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24.10.09 / Perfekter Zeitpunkt? / Frau verabschiedet sich von Lebensvorstellungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-09 vom 24. Oktober 2009

Perfekter Zeitpunkt?
Frau verabschiedet sich von Lebensvorstellungen

Nach Ivana Jeissings gelungenem und preisgekrönten Erstling „Unsichtbar“ ist bei Diogenes nun der zweite Roman der Autorin mit dem Titel „Felsenbrüter“ erschienen. Wem bereits im Roman „Unsichtbar“ die ungewöhnlichen Charaktere der Akteure und die originelle Sprache gefallen haben, wird auch „Felsenbrüter“ mögen.

Wie oft denken wir uns im Leben bezüglich mancher Mitmenschen unseren Teil, bezeichnen sie als wunderlich oder sind davon überzeugt, dass sie die eine oder andere Meise haben. Frei nach dem Motto „Jedem Tierchen sein Plaisirchen“ hat die Ende 30-jährige Martha bereits aufgehört, sich über die Eigenarten ihrer Mitmenschen zu wundern. Ob es nun ihr bester Freund Henk ist, der als Bauchredner keinen Schritt ohne seine alles kommentierende Handpuppe Honky Tonk macht, oder der alte Hotelbesitzer Mister Horn, der sich täglich eine Weile aus dem Fenster hängt, um seiner Ehefrau treu zu bleiben, all das vermag Martha nicht mehr aus der Ruhe zu bringen. Doch hat dieses schicksalsergebene „Sich nicht mehr wundern“ leider ernste Hintergründe, denn Marthas Ehemann Tom hat sie für eine deutlich jüngere Frau verlassen.

Zutiefst verletzt besucht Martha mit ihrer resoluten 70-jährigen Tante Maud die kleine Kanalinsel Sark, um dort ihr Leben neu zu ordnen. Und dank ihrer unverblümten Art ist ihre Tante genau die richtige Gesellschaft für die traurige, gekränkte Martha, auch wenn es manchmal schmerzlich ist, von jemandem die Wahrheit zu hören, statt tröstender Worte.

„,Tom aber hätte sich trotzdem von dir getrennt‘, sagt Maud. ,Und warum?‘ ,Weil eure Erwartungen an das Glück auf einem verhängnisvollen Irrtum basierten.‘ ,Und der wäre?‘, frage ich und will die Antwort eigentlich gar nicht hören. ,Der Glaube, dass Glück etwas mit dem perfekten Zeitpunkt zu tun hat.‘ ,Aber es gibt den perfekten Zeitpunkt.‘ ,Es gibt eine Vorstellung und eine Idee von unserem Leben, die uns denken lässt, dass etwas gerade zu einem bestimmten Zeitpunkt geschehen muss. Oder nicht.‘“ Doch warten auf Sark nicht nur Lebensweisheiten und seltene Vogelarten auf Martha, sondern auch Selbsterkenntnis sowie ein attraktiver Tier-Präparator namens Christian.

Ivana Jeissings zweiter Roman „Felsenbrüter“ steckt voller Wehmut und Herzschmerz, ist trotzdem nicht kitschig und besticht durch seine subtile Komik und unterschwellige Heiterkeit. A. Ney

Ivana Jeissing: „Felsenbrüter“, Diogenes, Zürich 2009, gebunden, 228 Seiten, 19,90 Euro


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