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10.10.09 / Wagemutige Weltumrundung der Clärenore Stinnes / Rennfahrerin erprobt ein normales Serienauto auf 49000 Kilometern in der rauen Wirklichkeit fremder Länder – Film und Ausstellung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-09 vom 10. Oktober 2009

Wagemutige Weltumrundung der Clärenore Stinnes
Rennfahrerin erprobt ein normales Serienauto auf 49000 Kilometern in der rauen Wirklichkeit fremder Länder – Film und Ausstellung

Clärenore Stinnes gilt als erste Frau, die mit einem Auto die Welt umrundet hat. Von Mai 1927 bis Juni 1929 dauerte die 49000 Kilometer lange Reise, welche die Tochter des Großindustriellen Hugo Stinnes und den schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström durch 23 Länder führte. Ein Dokumentarspielfilm sowie eine Ausstellung rekonstruieren derzeit diese abenteuerliche Expedition.

„Ich will keinen Rennwagen erproben, sondern ein normales Gebrauchsauto in der rauen Wirklichkeit. Es geht hier nicht um Rekorde. Ich will mit einem ganz gewöhnlichen Kasten mit vier Rädern und einem Motor, wie ihn jedermann im Geschäft kaufen kann, um die Welt fahren. Und zwar durch Gegenden, in denen noch nie ein Auto gefahren ist. Natürlich muss es ein deutsches Fabrikat sein“, dies erklärte Clärenore Stinnes den Journalisten der Berliner Tageszeitungen und Korrespondenten der auswärtigen Presse im Mai 1926.

Zu diesem Zeitpunkt ist die couragierte junge Frau im Automobilsport keineswegs eine Unbekannte. Zuvor hatte sie bereits 17 Autorennen gewonnen und bei der als äußerst schwierig geltenden Zuverlässigkeitsfahrt quer durch Russland als einzige Frau alle 52 teilnehmenden Männer als Siegerin hinter sich gelassen. Bei dieser Rallye, die von St. Petersburg über Moskau nach Tiflis führt, kommt ihr auch die Idee einer Weltumrundung.

Die Reise wird von der 26-Jährigen minutiös vorbereitet. Sie spricht bei Außenminister Gustav Stresemann vor, der persönlich die deutschen Auslandsvertretungen anweist, sie auf ihrer Reise zu unterstützen. Stinnes klappert außerdem sämtliche Botschaften in Berlin ab, durch deren Länder sie reisen möchte, und wirbt 100000 Reichsmark an Sponsorengeldern bei der Industrie ein. Denn ihre Fahrt soll nicht zuletzt für die Qualität deutscher Industrieprodukte werben. Die Frankfurter Adler-Werke stellen ihre neueste Serienlimousine „Standard 6“ mit stabiler Stahlkarosserie zur Verfügung. Ein Sechszylinder mit 40 PS und 80 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit. Zwei Liegesitze werden eingebaut und große Transportkisten auf den Trittbrettern befestigt. Mit von der Partie sind außerdem zwei Monteure in einem Begleit-Lastwagen, mit dem Treibstoff, Ersatzteile, Werkzeug, Reifen, Stemmbalken, mehrere Pistolen, ein Zelt sowie drei Abendkleider transportiert werden.

Im Mai 1927 startet Clärenore Stinnes ihre Fahrt in Frankfurt am Main. Begleitet wird sie nun zusätzlich von dem schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström, der ihre Weltreise als Dokumentarfilm festhalten soll, um noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit für ihr Unternehmen zu wecken. Söderström, der bis dahin bei Filmen mit Greta Garbo mitgearbeitet hatte, notiert bereits nach nur wenigen Tagen in sein Tagebuch: „Wenn das so weitergeht, kommt nur mein Hemd nach Hause.“

Schon in Prag haben sie die erste Reifenpanne. Aber Clärenore treibt ihre Monteure an, sie will Russland unbedingt vor Einbruch des Winters erreichen. Pausen werden auf der ersten Etappe deswegen nur für Reparaturen gemacht. Gegessen wird während der Fahrt, dafür hatte sie mit 148 hartgekochten Eiern im Gepäck vorgesorgt. Bald allerdings fällt einer der beiden Techniker wegen Krankheit aus und auch der zweite gibt das Abenteuer Weltumrundung auf. Einzig Carl-Axel Söderström bleibt noch an der Seite von Clärenore Stinnes. Das Zweiergespann macht trotzdem weiter. Söderström hadert zwar oft mit der dickköpfigen jungen Frau, aber er kann ihr seine Anerkennung nicht verwehren: „Sie muss“, protokolliert er, „aus Stahl gemacht sein, so wie sie alles aushält, ohne zu klagen.“

Der Weg führt die beiden in Richtung Osten, keine Schwierigkeit und keine nur denkbare Panne bleibt ihnen erspart. Sie stecken bei minus 53 Grad im sibirischen Winter fest und müssen, um die Reise fortsetzen zu können, mit ihrem Wagen den zugefrorenen Baikalsee überwinden. In der Wüste Gobi werden sie beinahe von chinesischen Deserteuren erschossen. Über Peking, Kobe und Tokio gelangen sie endlich nach Südamerika. Allerdings stellt sich gerade die Etappe über die Anden als die schwierigste heraus, an der die Expedition doch fast zu scheitern droht. Der Adler muss im Hochgebirge mit Flaschenzügen allein über Pässe und Steigungen bis 60 Grad transportiert werden. An manchen Tagen schaffen sie gerade einmal 150 Meter, und als sie sich im August 1928 mit den Vorräten verrechnen, verdursten sie beinahe.

In Chile angekommen, nehmen sie das Schiff nach Los Angeles. Sie werden überall von Gouverneuren und Bürgermeistern empfangen und müssen zahlreiche Interviews geben. Als Präsident Edgar Hoover Clärenore Stinnes allein nach Wa-shington einlädt, sagt die mehrsprachige und forsche junge Frau allerdings ab. Erst als die Einladung um Söderström erweitert wird, nimmt sie an und gemeinsam besuchen sie das Weiße Haus. Der von ihr dort gehaltene fünfminütige Vortrag wird von über 21 Rundfunkstationen ausgestrahlt und die USA bejubeln die 27-Jährige als Vorbild für die Emanzipation der Frauen.

Per Schiff geht es von New York nach Le Havre und nach zwei Jahren und einem Monat Fahrtzeit treffen Stinnes und Söderström im Juni 1929 in Berlin ein. Beiden wird dort ein prächtiger Empfang bereitet und Clärenore beschließt zu Ehren Söderströms noch weiter bis Stockholm zu fahren, wo sie Kilometer 49244 erreichen und von neuem gefeiert werden. Die Premiere ihres Dokumentarfilms „Mit dem Auto durch zwei Welten“ sowie die dazugehörige Buchveröffentlichung finden bereits im Herbst 1929 statt.

Im Dezember 1930 heiraten der mittlerweile geschiedene Carl-Axel Söderström und Clärenore Stinnes. Aus der geschäftsbedingten Reisebegleitung war nach zwei Jahren Liebe geworden. Das Ehepaar Söderström geht im Jahr 1932 nach Schweden, sie bewirtschaften dort gemeinsam einen Gutshof und ziehen ihre drei eigenen Kinder sowie mehrere Pflegekinder groß. Allerdings, so verfügte Clärenore Stinnes, die 1990 in Schweden mit fast 80 Jahren starb, sollte ihre Lebensgeschichte, niemals als Liebesgeschichte erzählt werden. An diese Weisung hielt sich die Regisseurin Erica von Moeller, die mit ihrem Dokumentarspielfilm „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“ der weltumreisenden Pionierin Clärenore Stinnes in diesem Jahr ein filmisches Denkmal gesetzt hat.

Ergänzt wird der Film, in den Originalsequenzen Söderströms eingefügt wurden, durch die gleichnamige Ausstellung „Fräulein Stinnes fährt um die Welt“. Diese ist vom 9. Oktober bis 15. November im Museum Wilnsdorf, Rathausstraße 9, und danach vom 24. Januar bis 25. April 2010 im frauen museum wiesbaden, Wörthstraße 5, zu sehen.        Anne Bruch

Foto: Keine Angst vor Problemen: Clärenore Stinnes (kleines Foto) überwand mit Carl-Axel Söderström  jedes Hindernis (Filmszene).


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