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26.09.09 / Gefühlte Sieger, echte Verlierer / Nach »Aus« für Raketenabwehrsystem: Nachdenken in Polen über »spezielle« Verbindungen mit den USA

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-09 vom 26. September 2009

Gefühlte Sieger, echte Verlierer
Nach »Aus« für Raketenabwehrsystem: Nachdenken in Polen über »spezielle« Verbindungen mit den USA

Nach entsprechenden Andeutungen ist die Entscheidung von US-Präsident Obama, auf landgestützte Raketenabwehrsysteme in Osteuropa zu verzichten, keine große Überraschung. Überraschend ist der Zeitpunkt und die Tatsache, dass für diesen Verzicht keine Gegenleistung in Sicht ist.

Ebenso überraschend ist auch die Begründung, dass iranische Langstreckenraketen in den nächsten Jahren nicht zur Verfügung stehen würden, die Amerika bedrohten. Diese Bewertung steht im Gegensatz zu früheren „harten“ Erkenntnissen. Haben die amerikanischen Geheimdienste – einmal mehr – Ergebnisse geliefert, die in das Kalkül passen? Erstaunlich ist, dass Obama den Bau der Abwehrsysteme gegen Langstreckenraketen auf US-amerikanischem Territorium ungebrochen fortsetzt.

Barack Obama steht unter ungeheurem innenpolitischen Druck – Stichworte: sinkende Umfragewerte, Wirtschafts- und Finanzkrise, Afghanistan und Guantánamo. Daher liegt die Vermutung nahe, dass er politischen Ballast abwerfen wollte, um neu Fahrt aufnehmen zu können. Die Entscheidung, auf seegestützte Abwehrsysteme umzusteigen, die allerdings erst in den nächsten Jahren in ausreichender Qualität und Quantität zur Verfügung stehen werden, ließe sich vertreten, wenn sie Teil eines Paketes gewesen wäre, das mit Verhandlungspartnern – wie beispielsweise Russland – geschnürt worden wäre.

Welche geopolitischen und geostrategischen Auswirkungen zeichnen sich ab? Falls die Entscheidung Barack Obamas als Zeichen einer Schwäche ausgelegt wird, können die sicherheitspolitischen Folgen sehr nachhaltig werden. Die erste Adresse der Entscheidung ist Russland. Eine erhoffte Gegenleistung hat der russische Außenminister Lawrow bereits explizit ausgeschlossen, wiewohl die angekündigte Stationierung neuer Raketen im Königsberger Gebiet jetzt offenbar unterbleibt. Er sieht Russland nicht im Zugzwang. Es ist daher sehr fraglich, ob Russland in Sachen Iran den USA zur Hilfe eilt – entweder bei härteren Sanktionen oder durch geheimes Einwirken auf Teheran. Auch wenn die Entwick­lung im Iran Russland nicht gleichgültig sein kann, überwiegt doch der Vorteil, die USA in einer schwierigen Lage zu belassen. Die amerikanisch-russischen Abrüstungsverhandlungen im Bereich der strategischen Nuklearwaffen werden durch die Entscheidung nicht gefördert, da beide Seiten ein gleiches Interesse haben, diese Arsenale zu reduzieren. Russland, das immer die Augenhöhe mit den USA anstrebt, sieht sich also in einer komfortablen Lage.

Wie sind die Auswirkungen auf Israel? Für Israel wird es entscheidend werden, ob Barack Obama wegen seiner Probleme gegenüber Israel eine harte Gangart einschlagen wird oder auf eine schärfere Konfrontation verzichten muss. Letzteres würde Israel zu einer harten Haltung in der Frage des Siedlungsbaus führen. Seegestützte US-amerikanische Abwehrsysteme im Mittelmeer könnten in Israel als positiv für die eigene Sicherheit bewertet werden.

Wie könnte die Beurteilung in Teheran ausschauen? Ist die Entscheidung eine Morgengabe für die bilateralen Gespräche zwischen den USA und dem Iran? Ist die Entscheidung ein Zeichen dafür, dass die USA die Hoffnung auf härtere Sanktionen oder gar auf das Verhindern iranischer Nuklearwaffen verloren haben? Teheran sieht sich in einer besseren  Situation als vorher.

Was bedeutet die Entscheidung für Nordkorea? Nordkorea wird keinen Druck zu irgendwelchen Konzessionen vor der Aufnahme bilateraler Gespräche verspüren. Im Gegenteil – Nordkorea wird weiter auf Zeit spielen.

Neben „gefühlten“ Siegern gibt es tatsächliche Verlierer: Politiker in Polen und der Tschechischen Republik. Sie fühlen sich von den USA, deren Schutzschirm für sie ausschlaggebend für den Nato-Beitritt war, verraten. In der Frage der Stationierung von Raketenabwehrsystemen haben beide Regierungen Prügel von innen und außen einstecken müssen. Die erhofften sicherheitspolitischen Kompensationen seitens der USA müssen abgeschrieben werden. In beiden Ländern wird ein Nachdenken über die „speziellen“ Verbindungen zu den USA einsetzen.

Das wird Europa und den europäischen Staaten in der Nato zum Vorteil gereichen. Das „alte“ und „neue“ Europa könnten verschmelzen. Die Ukraine und Georgien werden befürchten, dass die Frage ihrer Mitgliedschaft in der Nato wegen der anhaltenden Kritik Russlands noch weiter nach hinten verschoben wird. Der neue Nato-Generalsekretär Rasmussen hat die Entscheidung denn auch freudig begrüßt. Er sieht in ihr die Chance, das Verhältnis der Nato zu Russland zu verbessern. Euphorische europäische Stimmen wärmen sogar wieder die Idee einer Mitgliedschaft Russlands in der Nato auf. Allerdings wird die Hinwendung der USA zu seegestützten Abwehrsystemen Forderungen an die Europäer zur Folge haben, sich ebenfalls gegen die Bedrohung durch Kurz- und Mittelstreckenraketen zu engagieren – nicht nur mit warmen Worten, sondern mit teuren Taten.

In China und Indien wird die Entscheidung Barack Obamas schon jetzt als Bestätigung dafür gesehen, dass die Vereinigten Staaten durch den eigenen Aufstieg einen relativen Machtverlust erleiden. Sie – die USA – müssen ihre eigenen Sicherheitsinteressen neu definieren und ihre Ressourcen entsprechend priorisieren. Die Zeiten der alleinigen Weltherrschaft sind vorbei. Es wird sich zeigen, ob die Vereinigten Staaten ihr umfangreiches Engagement in Afghanistan und Pakistan gegen die Stimmung der eigenen Bevölkerung  nachhaltig wahren können. Die weltweiten Konsequenzen der Entscheidung Barack Obamas dürfen nicht unterschätzt werden. Dieter Farwick

Foto: Für Polens politische Klasse ein Schock: Der Verzicht der USA auf das Raketenabwehrsystem zwingt insbesondere die polnische Regierung unter Donald Tusk zur Neujustierung ihrer Außenpolitik.


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