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24.10.09 / Einladung zur Schnüffelei / Terrorbekämpfung in den USA auf Abwegen: Leise Erinnerungen an »Big Brother«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-09 vom 24. Oktober 2009

Einladung zur Schnüffelei
Terrorbekämpfung in den USA auf Abwegen: Leise Erinnerungen an »Big Brother«

Der letzte große Fisch ging den US-amerikanischen Terroristenjägern nicht durch eine wilde Verfolgungsjagd ins Netz, sondern durch die Aufmerksamkeit eines Drogerie-Verkäufers. Dieser beobachtete, wie ein arabisch aussehender junger Mann unübliche Mengen von Kosmetik kaufte. Vor allem Wasserstoffperoxid, ein bekanntes Desinfektionsmittel für Haut, Zähne und kleine Wunden. Auf die Frage, was er mit all dem Zeug wolle, antwortete er, er hätte so viele Freundinnen. Das kam dem Verkäufer merkwürdig vor. Kurzentschlossen rief er die Polizei an. Diese informierte das FBI. Was der Verkäufer nicht wusste: Mit Wasserstoffperoxid kann man Bomben bauen. Der Tipp des Verkäufers endete mit der Verhaftung von Najibullah Zazi (24) und seinem Vater. Beide werden nach Verhören  einer Verbindung zu Al Kaida beschuldigt. Auch hätten sie Terroranschläge in den USA geplant, was sie jedoch bestreiten.

Dieser jüngste Vorfall kam dem allmächtigen Polizeichef von Los Angeles, William J. Bratton, gerade recht als Paradebeispiel für sein neues ehrgeiziges Anti-Terror-Programm „iWATCH“. Hierfür werden die Bürger aufgefordert, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und umgehend zu melden, wenn sie etwas Verdächtiges sehen, hören oder riechen. Das „iWATCH“-Programm, ursprünglich für Los Angeles entworfen, wurde von Chief Bratton Anfang Oktober auf der Konferenz der Polizeichefs von 63 der größten Städte in den USA vorgestellt und von diesen übernommen. In Großaktionen sollen die Bürger aufgerüttelt und informiert werden, wie sie selber einen womöglich wesentlichen Beitrag zur Terrorbekämpfung leisten könnten. Die Internetseite „iWatchLA.org“ verrät Näheres: „Nach dem 11. September müssen wir alle zusammenarbeiten, um künftige Attacken zu verhindern“, heißt es da. Und: „,iWATCH‘ fordert Sie auf, Aktivitäten und Verhaltensweisen zu melden, die ungewöhnlich und außerhalb der Norm erscheinen … Vor allem in wichtigen Gebäuden, auf Großveranstaltungen wie Sportereignissen, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auch im eigenen Bereich.“

Aber was ist „ungewöhnlich“ und „meldenswert“? Zum Beispiel, so „iWATCH“, Fremde, die Zeichnungen anfertigen von wichtigen Gebäuden. Die Fragen stellen über Sicherheitsmaßnahmen und Tagesabläufe prominenter Personen. Ferner Autos oder Lastwagen, die länger in Parkverbotszonen stehen. Taschen, Rucksäcke oder auch Brieftaschen, die in öffentlichen Gebäuden wie Flughäfen und Bahnhöfen scheinbar „vergessen“ oder „verloren“ wurden. Auch verdächtige chemische Gerüche sollen gemeldet werden. Beispiel: Eine Großmutter bemerkte einen solchen Geruch aus einer Wohnung auf ihrem Flur, dazu  Personen in der an sich unbewohnten Wohnung. Sie erstattete Bericht und eine Gruppe, die Giftgas herstellte, flog auf.

So hat es durchaus Sinn. Aber die Bürger sollen auch darauf achten, wie im anfangs genannten Beispiel,  was andere kaufen oder ob Menschen zu dick angezogen sind für warmes Wetter (Selbstmordattentäter?). Spätestens hier beginnen die Schwierigkeiten, die Gefahr von Denunziation, Bespitzelung und Missverständnissen durch Verallgemeinerungen. „Das Programm spielt in negative Denkweisen hinein“, findet Mike German, früherer FBI-Beamter in der Terrorabwehr und heute Berater der US-Bürgerrechtsunion. „Die Leute verfallen in Klischee-Bilder, wie ein Terrorist aussehen muss, wenn sie sich entschließen, Meldung zu erstatten. Insgesamt hilft das nicht.“

Unwillkürlich erinnert das „iWATCH“-Programm an einen Plan, den Präsident Bush nach „9/11“ verfolgte: Danach sollten Postbeamte, Handwerker und andere, die Zugang zu privaten Wohnungen haben, angeleitet werden, auf Verdächtiges zu achten und es dem FBI zu melden. Das wurde nach juristischen Protesten abgelehnt. Aber nun haben wir „iWATCH“. Nicht genug, dass „Big Brother“ in Gestalt ungezählter Kameras in der eigenen Wohnung, auf der Straße und anderswo jeden Schritt kontrolliert, jetzt kann man nicht einmal mehr ohne nervöses Zucken Wasserstoffperoxid und Kosmetik auf Vorrat kaufen oder einen dicken Pulli im Sommer tragen, weil man vielleicht erkältet ist. Obwohl Chief Bratton versichert, dass die Bürgerrechte im Programm gesichert sind: „Bitte bedenken Sie“, heißt es gleich mehrfach beruhigend in der Broschüre und auf der Internetseite von „iWatch“LA.org, „dass es bei diesem Programm um Aktivitäten und Verhaltensweisen geht, nicht um Personen.“ Das klingt gut. Aber leider ist beides nicht zu trennen.       Liselotte Millauer


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