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10.10.09 / Die Saat ist aufgegangen / Eine türkische Studie bestätigt weit verbreitete Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit in der Türkei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-09 vom 10. Oktober 2009

Die Saat ist aufgegangen
Eine türkische Studie bestätigt weit verbreitete Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit in der Türkei

Eine von der jüdischen Gemeinde in der Türkei in Auftrag gegebene und von der Europäischen Union unterstützte Studie kratzt am Bild der als gastfreundlich gepriesenen Türkei. Doch große innenpolitische Reaktionen blieben aus.

Laut dieser Umfrage lehnen 42 Prozent der Türken Juden in ihrer Nachbarschaft ab, 57 Prozent wollen mit Atheisten nicht in einem Haus leben und 35 Prozent hegen Ressentiments gegen Christen. Hinweise für dieses bemerkenswerte Ausmaß an Intoleranz waren schon länger erkennbar. Seit dem Regierungsantritt von Staatschef Recep Tayyip Erdogan laufen Nationalisten Sturm gegen die vermeintliche Zersetzung der Türkei durch „fremde Mächte“, eine Horrorvision, die die Türken seit ihrer Staatsgründung verfolgt.

Standen noch unter den Regierungen von Tansu Ciller, Mesut Yilmaz oder dem Erdogan-Vorgänger Bülent Ecevit mehr Minderheitenrechte für die rund 15 Millionen Kurden oder für Juden, Christen und Ausländer gar nicht zur Debatte, so schien unter dem islamistischen Erdogan Tauwetter einzusetzen. Denn seine moderat-islamische AKP strebt den EU-Beitritt an und hoffte nicht zuletzt auf kurdische Wählerstimmen.

Während die AKP-Regierung darum mit der Abmilderung des Strafrechtsparagraphen 301, der die „Beleidigung des Türkentums“ unter Strafe stellt, im We-sten punkten wollte, scharte die nationalistische Opposition unter Mitwirkung von Mitgliedern der Armeeführung neue Anhänger um sich und nutzte die Empfänglichkeit des einfachen Bürgers für gegen Minderheiten gerichtete Propaganda.

Diese Saat ist aufgegangen. Der Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink und die blutigen Übergriffe auf christliche Würdenträger im Jahr 2007 waren der bisherige Gipfel der Radikalisierung.

Die türkische Regierung hat dem bisher wenig entgegenzusetzen. Außer medienwirksamen Ermittlungen und einigen demonstrativen Prozessen gegen den nationalistischen Verschwörerring „Ergenekon“ gab es wenig Reaktionen. So kommen Gesetzesänderungen und Maßnahmen, die die Rechte von Minderheiten stärken, nur schleppend oder gar nicht voran. Eine Wiedereröffnung des bereits 1972 geschlossenen orthodoxen Priesterseminars auf der Insel Heybeliada vor Istanbul ist nicht in Sicht. Auch christliche Gemeinden kämpfen nach wie vor um die Rückgabe enteigneter Immobilien und die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Nichtmuslimischen Religionsgemeinschaften ist nach wie vor sogar die Eröffnung von Bankkonten untersagt.

So können dann auch die betroffenen Äußerungen des türkischen Vize-Premiers Bülent Arinc, der die Ergebnisse der Studie als „erschreckend“ bezeichnete, getrost als „warme Worte“ angesehen werden. Er rief die Türken auf, den Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften mehr Respekt entgegenzubringen. Ein Aufruf, der wohl eher als Ansage an die eigenen Regierung und an das Ausland als an das türkische Volk zu verstehen ist, und der das eigentliche Problem verschweigt.

Treffender setzen sich türkische Zeitungen mit dem Thema auseinander. So titelt der Autor der Tageszeitung „Star“, Iskender Öksiz, mit einem Koranvers: „Wir haben euch als verschiedene Völker und Gemeinschaften geschaffen, damit ihr euch kennenlernt (zusammenlebt).“ Öksiz bemüht weitere, wenig schmeichelhafte Umfrageergebnisse. So erklärten 73 Prozent der Befragten freimütig, nichts darüber zu wissen, was ein Atheist überhaupt ist. 76 Prozent wissen nichts über die jüdische Religion und 74 Prozent wissen nach eigenen Angaben nichts über den christlichen Glauben. Öksiz kommt zu dem Schluss, dass die Ablehnung umso größer ist, je weniger Wissen über eine Volksgemeinschaft oder Religion vorhanden ist.

Wenn auch die Studie für Türkei-Kundige keine wirklichen Neuigkeiten zu Tage gefördert hat, kann nun doch erwartet werden, dass das Thema Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit in dem Ende Oktober zu erwartenden Fortschrittsbericht zum EU-Beitritt der Türkei zumindest Erwähnung findet.             Mariano Albrecht

Foto: Toleranz sieht anders aus: Tausende Türken demonstrierten 2006 gegen den Besuch von Papst Benedikt XVI.


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