28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
31.10.09 / Bewusste Mehrdeutigkeit / Der Koalitionsvertrag ist an wichtigen Stellen nicht eindeutig – Wirtschaft verunsichert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-09 vom 31. Oktober 2009

Bewusste Mehrdeutigkeit
Der Koalitionsvertrag ist an wichtigen Stellen nicht eindeutig – Wirtschaft verunsichert

Winkt der Versicherungsbranche ein neuer Geschäftszweig? Wie viel Geld hat die Gesundheitsbranche zu erwarten? Bisher ist nur gewiss, dass es Streit zwischen den Koalitionären geben wird.

„Ein Koalitionsvertrag ist wie die Bibel. Auch bei der Heiligen Schrift einer jeden Regierung kommt es immer auf die Auslegung des Textes an“, spottete die „Financial Times Deutschland“ über das schnelle Ende der Harmonie zwischen den neuen Regierungspartnern. Hatten diese sich noch am Wochenende auf ihren jeweiligen Parteitagen feiern lassen, wurde genau durch jene Parteitagsreden offensichtlich, dass alle drei Parteien den Koalitionsvertrag in einigen Punkten anders deuten.

So ist die FDP überzeugt, dass der völlige Systemwechsel vereinbart worden sei, die CSU glaubt an wichtige Änderungen und die CDU geht davon aus, dass der Gesundheitsfonds auf jeden Fall erhalten bleibt.

Tatsächlich haben Union und Liberale auf 14 Seiten des Vertrages ihre Ideen zur Gesundheitspolitik entworfen, doch interessanterweise wird der Gesundheitsfonds nicht einmal erwähnt. Das sorgt natürlich für Unsicherheit bei den gesetzlichen Krankenkassen, den Ärzten, Krankenhäusern und der Pharmaindustrie. Was haben sie nun von der neuen Regierung zu erwarten, in welche Richtung sollen sie ihre Geschäftspolitik lenken?

Für die gesetzlichen Krankenkassen dürfte diese Unklarheit negative Auswirkungen haben. Eigentlich hatte ihre Lobby bereits vor den Koalitionsverhandlungen verlauten lassen, wie knapp man bei Kasse sei. Mehr Geld müsse her. 7,5 Milliarden Euro Defizit prognostizierte ihnen dann auch der Schätzerkreis der Bundesregierung. Doch nun behauptet das unabhängige Forschungsinstitut IGES, so schlimm sehe die Lage bei den gesetzlichen Kassen gar nicht aus. So sei maximal ein Fehlbetrag von fünf Milliarden Euro − davon zwei Milliarden Euro einmalige Einnahmeausfälle wegen der Krise − zu erwarten, der allerdings durch die noch vorhandenen Rücklagen ausgeglichen werden könne.

Sollte sich diese Vorhersage in den nächsten Monaten bewahrheiten, wäre der Druck, den die gesetzlichen Kassen auf die Koalitionspartner ausüben können, deutlich geringer. Doch ein geringerer Sachzwang lässt mehr Spielraum für Experimente und somit für Streit bei der neuen Bundesregierung. Da der FDP-Politiker und neue Gesundheitsminister Philipp Rösler klar für einen eingefrorenen Arbeitgeberanteil und einen einkommensunabhängigen Arbeitnehmeranteil plädiert, Merkel jedoch weiterhin auf den von ihr mit eingeführten Gesundheitsfonds pocht, dürfte es zu interessanten Gefechten zwischen den Verhandlungspartnern kommen. Wobei sich Experten fragen, wie die FDP den versprochenen Sozialausgleich bei den Arbeitnehmern aus Steuermitteln finanzieren will, wenn sie gleichzeitig durch Steuerentlastungen die Steuereinnahmen des Staates weiter reduziert.

„Heute haben wir einen riesigen Sozialstaat, bei dem die meiste Umverteilung innerhalb des breiten bürgerlichen Mittelstandes stattfindet. Wir müssen uns auf eine Umverteilung von Reich zu Arm konzentrieren, statt permanent innerhalb der Mittelschicht Gelder umzuverteilen“, forderte auch der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar, doch auch er ließ offen, wie das mit Steuerentlastungen vereinbar sein soll.

Bundeskanzlerin Merkel, die so oft auf die sparsame schwäbische Hausfrau verweist, dürfte es schwer haben, dieser beispielsweise zu erklären, wieso die neue Regierung Geld, das sie gar nicht hat, gleich zweimal ausgibt und in großem Stil neue Schulden aufnimmt. Hier dürfte auch ein zu erwartendes Problem von Schwarz-Gelb zu finden sein. Denn der Chef des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, erwartet, dass die Bürger das durch Steuerentlastungen erhöhte Budget nicht voll in den Konsum stecken werden. Zimmermann betont, dass die jetzige Wirtschaftsschwäche keine Folge eines zu geringen Konsums sei und der private Haushalt, ganz schwäbische Hausfrau, einen Großteil des zusätzlichen Geldes sparen werde. Insgesamt wirke der Koalitionsvertrag so, als sei es gegen alle ökonomische Realität vor allem darum gegangen, Wahlversprechen zu halten. Das spüren auch die Menschen, die nun noch härtere Zeiten als erwartet vorausahnen und nun erst recht sparen.

Bei der Pflegeversicherung ist man sich immerhin über die Richtung der Reform einig. Waren zu Zeiten der von Schwarz-Gelb ins Leben gerufenen Pflegeversicherung 1995 nur eine Million Menschen pflegebedürftig, so sind es jetzt bereits 2,2 Millionen. Die Kosten stiegen in dem Zeitraum von fünf Milliarden auf 18,3 Milliarden Euro pro Jahr. Tendenz stark ansteigend. Da es immer mehr ältere Menschen gibt, die immer seltener daheim betreut werden, soll neben der per Umlageverfahren finanzierten Pflegeversicherung ein Kapitalstock aufgebaut werden, der ähnlich wie die Riester-Rente gedacht ist. Doch während die Riester-Rente noch freiwillig ist, soll die kapitalgedeckte Pflege zum Zwang werden. Ob das Geld vom Staat verwaltet werden soll, wie es beim Gesundheitsfonds mit nur 21 Mitarbeitern geschieht, oder über private Versicherungskonzerne laufen soll, ist noch offen. Für die Finanzbranche bedeutet eine private Zwangs-Pflege eine neue Einnahmequelle.

Während die deutsche Wirtschaft also noch nicht weiß, inwieweit die neue Politik ihr per Saldo mehr oder weniger Einnahmen beschert, wissen die Bundesländer schon jetzt, dass der Koalitionsvertrag sie teuer zu stehen kommt. Wer vorgebe, mehr Bildung zu wollen, „darf die Länderhaushalte nicht plündern“, regt sich der rheinland-pfälzische Finanzminister Carsten Kühl (SPD) auf. Und auch CDU-geführte Bundesländer drängen schon jetzt zum Umlenken. Doch da kaum etwas konkret ist, gibt es hier viel Spielraum für Schwarz-Gelb.     Rebecca Bellano

Foto: Pflege: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein galt es als normal, dass eine der Töchter oder Schwiegertöchter die Pflege der Alten übernimmt. Inzwischen wurde sie zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren