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31.10.09 / China steigt weiter auf – Europa im Abseits?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-09 vom 31. Oktober 2009

Gastbeitrag
China steigt weiter auf – Europa im Abseits?
von Dieter Farwick

Die UN-Vollversammlung und der anschließende G20-Gipfel haben eines gezeigt: Die geopolitischen Gewichte in der Weltpolitik haben sich verschoben – zu Ungunsten Europas. Die G8-Gruppierung, die noch sehr europäisch geprägt war, hat an Bedeutung verloren. Die G20-Gruppe, die mehr asiatisch-pazifisch geprägt ist, ist zur dominierenden Kraft geworden – auch in Konkurrenz zu den Vereinten Nationen, die weiter an Bedeutung verloren haben.

Die Staaten im asiatisch-pazifischen Raum – Brasilien, China, Indien, Indonesien, Japan und Südkorea – bilden nicht nur demographisch das neue geopolitische Kraftzentrum. Diese Staaten sind die Gewinner der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Die USA werden ihre Position als Weltmacht auch in dieser Region wahren wollen und können, während Russland weiter an Bedeutung verlieren wird.

Russland verliert pro Jahr rund eine Million Bürger. Niedrigere Öl- und Gaspreise, Korruption, Organisierte Kriminalität, überbordende Bürokratie, fehlende demokratische Elemente führen den Russland-Kenner Boris Reitschuster in seinem lesenswerten Buch „Putins Demokratur“ zu düsteren Prognosen für die Zukunft Russlands. Besondere Sorgen bereiten dem Kreml die fortschreitende Entvölkerung Sibiriens sowie die fragile Lage im Kaukasus.

Europa wird auch nach der Zustimmung Irlands und der Tschechischen Republik zum Vertrag von Lissabon politisch nicht mit einer Stimme sprechen. Die meisten europäischen Staaten werden auf Jahre damit beschäftigt sein, ihre Hausaufgaben zu machen, um die Finanz- und Wirtschaftskrise zu bewältigen. Die Bildung der neuen Regierung in Deutschland zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten, die auch andere europäische Staaten haben.

Ein anderes Kraftzentrum bilden die Golfregion und der schiitische Iran, dessen Streben nach Nuklearwaffen in der Region sehr misstrauisch betrachtet wird und das einen neuen Wettlauf um nukleare Waffen in der Region auslösen kann.

In Afrika gibt es einzelne Staaten, die erfolgreich sind. Nach einem Bericht des „The Economist“ sind dies insbesondere Liberia, Ägypten und Angola. Allerdings ist Afrika weit davon entfernt, als Akteur auf der Weltbühne aufzutreten. Interne Probleme erschweren den Weg der Republik Südafrika zur regionalen Führungs- und Ordnungsmacht.

Für die nächsten Jahre gibt es einen Duopol: China und USA. Der ehemalige amerikanische „Nationale Sicherheitsberater“ zweier Präsidenten und heute einer der wichtigsten Berater des Präsidenten Barack Obama, Zbigniew Brzezenski, hat das Verhältnis beider Staaten bereits als „G2“ bezeichnet. Aus den ehemaligen „Feinden“ sind Partner in einer Vernunftehe auf Zeit geworden, da sie sich auf absehbare Zeit gegenseitig brauchen. China braucht die USA als Markt für seine Produkte, die USA brauchen China als Gläubiger.

Ein Störfaktor in diesem Verhältnis bleibt Taiwan. Allerdings  erscheint die Gefahr eines Krieges als eher gering. Beide Staaten entwickeln ein „modus vivendi“ – besonders in der Wirtschaft. So gibt es bereits heute auf dem „Festlandchina“ Tausende von taiwanesischen Investoren und Immobilienbesitzern.

Dass die Volksrepublik China den 60. Jahrestag ihres Bestehens auch mit einer monströsen Militärparade gefeiert hat, stimmt seine Nachbarn und auch die USA nachdenklich. China wird auf dem Wege zur Weltmacht noch schwierige innenpolitische Problem überwinden müssen. Die Einparteiendiktatur mit der Verachtung von Menschen- und Minderheitenrechten, die Korruption durch die Parteifunktionäre, die dramatische Umweltverschmutzung, die negativen Folgen der „Einkindpolitik“, die Probleme der Energieversorgung sowie die steigende Kluft zwischen den armen Menschen „auf dem Land“ und den reicher werdenden Menschen in den Küstenregionen werden eine kluge Politik verlangen, wenn größere innenpolitische Unruhen vermieden werden sollen.

Diese neue „Weltordnung“ ohne eine überragende Weltmacht wird als „multi-polar“ oder „non-polar“ bezeichnet. Der US-Präsident Barack Obama hat mehrfach erklärt, dass die USA den eigenen relativen Machtverlust akzeptieren.

Ob die „neue“ Weltordnung sicherer und konfliktfreier sein wird, ist mit einem Blick in die Geschichte und Gegenwart zu bezweifeln. Die Großmächte sind immer weniger in der Lage, anderen Staaten ihren Willen aufzuzwingen. So schaffen es die USA nicht, Israel zu zwingen, die Zwei-Staaten-Lösung unverzüglich zu akzeptieren. Auf der anderen Seite ist China nicht in der Lage, Nordkorea von dem gefährlichen Spiel mit dem Feuer – Atomwaffen und Raketentests – abzuhalten.

Der Iran zeigt sich unbeeindruckt von dem Bemühen einiger Staaten sowie der UN, sein Nuklearprogramm komplett kontrollieren zu lassen und eindeutig auf die Entwicklung von Nuklearwaffen zu verzichten.

Welche Gefahren drohen? 1) Der Energiebedarf wird weltweit weiter steigen. Damit zeichnet sich ein härterer Verteilungskampf um knappe Rohstoffe zu tragbaren Kosten ab. 2) Falls der Iran weiterhin den Besitz von Nuklearwaffen anstrebt, besteht die Gefahr, dass Israel – mit oder ohne Unterstützung – militärisch zuschlagen wird, um Zeit zu gewinnen. Ein Militärschlag hätte mit Sicherheit dramatische Folgen über die Region hinaus zum Beispiel auch für die Energieversorgung. 3) Afghanistan und Pakistan bleiben heiße Konfliktherde. Hier hätte Europa noch eine Chance, Einfluss zu gewinnen. Die europäischen Staaten in der Nato könnten durch eine zeitlich begrenzte militärische Verstärkung die Taliban entscheidend schwächen. Genauso wichtig wäre es, wenn sich die EU koordinierter und stärker an dem Aufbau ziviler Strukturen in Afghanistan engagieren würde. Der Aufbau der afghanischen Polizei, für den die EU verantwortlich ist, ist über bescheidene Ansätze nicht hinausgekommen.

Die derzeitigen Diskussionen über das weitere Vorgehen in Afghanistan sind zu sehr auf die militärische Komponente ausgerichtet. Mehr als die Soldaten fehlen die zivilen Aufbauhelfer, die unter dem Schutz von Soldaten und Polizei den Wiederaufbau Afghanistans betreiben könnten. In Pakistan müsste sich die EU in den Stammesgebieten engagieren, um die Lebensbedingungen der dort lebenden und leidenden Menschen zu verbessern.

4) In dem israelisch-palästinensischen Konflikt müssen die USA und die EU stärker auf Israel einwirken, die Zwei-Staaten-Lösung zu akzeptieren. Parallel dazu müssen Hamas und Fatah die Existenz des jüdischen Staates rückhaltlos garantieren. Hier müssten die arabischen Staaten – an der Spitze Saudi-Arabien – eine aktivere Mittlerrolle spielen.

5) Der internationale Terrorismus, besonders der islamistische wird eine Herausforderung bleiben. Besonders in Europa kommt eine steigende Islamisierung der Bevölkerung hinzu. In den „sozialen Brennpunkten“ wird die Auseinandersetzung zunehmen.

6) Im Schatten der aktuellen Konflikte wird die demographische Entwicklung die Kräfteverhältnisse verschieben. Russland verliert pro Jahrzehnt zehn Millionen Einwohner, ohne dass diese Entwicklung in den nächsten Dekaden gestoppt werden kann. Die hier beschriebenen geopolitischen Machtverschiebungen werden zu tektonischen Reibungen führen.

Europa als Einheit wird zunehmend die Rolle eines Zuschauers an der Seitenlinie einnehmen – gewollt oder ungewollt.

 

Der Autor ist Brigadegeneral a.D. und Chefredakteur von www.worldsecurity-network.com. Er war Direktor des Militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr und ist Mitglied des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London.


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