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10.10.09 / Vorwärts zu den Wurzeln

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-09 vom 10. Oktober 2009

Nachgefragt
Vorwärts zu den Wurzeln
von Hans-Jürgen Mahlitz

Quo vadis, wohin gehst du, CSU? Nein, auch Theo Waigel, der direkte Nachfolger des christsozialen Übervaters FJS, weiß es nicht so recht. Immerhin aber weiß er, wohin seine politischen Erben in letzter Zeit nicht gegangen sind: ins Kabarett. Dort hätten die Stoibers, Hubers und Seehofers hören können, was das Volk (oder zumindest ein Teil desselben) von ihnen hält. Vor kritischen Geistern, so der Ex-Parteichef weiter, dürfe man sich nicht verstecken, mit ihnen müsse man einen intensiven Dialog führen, um den eigenen Horizont zu erweitern.

Auch wenn viele Wähler offenbar Horst Seehofers Wahlkampfstil eher als unfreiwillige, aber durchaus kabarettreife Realsatire werteten – im Kern trifft Waigels Wahlanalyse zu. Die erfolgsverwöhnte CSU hat längst die Bodenhaftung verloren, sie war – und ist immer noch? – auf dem Weg zu einer Volkspartei ohne Volk.

Über die Jahrzehnte hatte man sich an Wahlergebnisse von 50 plus x gewöhnt; das x durfte gern auch mal zweistellig ausfallen. Die Behauptung, in gewissen Wahlkreisen könne man mit besten Erfolgsaussichten auch einen schwarzen Besen als Kandidat aufstellen, wurde nur nördlich des Weißwurstäquators als Witz empfunden. Bis auf ein paar renitente Reste mit hohem Anteil an „Preißn“ und „Zuagroasten“ waren die weißblauen Gefilde fest in bayerischer Hand. Des französischen Sonnenkönigs „L’état c’est moi“ heißt in der süddeutschen Landessprache „Mir san mir“, und „Mir“ steht zugleich für Freistaat und CSU.

Das funktionierte zum Wohle des Freistaats und seiner Bewohner (auch der vielen Zuagroasten!), solange die CSU-Oberen erfolgreich waren. Allen voran die Ministerpräsidenten Alfons Goppel und Franz-Josef Strauß schafften den Spagat zwischen Fortschritt und Tradition, bauten das kleinbäuerlich strukturierte Armenhaus Deutschlands um zu einem in allen wirtschafts-, sozial- und bildungspolitischen Eckdaten führenden Bundesland. Laptop und Lederhose passten gut zusammen. Aus Gesprächen mit Strauß sind dem Autor Sätze in Erinnerung wie „Konservativ sein kann auch heißen: an der Spitze des Fortschritts stehen“, „Wir Bayern sind die letzten wahren Preußen Deutschlands“ oder „Man muss wissen, woher man kommt, um zu wissen, wohin man geht“.

Solange sich nicht nur die Partei- und Regierungschefs, sondern auch die Amts- und Mandatsträger auf allen Ebenen getreu an diese Prinzipien hielten, waren Wahlen in Bayern aus CSU-Sicht Selbstläufer. Mit der Zeit aber wurden die Erfolge zu selbstverständlich und die Erfolgreichen zu selbstsicher. Die Ergebnisse der Landtags- und der Kommunalwahlen im vergangenen Jahren waren ein Warnschuss, der auf das unglücklich agierende Führungsduo Huber/Beckstein zielte, aber auch auf die Partei insgesamt. Es rumorte nicht nur in der Staatskanzlei, im Maximilianeum und in der Nymphenburger Straße, sondern auch in den Rathäusern zwischen Spessart und Karwendel.

Als Retter in höchster Not eilte Horst Seehofer aus Berlin nach München. Große Hoffnungen ruhten auf ihm, immerhin hatte er bei diversen Gelegenheiten gezeigt, dass er bereit war, eigenen Überzeugungen auch um den Preis eines Karriereknicks treu zu bleiben. Dank seiner jovialen Offenheit schaffte er es sogar, dass ihm selbst im noch vergleichsweise streng katholischen Oberbayern sein eher lockeres Familienverständnis verziehen wurde.

Der 27. September war dann auch für die CSU der Tag der Wahrheit. War der Absturz von 2008 nur ein Betriebsunfall, der sich von selber korrigieren würde? Im Gegenteil: Die Landtags- und Kommunalwahlschlappe wiederholte sich auf dramatische Weise. Natürlich muss, was in Bayern als dramatisch gilt, relativiert werden. In keinem anderen Bundesland kam eine Partei auch nur in die Nähe der 40-Prozent-Marke. Insofern ist und bleibt die CSU die einzige wirkliche Volkspartei in Deutschland. Hinzu kommt ein glänzendes Erststimmenergebnis: Die CSU holte alle Wahlkreise (was sonst nur der CDU in Sachsen und im Saarland gelang). Und sie stellt mit Karl-Theodor zu Guttenberg, den Altkanzler Gerhard Schröder als „diesen Baron aus Bayern“ verspottete, den gesamtdeutschen Erststimmenkönig.

Man sieht: Was in Bayern als Katastrophe gilt, würde im Rest der Republik als Glücksfall bejubelt. Doch war Horst Seehofer gut beraten, sich nach der Wahl demütig zu geben; an der Isar hat man eben andere Ansprüche als an Spree, Elbe oder Rhein. Natürlich war diese Schlappe auf höchstem Niveau zu Teilen auch Seehofers persönliche Niederlage. Mit seinem Herumhacken auf dem eigenen Koalitionspartner hat er der FDP die Zweitstimmen zugetrieben, die sie zu ihrem Traumergebnis brachte. Und in der CDU fühlte sich mancher durch Seehofers Querschüsse im Wahlkampf eher behindert denn unterstützt.

Quo vadis, CSU? Führt der Weg zu einer „Partei wie jede andere“, und wenn ja, wäre das eigentlich so tragisch? Zumindest läge es nicht im wohlverstandenen Interesse des Freistaats und des ganzen Deutschlands. Beiden ist in den letzten Jahrzehnten eine starke, selbstbewusste CSU stets gut bekommen. Gefährlich wird es, wenn Selbstbewusstsein in Arroganz, Stärke in Filz und Machtmissbrauch umschlagen. Wer frei nach Strauß zu den „wahren Preußen“ zählen will, muss Libertas Bavariae eben auch im Sinne des preußischen Philosophen Immanuel Kant definieren: Freiheit in Verantwortung.

Will die CSU ihre – auch aus nichtbayerischer Sicht wünschenswerte – Einmaligkeit bewahren, muss sie zunächst einmal zurück zu ihren weltanschaulichen Wurzeln finden. Auf der Basis einer bewährten christlich-abendländischen Tradition, die den Menschen und seine elementaren Lebensbedürfnisse in den Vordergrund stellt, kann sie sich dann wieder zur echten Fortschrittspartei entwickeln. Immer nach dem Motto: Der Fortschritt hat dem Menschen zu dienen, nicht der Mensch dem Fortschritt! Konkret heißt das zum Beispiel, die CSU muss ohne Wenn und Aber eintreten für eine wirklich soziale Marktwirtschaft, so wie sie Ludwig Erhard gemeint und praktiziert hat, für eine ideologiefreie Energiepolitik, für eine Rechts- und Sicherheitspolitik, der die Leiden der Opfer wichtiger sind als die seelischen Verklemmungen der Täter und für einen wahrhaftigen Umgang mit den guten und schlechten Seiten unserer Geschichte.

Freilich kann die Frage nicht nur lauten: Quo vadis? Also nicht nur: wohin, sondern auch: mit wem? Vielleicht schafft es Horst Seehofer ja, die Partei auf den rechten Weg in die Zukunft zu führen, was allerdings von etlichen seiner Parteifreunde bezweifelt wird.

Zumindest ein Verdienst wird man ihm nicht absprechen können: Er hat den Namen Karl-Theodor zu Guttenberg ins Spiel gebracht. Der Senkrechtstarter aus uraltem fränkischem Adel (die Familiengeschichte reicht bis ins Jahr 1148 zurück) bringt beste Voraussetzungen mit: intelligent, hochgebildet und gut ausgebildet, sympathisch und gut aussehend, vor allem aber standfest, grundsatztreu und glaubwürdig. Er redet nicht über die Köpfe der Menschen hinweg, jeder kann ihn verstehen, und er fällt nicht in jene Kategorie bajuwarischer Würdenträger, die in München als brüllender Löwe abspringen und in Berlin als Bettvorleger landen. Guttenberg verkörpert alles, was die CSU stark gemacht hat. Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, vorauszusagen, dass ihm die Zukunft gehört – in einer Laptop-und-Lederhosen-CSU, in Bayern, und vielleicht darf’s auch ein bisschen mehr sein.


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