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17.10.09 / Virtuose im Schatten von Weber und Wagner / Der Komponist Louis Spohr schuf über 200 Werke – Am bekanntesten sind seine Opern »Jessonda« und »Faust«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-09 vom 17. Oktober 2009

Virtuose im Schatten von Weber und Wagner
Der Komponist Louis Spohr schuf über 200 Werke – Am bekanntesten sind seine Opern »Jessonda« und »Faust«

In der Musikgeschichte, die darin nicht weniger ungerecht ist als andere Zweige der Historie, gibt es viele Genies, die fast vergessen werden, weil sie von anderen Genies überschattet sind, an denen man den musikalischen Fortschritt üblicherweise festmacht. So steht es auch mit der deutschen romantischen Oper, die, mit dem „Freischütz“ (1821) Carl Maria von Webers richtig einsetzend, dann durch Richard Wagner ab dessen „Fliegendem Holländer“ (1843) zu ihrem Höhepunkt geführt wird. Einer der Namen, die historisch dazwischen liegen, ist deutlich weniger populär: Ludewig (so der Taufname, ansonsten: Louis) Spohr.

Halt, werden hier die engagierten Violinspieler einwerfen: Die Violinschule (1831) von Louis Spohr ist ein nach wie vor sehr geschätztes Grundwerk dieser Kunst, zu deren Kanon seine 15 (!) Violinkonzerte ebenfalls gehören. Als ein abgründiger Geigen-Dämon wie der Zeitgenosse Paganini ist Spohr zwar nicht überliefert, aber sein gefühlvolles Virtuosentum trug auch ihm zu Lebzeiten internationalen Ruhm ein.

Aber wie steht es mit Spohrs zehn Opern, deren bemerkenswerteste „Jessonda“ von 1823 ist? Die harrt durchaus noch des Erweckungskusses des aktuellen Regie-Theaters.

Louis Spohr wurde 1784 in Braunschweig geboren und starb am 22. Oktober 1859 in Kassel, wo er seit 1822 als Hofkapellmeister des Kurfürsten auf Empfehlung Carl Maria von Webers eingestellt worden war.

Von seiner dortigen Biographie ist an Äußerlichkeiten nur zu vermelden, dass er im Revolutionsjahr 1848 dem Hofe etwas unsympathisch wurde, da er sich zu liberalen Äußerungen hatte hinreißen lassen, woraufhin er 1857 in den Ruhestand entlassen wurde.

1799 war Spohr in das Musikleben  als Kammermusiker des Herzogs von Braunschweig eingestiegen, mit dem Schwerpunkt Violinspiel, worin er bald derart brillierte, dass er schon 1805 Hof-Konzertmeister im Herzogtum Gotha wurde. Dort heiratete er, natürlich eine Musikerin, die Harfen- und Klavierspielerin Dorette Scheidler, und trat einer Freimaurer-Loge bei.

Es folgten Stellungen als Kapellmeister im „Theater an der Wien“, internationale Reisen als Virtuose, ab 1817 Kapellmeister in Frankfurt am Main, das sich als zentraler Tagungsort des „Deutschen Bundes“ auch eine gehobene musikalische Kulturszene schuldig war, wieder triumphale Konzertreisen, am Ende also Kassel.

Dort wirkte er ganz im Stile der Zeit, auch durch Gründung eines Gesangvereins für Oratorien. Spohr komponierte selber Oratorien, die von der Fachwelt denen Mendelssohns an die Seite gestellt werden. Allerdings merken die Musikologen hier an, dass Spohr unbeirrt an den klassischen Vorbildern Mozart und Beethoven festhielt, das heißt: Er verweigerte sich den seit Schubert beliebten Verunklarungen der in einer Partitur herrschenden Tonart, der chromatischen Verfremdung (Höhepunkt in dieser Hinsicht ist Wagners „Tristan“).

Spohrs kompositorische Fruchtbarkeit (auch Kammermusik und vier Symphonien) war umso bemerkenswerter, als sie mit der Wahrnehmung seiner allgemeinen Musikverwaltungspflichten in Kassel einhergehen musste.

Seine „Jessonda“, damals viel umjubelt, hat ausgedehnte Tanzeinlagen. Das Vorbild ist Webers „Freischütz“, obwohl die Handlung in der portugiesischen Kolonie Goa an der Westküste Indiens angesiedelt ist.

Das Libretto ist eindeutig europäisch-kolonialistisch: Jessonda ist die Witwe des Radscha Soundso und soll sich  nach dessen Tod verbrennen lassen, wie es unter Hindus nicht unüblich war. Doch sie liebt den portugiesischen Seefahrer Tristao d‘Acunha – jemanden mit diesem Namen gab es auch im wirklichen Leben, nach ihm heißt eine Insel im Süd-Atlantik. Dem Opern-Tristao gelingt es tatsächlich, Jessonda vor dieser heidnischen Unsitte zu retten.

Was hat das mit Webers „Freischütz“ zu tun? Die Technik des Leitmotivs, zumindest embryonal, und das Bestreben, Text, Musik und Augenweide, letztere in Gestalt von folkloristischen Balletten, zum romantischen Ideal des „Gesamtkunstwerkes“ zusammenzufügen.

Auch Spohrs Oper „Faust“ sei noch beispielhaft erwähnt. Die war 1816 im Prager Ständetheater erst als Singspiel aufgeführt worden, von Weber persönlich dirigiert, und kam später als durchkomponierte Oper 1852 in London groß heraus.

Der Inhalt orientiert sich nicht am Tiefsinn von Goethes „Faust“, sondern begnügt sich mit den bunten Effekten des „Volksbuches vom Doktor Faust“ von 1587: Faust macht sich durch Mephistos Zauberkunststücke die Gräfin Kunigunde gefügig, gerade als sie eigentlich mit dem Grafen Hugo Hochzeit feiert. Genau deswegen holt ihn dann der Teufel, und Fausts reine und schnöde verlassene Geliebte Röschen geht verzweifelt ins Wasser.

1993 wurde „Faust“ in Bielefeld erstmals seit langem wieder gespielt. Es muss also nicht immer Mozart, Wagner, Verdi und Puccini sein – was ist mit dem heuer fälligen Spohr-Jubiläum?  Bernd Rill


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