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03.10.09 / Der Mensch zwischen Schöpfung und Erlösung / Gedanken zum Erntedankfest – Die Liebe zur irdischen Heimat ist Vorbereitung auf die »Heimat im Himmel«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-09 vom 03. Oktober 2009

Der Mensch zwischen Schöpfung und Erlösung
Gedanken zum Erntedankfest – Die Liebe zur irdischen Heimat ist Vorbereitung auf die »Heimat im Himmel«

Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen. Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. (I. Mose 8,20-22)

Wenn wir in diesem Jahr Erntedankfest feiern, so tun wir es mit ein wenig anderen Gefühlen als bisher. Inzwischen haben wir die Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt, Tausende bangen um ihren Arbeitsplatz, um ihr Erspartes, um ihre Versorgung. Die Bürger unseres Landes fürchten, dass die volle Wahrheit erst nach den Bundestagswahlen ans Tageslicht kommen wird. Aber es sind Sorgen auf hohem Niveau. Die Mehrheit der Erdbevölkerung könnte sich nur wundern über unsere Befürchtungen und Klagen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, an dessen Ausbruch vor 70 Jahren wir in diesen Tagen wieder denken, sah das anders aus, als auch wir Ostdeutschen, hungernd, frierend, ohne Obdach, in den ebenfalls vom Krieg heimgesuchten Westen strömten. Hunderttausende kamen dabei um. Wer irgendwie konnte, suchte Zuflucht auf dem Lande, möglichst bei einem Bauern, denn dass die Ernte auf dem Felde die Grundlage überhaupt ist und Gott der Geber diese Grundlage, brauchte man niemandem erklären. Was waren das für bewusst gefeierte Erntedankfeste. Nur in ganz besonderen Lebenslagen kommt uns ins Bewusstsein, dass die Erhaltung unseres Lebens ein Geschenk Gottes ist, ein Wunder. Ein gleichaltriger Vetter, der mich dieser Tage besuchte, sagte mir: Ist es nicht ein Wunder, dass in unserer großen Verwandtschaft alle ausnahmslos Krieg und Flucht überlebt haben?

So muss es Noah in ganz einzigartiger Weise empfunden haben, als er mit seiner Familie die Arche verlassen darf. Das erste, was Noah unternimmt, ist der Bau eines Altars. Der Gerettete dankt dem Retter. Sein erster Gedanke beim Betreten der verwüsteten Erde geht zu Gott. Seitdem hat sich manches geändert, aber eines ist geblieben: der beständige Kreislauf von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Wir haben uns an die Erhaltungsordnung Gottes so gewöhnt, dass wir das Wunderbare daran kaum noch empfinden, wie die Sonne täglich aufgeht, dass sie im Frühjahr ansteigt, im Herbst fällt, dass Tau und Regen mit trocknen Zeiten wechseln, dass das Korn keimt und der Halm aufwächst, die Ähre sich füllt und schwer wird.

Das alles kommt doch nicht von ungefähr, von einem planlos-ungewollten Lauf der Dinge, ohne Sinn, ohne Absicht, sondern von dem Gott, der die Erde erhalten will. Doch wir hätten die Erhaltungsordnung Gottes missverstanden, wenn wir meinten, diese großen Ordnungszusammenhänge müssten so sein, wir Menschen hätten Anspruch darauf. Weil Noah vor Einbruch der Sintflut als „ein frommer Mann und ohne Tadel zu seinen Zeiten“ geschildert wird, könnte man denken, dass Gott alles Unkraut hat untergehen lassen und nun nach der Flut aus einer edlen Pflanze das Bessere, den besseren Menschen entstehen lässt. Aber hören wir genau hin. Gott sagt zu Noah: „Ich will hinfort die Erde nicht mehr verfluchen, denn das Dichten und das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.“ Gott erweist seine Gnade gerade diesen bösen Menschen. Der Mensch ist sozusagen ein hoffnungsloser Fall. Der gleiche Befund also, der zum Vernichtungsgericht führt, ist nachher der Grund für die Verschonung der Erde. Der Mensch, der die Welt nach der Sintflut bevölkern soll, ist nicht besser als der, um dessentwillen sie der Vernichtung preisgegeben war. Kapituliert Gott also vor der Sünde dieser Welt: Man kann ja doch nichts mit dem Menschen anfangen, mag er bleiben, wie er will? Nein, Gottes Urteil über die Sünde bleibt ungetrübt und ungeschmälert, wie sich am Jüngsten Tage zeigen wird. Die Gnadenzeit ist eine begrenzte Zeit. „Solange die Erde steht“ gilt die Erhaltungsordnung.

Die Erde steht nicht ewig. Früher oder später wird sie fallen. Gott erhält die Menschheit und auch den Einzelnen auf die zukünftige Erlösung hin. Er findet sich nicht mit dem Zustand der Welt ab, sondern wird, wenn die Zeit kommt, auf ganz andere Weise durch seinen Sohn Jesus Christus, den neuen Adam, die Wende herbeiführen. Zu einem Nachkommen Noahs, nämlich Abraham, wird er sagen: „In dir sollen gesegnet werden alle Völker der Erde.“ Darum wird Jesus Christus gleich im ersten Vers des neuen Testaments vorgestellt als der Sohn Abrahams. Gott will uns, indem er unser Leben fristet, aufsparen für sein Heil in Christus. Jede Ähre, jede Kartoffel, ja alles, was uns wieder zugewachsen ist, will uns daran erinnern, dass und wofür Gott uns noch Zeit gibt. Die Gaben, die uns erhalten, sind ein Zeichen, das hinweist auf ein letztes, das noch bevorsteht.

Ich persönlich fühle mich immer sehr angerührt, wenn im Erntedankgottesdienst das Abendmahl gefeiert wird. Mitten zwischen den Früchten des Feldes und Gartens sehen wir auf dem Altar die Hostien neben dem Brot aus dem Bäckerladen und den Kelch mit Wein neben der Schale mit den Weintrauben. Das Brot, das wir essen, wird Hinweis auf den, der das Brot des Lebens ist, die Frucht des Weinstocks auf den, den Gott zum Heil der Menschheit nicht verschont hat.

Herbert Girgensohn, der aus dem Baltikum stammende theologische Lehrer und Leiter des damaligen Ostkirchenausschusses, den man auch den „Vater der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen“ nannte, formulierte es in einer neun Jahre nach dem Krieg gehaltenen Erntedankpredigt einmal so: „Hinter der Sättigung und der Kleidung, mit der wir unsere Blöße bedecken, dürfen wir die Güte Gottes entdecken, der über den Tod hinaus unser Leben will. Gott beruft diese verfluchte Menschheit mit ihrem verzweifelten Ringen um ihr irdisches Dasein zum ewigen Leben. Das liegt im recht verstandenen Dank für die Ernte …“ Nur, das Wort „Danke“ verschwindet mehr und mehr aus der Bezeichnung des Festes.

Neulich fuhr ich auf einer Straße an einem Plakat vorbei, das zum „Heimat- und Erntefest“ in einer benachbarten Landgemeinde einlädt. Die Verbindung von Heimat und Ernte ließ mich aufmerken, zumal mir gleich das Lied einfiel, in dem wir Ostpreußen unsere landschaftlich so außerordentliche und auch bei vielen Nichtostpreußen beliebte Heimat, die ehemalige Kornkammer Deutschlands, besingen, auch wenn heute dort nur selten „starke Bauern hinter Pferd und Pflug schreiten“. Dass aber das Wort „Dank“ aus dem Namen des Festes verschwindet, gibt zu denken.

Unser Dasein hat keinen Wert an sich. Unser Leben ist auf Gott bezogen, oder wir werden letztlich heimatlos in dieser und in der kommenden Welt. Unsere Liebe zur irdischen Heimat hat ihren letzten Sinn als Vorbereitung auf die „Heimat im Himmel“, aus der uns niemand vertreiben wird.

In Bezug auf das Reich Gottes hat die Zukunft schon begonnen. Sie bringt uns Gericht oder Erlösung. Und dann wird offenbar werden, dass Gott denen, die im Glauben seiner Ernte entgegen reifen, nicht kümmerlich, sondern ganz hilft. Martin Schenk, Pfarrer i. R.


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