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19.09.09 / Gefährliche Flucht in (k)ein gelobtes Land / An der Grenze zwischen Mexiko und den USA spielen sich Dramen ohnegleichen ab – Drogenhändler und Kopfjäger warten auf Beute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-09 vom 19. September 2009

Gefährliche Flucht in (k)ein gelobtes Land
An der Grenze zwischen Mexiko und den USA spielen sich Dramen ohnegleichen ab – Drogenhändler und Kopfjäger warten auf Beute

Es ist „High Noon“, „zwölf Uhr mittags“ in La Sierrita, einem oasenähnlichen Flecken in der mexikanischen Wüste, kurz vor der Grenze nach Arizona, letzte Station auf dem verbotenen Weg ins Gelobte Land Amerika. Und wie in dem Film-Klassiker mit Grace Kelly und Gary Cooper liegt eine gefährliche Spannung über der brütenden Hitze.

Im dürftigen Schatten von Mesquito-Bäumen liegen zwei ganz unterschiedliche Gruppen seltsamer Gestalten: die einen in durchschwitzten alten Hemden und ausgeleierten Jeans, die anderen von Kopf bis Fuß in Schwarz, einige gar mit Skimasken. Die ersteren sind illegale Einwanderer und ihre Führer über die Grenze, die Schwarzen, sind die „Burreros“, Angehörige der mexikanischen Drogen-Kartelle. Früher streng getrennt, vermischen sich heute beide Gruppen, spielen Karten miteinander und warten darauf, dass die ersehnte Nacht hereinbricht. Dann machen sie sich alle auf den 40-minütigen Weg durch die Wüste, um auf Schleichwegen sich selbst oder ihre Ware in die USA zu schaffen. In der Hoffnung, unentdeckt von patrollierenden und in Wachtürmen lauernden US-Grenzkontroll-Agenten das Ziel zu erreichen.

„Hier spielen sie noch Karten miteinander“, sagt Angel de Jesus Pereda, lokaler Vertreter der Immigrations-Agentur „Grupo Beta“ dem Journalisten Sacha Feinman, der die Situation hier für das amerikanische „Pulitzer Center on Crisis“ recherchiert hat. „Doch wenn die Auswanderer sich nachts auf den Weg machen, werden sie oftmals von den Burreros ausgeraubt.“ Das war früher nicht der Fall, als jede Gruppe sich noch um sich selbst kümmerte. Doch die schon in der Bush-Ära begonnenen verschärften Maßnahmen, die Grenze gegen illegale Einwanderung zu schützen, haben zu einer veränderten Situation geführt. Keiner will von der US-Immigrations-Behörde geschnappt werden und in den (zur Zeit mit 33000 Häftlingen) überfüllten Camps und Gefängnissen für illegale Einwanderer landen, in denen die Bedingungen so schlimm sind, dass sie zu 90 Todesfällen in den vergangenen Jahren geführt haben. Die Drogenkartelle, deren Geschäft seither stark zurückgegangen ist, haben sich nun auch der menschlichen Fracht bemächtigt. Sie beherrschen alles hier. Damit haben sich Risiko und Gefahren für einen geplanten heimlichen Grenzübertritt drastisch erhöht.

Erste Station des illegalen Auswanderers ist für diesen Abschnitt der 10000-Seelen-Ort Altar, zwei qualvolle Autostunden über holperige verstaubte Wüstenstrassen von La Sierrita entfernt. Dieser Ort erlebte vor über zehn Jahren einen kolossalen Aufschwung durch den Menschen-Schmuggel. Bis zu einer halben Million illegaler Auswanderer im Jahr wurden normalerweise durch den Wüstenflecken geschleust, die Wirtschaft boomte. Die lange Hauptstraße ist gesäumt von Dutzenden kleiner Läden mit Ausrüstung für das Wüsten- und Grenzübertritt-Abenteuer: Rucksäcke, Werkzeuge, Getränke, Dosennahrung, Decken. In den Läden warten sogenannte „Kopfjäger“ auf ihre Beute. Fahrer mit kleinen Lastwagen, die das Gelände um die Grenze kennen wie ihre Westentasche und den „sicheren Grenzübertritt“ anbieten. Der kostet zirka 1200 US-Dollar. Geld, das über Jahre gespart oder von der Familie gesammelt wurde. Nach offiziellen amerikanischen Angaben sind seit den strengen Kontrollen ein Drittel weniger Verhaftungen erfolgt und die Gesamtzahl der illegalen Einwanderer um rund 25 Prozent zurückgegangen. Die Kehrseite aber ist, dass die Einbußen auch die Drogenkartelle treffen und diese sich ihr Geld nun durch die Ärmsten der Armen sichern. Die Lastwagen, die auf dem kleinen Marktplatz ihre Kunden einladen, fassen bis zu 30 Personen. Jeder Fahrer muss die genaue Anzahl den Vertretern der Drogen-Kartelle melden und für jeden Kopf 1500 Pesos (rund 120 US-Dollar) zahlen. Die Laster werden unterwegs gründlich kontrolliert. „Wenn das Geld nicht stimmt“, sagt Marcos Buruel, der eine Art freie kirchliche Herberge für Auswanderer in Altar leitet, laden sie mitten in der Wüste die Leute aus und verbrennen den Wagen. „Oft erschießen sie den Fahrer, und die Menschen stehen hilflos da – meist werden sie auch noch ausgeraubt.“

Der Zielort der Wagen der Kopfjäger von Altar ist das winzige Grenzstädtchen Sasabe, wo La Sierrita beginnt. Dort steigen, wenn bisher alles gutgegangen ist, alle aus und warten auf die Nacht. Dann beginnt die Wanderung durch das letzte Stück Mexiko, das eigentliche Abenteuer. Und wer nicht in der Wüste verlassen und ausgeraubt wurde, wer nicht verdurstet und vor Erschöpfung zusammengebrochen ist, wer nicht, nach all diesen unglaublichen Strapazen, von den Jagdhunden der Grenzbeamten geschnappt und verhaftet wurde, der hat es geschafft. Er ist in den USA, doch das ist spätestens seit der Wirtschaftskrise auch kein gelobtes Land mehr. Die hohe Arbeitslosigkeit und Kriminalität ermöglichen den Illegalen kaum noch den ersehnten sozialen Aufstieg. Liselotte Millauer


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