Hände. Veronas Bürgermeister hat drei Museen und einen ehemaligen Konvent zur Versteigerung ausgeschrieben, um ein neues Parkhaus für Messebesucher zu bauen. Sizilien plant, den weltberühmten Tempel von Agrigento für die nächsten 30 Jahre privat zu verpachten. Leonardo da Vincis Wandgemälde „Das Abendmahl“ retteten ausschließlich private Sponsoren vor dem sicheren Verfall, weil das Ministerium kein Geld hatte. Durch das Land der großen Dichter, Maler, Komponisten und Architekten geht angesichts dieser Entwicklung ein Aufschrei. Gottfried Wagner, Urenkel des Komponisten Richard Wagner, der seit langem in Italien lebt, blickt angstvoll in die Zukunft: „Wo kommen wir denn hin, wenn die Kultur nur noch zur politischen Prostitution missbraucht wird?“ Sophia E. Gerber


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren