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24.10.09 / Der Wochenrückblick mit Klaus J. Groth

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-09 vom 24. Oktober 2009

Bitte ein bisschen mehr Toleranz / Wenn sich Gestirne falsch und Leute nicht bewegen / Besser schulfrei als Schule schwänzen
Der Wochenrückblick mit Klaus J. Groth

Der Mann kann von Glück sagen, er lebt heute. Ein bisschen weniger Arbeit hat Sarrazin nun, da kann man wirklich nicht meckern. Zu anderen Zeiten wurde für ein wenig Wahrhaftigkeit mit anderer Münze gezahlt. Da konnte einer schon froh sein, wenn ihn die Inquisition nicht auf den Scheiterhaufen schickte, nur weil er die Erde ein wenig um die Sonne kreisen ließ – und nicht die Sonne um die Erde, wie vorgesehen. Diese Auffassung war zwar, wie heute jedes Kind weiß – (na ja, sagen wir angesichts der Bildungsnotstandes: Ein paar Kinder wissen) –, total falsch, aber amtlich. Und amtlich ist immer richtig. Wenn der Galileo mehr Ärger hatte als der Sarrazin, das ist zu verstehen. Bei Galileo drehte sich alles um die Bewegung der Gestirne, bei Sarrazin um Leute, die sich nicht bewegen wollen.

Zudem: So grundlegend waren Sarrazins Erkenntnisse ja wohl nicht. Und die überwiegende Zahl der Bürger ist ja auch darauf gekommen. Bedeutend früher als Sarrazin. Trotzdem fiel die Strafe für Sarrazins kesse Lippe nicht milde aus. Im Gegenteil. Wer den Leuten ins Herz schaut und sagt, was er gesehen hat, der ist suspekt.

Das Meinungsklima in diesem Land ist nicht nur schon lange stickig, die Meinung wird an straffer Leine geführt. Oder warum sonst meldeten sich die Fürsprecher Sarrazins unter den Multiplikatoren (tatsächlich, die gibt es) erst nach dessen Teilexekution? Warum waren die Fürsprecher auf Augenhöhe, die Politiker und die Funktionäre gleicher Kompetenz, nicht schon zu hören, als noch um Aussagen gestritten wurde und nicht über die Sanktionen?

Wobei Thilo Sarrazins Lebensumstände (siehe oben) wohl gar nicht zu bejammern sind. „Dem geht’s ja noch gold“, hätte Walter Kempowski gesagt. Schlimmer hat es wieder einmal die Meinungsfreiheit erwischt. Dabei ziert nichts eine Sonntagsrede so trefflich wie das Bekenntnis zur Meinungsfreiheit. Davon gab es einige sehr hübsche Blüten in der vergangenen Woche zu pflücken. China war als Ehrengast zur Frankfurter Buchmesse eingeladen – und so wurde die Bücher-Schau von Angela Merkel und dem stellvertretenden Staatspräsidenten Chinas, Xin Jinping, mit zierlich gesetzten Worten eröffnete. Weil von der Meinungsfreiheit immer dann besonders viel und gerne gesprochen wird, wenn es um sie nicht zum Besten steht, war das selbstverständlich auch dieses Mal der Fall. Das ist immer so, wenn die Sache irgendwie mit China zu tun hat. China und Meinungsfreiheit, das passt nicht. Da kann das Reich der Mitte noch so viel Geld in sein Programm „Soft Power“ stecken, das im Ausland die kulturellen Werte Chinas vermitteln soll – die Meinungsfreiheit war in China noch nie ein kultureller Wert und wird es vorerst auch nicht werden. Die Veranstalter der Buchmesse wussten das vorher, und die Chinesen wissen das sowieso. Sie haben damit kein Problem. Weshalb der werte stellvertretende Staatspräsident Xin Jinping auch kein Problem damit hatte, angesichts der vielen wohlmeinenden  Ermahnungen fein zu lächeln. Er verkniff sich dann aber doch den Hinweis auf einen gewissen Herrn „Sallazin“, von dem er gerade in jenen Tagen viel gehört hatte.

Der werte Xin Jinping hat allerdings auch nichts davon gesagt, ob in seinem „Soft Power“-Programm vielleicht noch ein hübscher konfuzianischer Feiertag steckt. Offenbar tut sich eine neue Lücke auf, von der wir noch nichts ahnen. Offenbar ist es an der Zeit, den christlichen Feiertagen ein paar in anderen Religionen begründete Festtage zur Seite zu stellen. Hier irrte Thilo Sarrazin, als er türkischen Mitbürgern unterstellte, sie besäßen „keine produktive Funktion“. Haben sie doch: Sie produzierten die Idee eines muslimischen Feiertages für alle. Den Vorschlag machte die Türkische Gemeinde in Deutschland. Deren Vorsitzender Kenan Kolat sieht darin „ein Zeichen der Toleranz“. Und Hans-Christian Ströbele, der noch kein Moslem ist, möchte den Tag gleich als gesetzlichen Feiertag zementieren.

Soll man die beiden Herren nun dafür tadeln? Auch sie wollen unsere Kultur nur ein wenig bereichern. Und überhaupt, wieso feiern Moslems mit uns Weihnachten und Ostern – und wir dürfen das an Ramadan und dem Opferfest nicht? Und das thailändische Lichterfest in November, das ist doch auch sehr schön. Jedenfalls hübscher als Buß- und Bettag. Der ist uns 1995 abhanden gekommen. Kurzerhand gestrichen wurde er, weil er zu teuer geworden war.

Also, wurde damals gesagt, den Tag können wir uns nicht mehr leisten, wenn die Arbeitgeber ihren Anteil in die Pflegeversicherung zahlen sollen. Der muss erst einmal erwirtschaftet werden, und das geht nur, wenn die Arbeitnehmer mehr arbeiten. Dann können die Arbeitgeber auch ihren Beitrag leisten.

Ist es da nicht umso freudiger zu begrüßen, wenn von unverhoffter Seite ein neuer Vorstoß gestartet wird? Überhaupt ging es erst einmal nur um einen schulfreien Tag. Der fiele nicht weiter ins Gewicht, wenn die Kinder sowieso nichts lernen oder schwänzen. Dann schon besser ein schulfreier Tag, da können sie nicht schwänzen. Und was später kommt, das wird man sehen.

Mehrfach wurde in diesem Beitrag bereits der Versuch unternommen, endlich mal über etwas anderes zu schreiben als über Thilo Sarrazin. Doch das Thema lässt sich einfach nicht abschütteln, irgendwie hat alles mit dem skandalisierten Interview zu tun. Zum Beispiel die Frage: Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitern um? Wahrhaft Beispielhaftes wurde uns in dieser Woche vor Augen geführt. Drei Fälle, drei Reaktionen.

Fall 1: Axel Weber / Thilo Sarrazin. Axel Weber ist Chef der Bundesbank. Obgleich, das hört er nicht so gerne, denn das hört sich nach Machtanspruch an und dazu bekennt sich am wenigsten, wer am meisten Macht beansprucht. Axel Weber hört es lieber, er sei Erster unter Gleichen. Das ist keine Erfindung von ihm und funktioniert bei ihm so wenig wie anderswo. Ist auch egal. Jedenfalls wurde schon lange angedeutet, der Weber und der Sarrazin, der Erste und der Gleiche, die können nicht gut miteinander. Das kommt vor. Profis versuchen das zu kaschieren. Das gelingt nur für eine Weile, dann brechen die Ur-Instinkte aus der Sandkiste wieder hervor.

Nach seinem Interview stand Thilo Sarrazin im Regen, erst Axel Weber schubste ihn unter die Traufe. Er sah die Reputation der Bundesbank ramponiert. Die allerdings leidet gegenwärtig mehr unter dem Schlagabtausch „haust du meine Förmchen, hau ich deine Förmchen“.

Fall 2: Hilmar Kopper / Dirk Nonnenmacher. Das Traum-Duo, Mister Peanuts und Mister Verlust-Boni, der Aufsichtsrat und der Vorstand, sie führen uns mitten in den Sumpf des Geldmarktes, dorthin, wo wir das Gruseln lernten und wohin wir niemals wieder wollten. Es hilft nichts, wir müssen, wenn wir verstehen wollen, warum wir nichts verstehen. Nonnenmacher, trotz Verlustgeschäften mit einem Bonus von 2,9 Millionen Euro ausgestattet, war in ein Geschäft der HSH Nordbank involviert, das nämliche Bank schlappe 500 Millionen Euro kostete … und die Reputation. Aber in diesem Fall war das offenbar nicht so schlimm. Das kann ja mal passieren. Nur, wenn Nonnenmacher in den schrägen Deal einbezogen war, warum

mussten dann erst Unterlagen in die Öffentlichkeit lanciert werden, ehe die Sache aufflog? Heute steht Nonnenmacher dem Laden in vierfacher Funktion vor (Vorsitzender des Vorstands, Finanzvorstand, Risikochef, Leiter des operativen Geschäfts), wäre es nicht an ihm gewesen, zu sagen, was er weiß, ehe er gefragt wird?

Wahrscheinlich ist diese Frage überaus naiv. Hilmar Kopper jedenfalls, der Aufsichtsrat, sprach dem Mann sein uneingeschränktes Vertrauen aus.

Fall 3: Sechs Maultaschen. Für eine 58 Jahre alte Altenpflegerin fand sich nach 17 Jahren im Betrieb niemand, der nach der widerrechtlichen Aneignung von sechs (die Beklagte sprach von vier) bei Tisch übriggebliebener schwäbischer Maultaschen ihr das Vertrauen ausgesprochen hätte. Nicht einmal ein eingeschränktes.

Hans Heckel ist noch bis zum 26. Oktober im Urlaub.


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