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26.09.09 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-09 vom 26. September 2009

Ausgemogelt / Warum wir jetzt ganz schnell erwachsen werden, wie sehr wir die Märchen mochten, und wann wir Hans Eichels Stimme hören
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Das war’s dann also mit dem Wahlkampf. Er sei einzigartig artig gewesen, hören wir. So etwas habe es noch nie gegeben, tönen die Zeitgeschichtler. Mag sein, aber tief in unseren Herzen, da wo unter anderem die Kindheit wohnt, kennen wir so etwas schon lange.

Bis zu welchem Alter haben Sie oder Ihre Kinder noch an den Weihnachtsmann geglaubt? Das wissen Sie wahrscheinlich selbst nicht, denn die Sache mit dem gütigen Rauschebart ist ein Meisterstück des wohlwollenden gegenseitigen Betrugs.

Anfangs ist die Lage noch klar: Die Eltern erzählen vom Weih­nachtsmann und engagieren womöglich gar einen leibhaftigen Darsteller. Die Kinderchen sind zutiefst beeindruckt von der Märchengestalt und halten sie selbstverständlich für ganz und gar authentisch.

Irgendwann aber kommen Zweifel. Im Falle des Verfassers dieser Zeilen ähnelte die große Nase des Geschenkebringers eines Tages ziemlich deutlich der des Nachbarn. Ebenso die Stimme. Man schöpfte Verdacht, beließ es aber bei Andeutungen.

Warum? Warum ließ man die Eltern mit ihrem falschen Nikolaus nicht krachend auffliegen? Aus Rücksichtnahme! Weil das die schöne Stimmung versaut hätte, versteht sich. Deshalb kann eben niemand genau sagen, wann die Sache mit dem Weihnachtsmann wirklich durch war, es gab ja diese Phase augenzwinkernder Komplizenschaft zwecks Aufrecht­erhaltung der allgemeinen Harmonie.

Diese Fähigkeit haben wir uns bewahrt. In diesem Wahlkampf wandten wir sie formvollendet auf die Landesväter, schnöde „Politiker“ genannt, an. Wir glaubten ihnen zwar kein Wort, aber der Atmosphäre wegen gingen wir darüber hinweg: Steuergeschenke sollte es geben und ewiglich stabile Renten und gerettete Banken und soziale Wohltaten und gebremste Schulden und überhaupt würde alles ganz wunderbar (oder doch wenigsten recht ordentlich) werden, wenn wir nur feste dran glaubten. So scholl es mit unterschiedlichem Zungenschlag aus allen politischen Ecken und wir nickten bedächtig. Natürlich haben die Deutschen unter dem strahlenden Wams der Geschenkebringer längst das düstere Schuldenmonster entdeckt – mit dem Pleitegeier auf seiner Schulter, gierig, uns zu verspeisen, sobald wir staatsbankrott in den Staub der falschen Versprechungen gesunken sind. Da haben wir weggeguckt wie ältere Kinder, die den Zauber wohl entlarvt, aber die schöne Geschichte doch so lieb gewonnen haben.

Wie sehr wir schon das gleiche Lied sangen wie unsere Politiker kann man daran erkennen, dass wir kaum noch auf den Text achteten, obwohl es da wirklich erhellende Passagen gab zwischen dem windelweichen Geseier. Erinnern Sie sich noch, wie Frank-Walter Steinmeier das TV-Duett mit Angela Merkel eröffnete? Nein? Ich auch nicht, dabei gab er dort Erstaunliches preis: „Ja, liebe Bürgerinnen und Bürger, ich will ehrlich sein“, begann der Kandidat seine Ausführungen. „Ehrlich sein“ scheint er also für etwas Besonderes zu halten, das man extra ankündigen muss.

Und wer hat das mitbekommen? Die meisten offenbar nicht, sonst hätte es wenigstens ein paar lustige Zwischenrufe gegeben. Ein aufmerksamer Psychologe immerhin bemerkte den Schnitzer und rief „Focus“-Chef Helmut Markwort an, der den Vorfall dann allen bekanntmachte. Politiker wollen ja angeblich erreichen, dass die Menschen ihnen zuhören, sie sogar verstehen. Sie sollten lieber froh sein, wenn die Leute genau das nicht tun.

Aber nun sind die feierlichen Gesänge und väterlichen Reden verklungen, es naht die Bescherung. Was meint der Volksmund, wenn er von einer „schönen Bescherung“ spricht? Genau so eine wird es werden.

Die Minister Steinbrück und zu Guttenberg haben die Tür zur Wahrheit unvorsichtigerweise schon vor der Wahl einen kleinen Spalt breit geöffnet. Was wir da gesehen haben, ist der Ausblick auf eine Republik, in der so ziemlich alles aus den Fugen gerät, was mit öffentlichen Finanzen zusammenhängt.

Das war dann schon ein kleiner Schock, und vermutlich nicht der letzte. Ab jetzt werden uns die Nachrichten den Kopf waschen und uns ruppig erwachsen machen. Noch ganz eingelullt von den herrlichen Eindrücken aus den netten Märchen von der „gemeisterten Krise“ werden wir auf die kalten, dunklen, nassen Straßen des Herbstes gespült. Wir werden schlottern und uns grausam verraten fühlen.

Voller Nostalgie werden wir auf die plüschige Lügenwelt der letzten Jahre zurück­blicken: Die Arbeitslosenbeiträge sanken von 6,5 auf 2,8 Prozent, die Krankenkassenkosten wurden vom „Gesundheitsfonds“ gezähmt, die Mehrwertsteuer würde nie und nimmermehr erhöht, die Banken und Opel und die mittelständischen Kreditnehmer waren alle­samt gerettet und die Arbeitslosigkeit war an der verlängerten Kurzarbeitszeit abgeprallt.

Und die Kosten für diese vielen feinen Sachen? Im Märchen geht das mit links: Da wuchs sich das irgendwie zurecht, ja am Ende knarrte sogar die Schuldenbremse und die Bundesrepublik stand nach ihrer größten Wirtschaftskrise haushälterisch besser da denn je seit 1971, als das mit dem Schuldenmachen angefangen hatte. Ja, eine tolle bunte Welt, wo wir sogar einen Krieg führen konnten, der (in der vom Minister höchstpersönlich beglaubigten Wahrheit) gar keiner war (außer für die Soldaten, ihre Verwandten und Freunde, aber die kommen in solchen Streifen eh nicht vor). So sollte die Wirklichkeit aussehen.

Tut sie aber nicht. Draußen auf der Straße der Realität, auf der wir bald stehen werden, rauschen ganz andere Töne durch die feuchtkalte Nacht: 150 Milliarden Euro Steuerausfälle und 320 Milliarden Euro neue Schulden, zwei Drittel aller Betriebe ab 1000 Beschäftigten wollen Stellen abbauen, 2010 geht jeder fünfte Euro des Bundeshaushalts für die Kosten von Arbeitsmarktmaßnahmen drauf und so weiter. Lauter Graus und Grusel.

Ja, aber dann kommt doch die Schuldenbremse, gell? Das könnte spannend werden: Bis 2020 soll diese Bremse die Neuverschuldung allen politikerernstes auf Null bringen. Das kann wirklich nur noch der Weihnachtsmann mit seiner Zauberkunst leisten, also: Feste dran glauben an die Bremse!

Und einfach ignorieren, wenn man die Stimme des Weihnachtsmanns wiedererkannt hat. Wir verraten sie trotzdem: Es ist die von Hans Eichel. Der damalige Finanzminister hatte vor der Wahl 2002 ein Loch von 33 Milliarden verschwiegen und sich hinterher damit herausgeredet, dass es doch wohl sein gutes Recht sei, das mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Für so einen Satz ist es bald wieder soweit.

Und was machen wir jetzt? Ja, was macht der weltgewandte Bankrotteur, der weiß, dass morgen der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht? Es lässt sich nichts anmerken und tut so, als sei alles in Butter.

So schaufeln wir seelenruhig noch ein paar Milliarden in die Taschen der sogenannten „Opel-Investoren“. Die Spatzen pfeifen uns von allen Dächern die Ohren voll, dass die Knete zum Großteil sonstwo landen wird. Die Magnaten und Sberbänker schwören mit solcher Heftigkeit, dass das nicht passieren werde, bis wir ihre gekreuzten Finger knacken hören. Der Wirtschaftsminister, der das Piepsen und Knacken frühzeitig verpetzt hatte, wurde bekanntlich umgehend geknebelt.

Man könnte den Staatsbankrott natürlich noch eine ganze Weile hinauszögern, indem man zunächst das Vermögen der Bürger umverteilt, also in die Bahnen des Staatsapparates lenkt, diesen damit saniert und den Rest ans dankbare Volk verteilt. So in etwa stellt sich die Linkspartei den Ausweg aus der Krise vor. Das kann durchaus etliche Jahre gutgehen. Am Ende ist dann nicht bloß der Staat bankrott, sondern auch alle seine Bürger. Das Schema nennt sich DDR.


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