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12.09.09 / Urkomische Wortgefechte / Wirr bis tiefgründig: »Zwiegespräche mit Gott« eines ungläubigen »Ossis«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-09 vom 12. September 2009

Urkomische Wortgefechte
Wirr bis tiefgründig: »Zwiegespräche mit Gott« eines ungläubigen »Ossis«

Ausgerechnet im Regal für Esoterik und Anthroposophie einer Berliner Großbuchhandlung stand vor zwei Jahren das unscheinbare Büchlein „Zwiegespräche mit Gott“. Mit Übersinnlichem hat der Autor Arne Seidel alias „Ahne“, Jahrgang 1968, allerdings wenig am Hut. Der gelernte Offset-Drucker war nach der Wende arbeitslos. Neben Jakob Hein und Wladimir Kaminer begann er 1995, seine Alltagsprosa bei der Reformbühne Heim & Welt zu präsentieren. „Lesebühnen erden einen“, erklärt der ehemalige Hausbesetzer, denn nur dort erfahre man so schnelle und ehrliche Reaktionen auf seine Texte.

Trotz des Erfolgs ist der gebürtige Berliner und Vater von drei Kindern bodenständig geblieben – genau wie sein Gesprächspartner Gott. In der Fortsetzung „Neue Zwiegespräche mit Gott“ wohnt Gott nebenan im Prenzlauer Berg und berlinert. Wie normale Menschen schlägt er sich mit Straßenlärm, GEZ-Gebühren und nervigen Nachbarn herum. Mit so einem Gott ist doch besser Kirschen essen als mit dem aus der Sicht das Autors unpersönlichen Ideal aus der Bibel. Nahtlos leiten die beiden Nachbarn von belanglosen Dingen zu großen Fragen unserer Zeit über. Bankenkrise, Niedriglöhne, Hartz IV, Präsidentschaftswahl in den USA, Klimawandel, Aids, Abtreibung, Nahostkonflikt, die Neue von Boris Becker – kein Thema wird ausgespart. Hinter den losen Sprüchen frei Berliner Schnauze verbergen sich häufig tiefgründige Beobachtungen und Kritik. Ungewöhnlich ist zudem das Format, bei dem sich der Autor über alle Regeln hinwegsetzt: Die Zwiegespräche sind unterschiedlich lang und haben bis auf die ähnlichen Anfangs- und Schlussfloskeln keine feste Struktur. Seine Wortwitze erlöschen oft ohne Pointe und bewusst wirr.

In einem Interview bekennt Ahne, wie in den neuen Ländern üblich, ohne Religion aufgewachsen zu sein. Den Rückgriff auf Gott begründet er mit einem Augenzwinkern: „Ich hatte einfach nur die Idee, eine höhere Ebene mit in das Zwiegespräch hineinzunehmen, und Gott ist ja immer noch relativ wichtig in der Welt.“ Daher finde er es amüsant, wenn ihn Leser fragen, ob er selbst an Gott glaube. Obwohl er demnächst in einer Missionsbuchhandlung lesen wird, lehnt er Anfragen von Kirchen und Moscheen ab.

Die knappen Wortgefechte zwischen Ahnes Alter Ego und Kumpel Gott sind urkomisch. Wer Schwierigkeiten hat, sich in den Berliner Dialekt einzulesen, dem sei die Audio-CD empfohlen. Es handelt sich um Mitschnitte der gleichnamigen Radio-Eins-Kolumne, in der der Autor selbst beide Rollen liest.    Sophia E. Gerber

Ahne: „Neue Zwiegespräche mit Gott“, Voland & Quais Dresden, Buch mit MP3-CD, Spielzeit 160 Minuten, 14,90 Euro.


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