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31.10.09 / »Bescheidener werden« / Paul Kirchhof plädiert für den schlanken Staat und die Tugend des Sparens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-09 vom 31. Oktober 2009

»Bescheidener werden«
Paul Kirchhof plädiert für den schlanken Staat und die Tugend des Sparens

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter und heutige Direktor des Instituts für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg, Paul Kirchhof, plädiert dafür, die kommende Regierungsarbeit unter das Motto „Mehr Bescheidenheit wagen“ zu stellen.

In einem Gespräch mit PAZ-Autor Jürgen Liminski sagte Kirchhof, es komme „jetzt darauf an, ob diese Regierung die große Reform des ganzen Finanzwesens in Anspruch nimmt, und ich glaube, das wird sie tun. Das ist das Steuerrecht, das ist natürlich die Ausgabenseite, das sind selbstverständlich die Sozialversicherungen. Jeder spürt, dass wir dort umstrukturieren müssen, dass wir auch bescheidener sein müssen. Wir werden unser hohes Niveau unseres Lebens (auch im Finanziellen) nachhaltig nur erhalten können, wenn wir bescheidener werden. Und eine mutige Politik, die dem Bürger diese Botschaft überbringt, wird verstanden. Der Politiker wird ernst genommen, weil er die Probleme anspricht und weil er verheißt, er wird sie bewältigen können.“

Zwar zeigt sich Kirchhof erfreut, dass die sogenannten Schattenhaushalte zunächst vom Tisch seien, aber anders als die gängige Kritik in den Medien, sieht er darin auch ein grundsätzliches Problem. Das Parlament könne nicht übersehen, wie viele Ausgaben es zu verantworten habe und deshalb seiner demokratischen Verantwortung nicht gerecht werden. „Außerdem braucht der Bundesfinanzminister, auch der Bundeskanzler eine vollständige Übersicht über das, was finanziell geschieht. Die Öffentlichkeit, die ja auch kontrollieren will mit ihrer Kritik, muss wissen, wie viele Ausgaben der Staat tätigt, wie viele Schulden er macht. Die Finanzplanung braucht die Daten und nicht zuletzt der Bundesrechnungshof, der die Wirtschaftlichkeit des Staatshaushaltes prüft, braucht eine vollständige Rechnung.“ All das werde durch Schattenhaushalte erschwert. Er sei aber zuversichtlich, dass der Versuch, Nebenhaushalte anzulegen, auch künftig nicht unternommen werde. Das würde auch dem verfassungsrechtlichen Gebot der Schuldenbremse zuwiderlaufen. Kirchhof: „Ich glaube, es gibt nur einen Weg. Wir müssen erstens entschieden die Schulden benennen – die Zahlen sind ja weitgehend bekannt – und zweitens: Wir müssen die Tugend des Sparens gerade für den öffentlichen Haushalt wiederentdecken. Es ist verführerisch unter Menschen, die alle Geld wollen, Geld bereitzustellen zu Lasten der nächsten Generation, unserer Kinder, die die Verschuldung finanzieren müssen. Diese Generation kann sich heute noch nicht wehren, sie hat auch kein Wahlrecht. Der Staat muss schlanker werden, er ist zu korpulent geworden, er hat zu viel an finanziellen Begünstigungen und vor allem Lenkungen vorgesehen. Das Gebot der Stunde heißt schlanker Staat!“

Sparprioritäten würde Kirchhof in diesem Sinn bei der Steuer setzen. „Wir haben viel zu viele Steuervergünstigungen, Steuerlenkungen. Da haben wir in den letzten Jahren gesprochen über die Lenkung in den Film und in die Schiffe. Wir haben Verlustzuweisungsgesellschaften, also Steuervergünstigungen, wenn jemand sich beteiligt an einem Unternehmen, das Verluste macht, jedenfalls steuerliche Verluste macht. Wir hatten vom Bundesgerichtshof das Stichwort Schrottimmobilie. Da haben die Steuergesetze den Menschen angereizt, Schrott zu kaufen, also Grundstücke, die man nicht vermieten, also nicht veräußern kann. Diese Anreize zur ökonomischen Unvernunft sind schädlich, weil sie Kapital fehlleiten. Sie sind schädlich, weil einer begünstigt wird und der andere Steuerzahler deswegen mehr zahlen muss. Sie sind schädlich, weil der Bürger sich durch diese Steuerverlockungen seine Freiheit abkaufen lässt. Aus dem freien Bürger wird ein gelenkter Bürger, und das ist eigentlich für unser freiheitliches System katastrophal.“ Der Gesetzgeber könnte, wenn er auf diese Steuervergünstigungen und Privilegien verzichten würde, „wesentlich Geld sparen und damit natürlich auch das Steuerrecht bereinigen, die Steuersätze senken, aber auch die Haushaltsfrage entspannen“.

Kirchhof begrüßt die Erhöhung des Kinderfreibetrags. Sie schaffe „ein Stück mehr Gerechtigkeit für die Familien. Wenn die Eltern ein Einkommen erzielen und ein Teil dieses Einkommens gehört den Kindern, weil die Eltern den Kindern unterhaltspflichtig sind, dann können die Eltern über diesen Teil des Einkommens nicht verfügen, auch nicht für Zwecke der Steuerzahlung verfügen. Also muss dieser Betrag von dem steuerbaren Einkommen abgezogen werden, und zwar in der Höhe, wie das Kind tatsächlich Geld braucht. Das Kind will heute ... nicht nur ernährt und gekleidet werden, sondern es will in den Sportverein, es will ein Musikinstrument spielen, es will vielleicht einmal fremden Kulturen und Sprachen begegnen. All das kostet das Geld der Eltern und deswegen müssen die Freibeträge entsprechend erhöht werden.“           J.L.

Foto: Subventionen: Inwieweit kann hier noch gespart werden?

 

Zeitzeugen

Paul Kirchhof – Als Mitglied des „Kompetenzteams“ von Angela Merkel vor der Wahl 2005 wurde der parteilose Verfassungs- und Steuerrechtler (*1943) bundesweit berühmt. Noch mehr Schlagzeilen als die Sachargumente machte die Polemik der Gegner des „Professors aus Heidelberg“. Der ehemalige Verfassungsrichter (1987−1999) wollte einen einheitlichen Grenzsteuersatz von 25 Prozent, den die SPD bekämpfte.

 

Wolfgang Franz – Der 1944 geborene Arbeitsmarktexperte ist Vorsitzender der fünf „Wirtschaftsweisen“. „Für nennenswerte Steuersenkungen besteht auf absehbare Zeit kein finanzieller Spielraum“, warnte der Sachverständigenrat die neue Koalition vor Entlastungen auf Pump. Ohne „harte Einschnitte bei den Ausgaben oder Steuererhöhungen“ könne die Sanierung nicht gelingen.

 

Philipp Mißfelder – Die „Konsenspolitik der Großen Koalition, muss zugunsten des Prinzips der Generationengerechtigkeit beendet werden“, forderte die Junge Union, deren Bundesvorsitzender der CDU-Politiker ist, anlässlich der Koalitionsverhandlungen. Der 30-jährige Mißfelder ist einer der jüngsten Bundestagsabgeordneten und einer der entschiedensten Befürworter solider Staatsfinanzen.

 

Hermann Otto Solms - Der FDP-Finanzexperte gilt als Vater der kurzlebigen Idee des „Sozialversicherungs-Stabilisierungsfonds“. Mit diesem Trick hätte Schwarz-Gelb in diesem Jahr 40 Milliarden Euro zusätzliche Schulden gemacht, diese optisch noch dem bisherigen Bundesfinanzminister Steinbrück (SPD) zugewiesen und außerdem die neue „Schuldenbremse“ teilweise umgangen. Das Scheitern dieses Vorhabens könnte Solms das von ihm offenbar angestrebte Amt des Bundesfinanzministers gekostet haben.

 

Wolfgang Schäuble − Der Ex-Innen- und neue Finanzminister der schwarz-gelben Koalition ließ die Schattenhaushaltspläne in seinem Ministerium prüfen. Die verfassungsrechtlichen Bedenken gaben dann – so heißt es – den Ausschlag für das Nein der Koalitionäre zu dieser Idee. Schäuble betont jedoch weiter die Notwendigkeit massiver staatlicher Investitionen – „Sparen wäre jetzt das falsche Signal“.


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