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07.11.09 / Regieren auf Sicht / Deutsche rätseln über Schwarz-Gelb: Was will Merkel? – Franzosen verschnupft über Westerwelle

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-09 vom 07. November 2009

Regieren auf Sicht
Deutsche rätseln über Schwarz-Gelb: Was will Merkel? – Franzosen verschnupft über Westerwelle

Vom gescheiterten Schattenhaushalt über den Gesundheitsfonds bis zur Steuerpolitik: Die neue, schwarz-gelbe Regierung lässt kaum klare Linien erkennen, schiebt Entscheidungen lieber auf.

Kritiker des Politikstils von Kanzlerin Angela Merkel sehen ihre Befürchtungen bestätigt. „Planlosigkeit ist ihr Prinzip, Fügung ihr Kompass, Herrschaft ihr Ziel“, schimpft „Stern“-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges und konstatiert nach dem „Fast-Fehlstart eines verfassungswidrigen Schattenhaushalts“: „Da war das Prinzip Merkel in seiner reinen Form zu besichtigen: Regieren auf Sicht.“

Das eher nicht im bürgerlichen Lager verortete Magazin spricht damit auch manchem Wähler von Union und Liberalen aus der Seele. Nicht allein die schnell wieder kassierte Idee eines „Sondervermögens“ zur Tarnung neuer Schulden erregte ihr Misstrauen. Vieles, was Unionsanhänger zuvor noch als unvermeidbares Zugeständnis an den roten Koalitionspartner geschluckt hatten, entpuppt sich nun als deren eigenes Anliegen.

So etwa das Festhalten am Gesundheitsfonds: Nur die FDP will ihn auf jeden Fall abschaffen, die CSU mag ihn zwar nicht besonders und möchte ihn zumindest regionalisieren, sie lehnt aber die von der FDP gewollte „Kopfprämie“ noch mehr ab als den Fonds, den nur die CDU bis aufs Messer verteidigt. Was am Ende herauskommt, steht in den Sternen.

Ähnliches gilt für die Steuerpolitik. Nachdem eine grundlegende Steuerreform („einfacher, gerechter“) zunächst ins Jahr 2011 verschoben wurde, gab Finanzminister Wolfgang Schäuble zuletzt die Parole aus: nicht vor 2013. Eine klassische Null-Aussage, denn 2013 endet bekanntlich die Wahlperiode dieser Regierung. Dass für die weitere Planung in Steuerfragen der Wahltermin in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 von Anfang an eine bestimmende Rolle spielte, verstärkt noch den Eindruck, dass hier mehr bekenntnislose Machtstrategie denn inhaltliche Überzeugung die Feder führt.

In dieses Bild passen auch die paar Nettigkeiten für Gastwirte, Apotheker oder Steuerberater, die auf Wunsch der FDP ins Koalitionspapier aufgenommen wurden. Das wichtige Vorhaben breiter Steuerentlastungen hingegen droht im Kugelhagel der CDU-Länderfürsten ein jähes Ende zu finden.

Sechs Kommissionen hat die Koalitionsrunde gebildet, um strittige Fragen später zu klären. Insgesamt 84 Prüfaufträge sind den Beratungsgremien auf den Weg gegeben worden. Spötter bezeichnen dies als „Kommissionitis“ und halten es für den Beweis der Planlosigkeit im zweiten Kabinett Merkel. Wo so viel nachverhandelt werden müsse, da wisse offenbar keiner, wohin es gehe, lautet das Urteil. Gnädigere Stimmen erinnern dagegen an die Erfahrungen mit dem „Basta-Kanzler“ Gerhard Schröder. Der habe wichtige Entscheidungen im Hauruck-Verfahren getroffen, um seine Entschlusskraft in Szene zu setzen. Das Resultat seien unzulängliche Gesetze, die nach ihrem Inkrafttreten nachbehandelt werden mussten. Als abschreckendes Beispiel werden die so genannten Hartz-Gesetze genannt: Die aus diesem mit heißer Nadel gestrickten Werk hervorgegangenen „Jobcenter“ wurden vom Bundesverfassungsgericht für grundgesetzwidrig erklärt und müssen bis Ende 2010 abgeschafft werden. So beschäftigt ein Schnellschuss der Schröder-Ära noch die übernächste Nachfolge-Regierung.

Es sind indes auch weniger die fehlenden Entscheidungen, die den Eindruck von der neuen Regierung trüben, sondern das Gefühl, dass die große Linie fehlt. Weder eine Sachverständigenkommission noch ein interministerieller Arbeitskreis könnten, so mahnt der Berliner Wirtschaftsprofessor Gert G. Wagner in der „Welt“, stellvertretend für die Politik Grundsatzentscheidungen treffen.

Im Ausland fallen die Beurteilungen der neuen deutschen Regierung günstiger aus als daheim. Dies mag zum einen daran liegen, dass die zahlreichen Details, welche die deutsche Debatte anheizen, aus der Entfernung sehr viel schwächer wahrgenommen werden. Zudem ist einstige Kritik an den „verkrusteten“, „veralteten“ Strukturen in Deutschland leiser geworden, seit vor allem solche Länder tief in die Krise geschlittert sind, die sich den Deutschen stolz als Vorbilder für den erfolg­reichen Strukturwandel empfahlen.

Der neue Außenminister Guido Westerwelle hat indes schon für  Irritationen gesorgt, als er seinen ersten Staatsbesuch nicht (wie traditionell seine Vorgänger) in Paris, sondern in Warschau machte. Die in solchen Fragen empfindlichen Franzosen könnten ihm das noch heimzahlen. Ob ausgerechnet Polen dann an seiner Seite stehen wird, bleibt den bisherigen Erfahrungen zufolge  fraglich. 

Mit unverhohlener Belustigung beschreibt die „Frankfurter Allgemeins Sonntagszeitung“ („FAS“) Westerwelles Debüt beim EU-Gipfel in Brüssel: „Er gibt sich ganz verblüfft und die Kanzlerin bewundernd, was für eine besondere Rolle Deutschland in der EU spiele.“ Darüber könne sonst niemand staunen, fügt die „FAS“ an und gibt damit ihrer geringen Meinung von den außenpolitischen Vorkenntnissen des frischgebackenen Chefdiplomaten zu Protokoll. Auch wurde verschiedentlich bemerkt, wie erpicht der FDP-Chef darauf war, dass ihn die Medien englisch reden hören. Dies deuteten die Kommentatoren als Ausdruck mangelnder Souveränität.

Kanzlerin Merkel hingegen genießt im Ausland nach ihrem neuerlichen Sieg eine gelegentlich fast ins Mystische gehende Bewunderung. „Sie ist die Königin der Mitte, und sie ist die Königin, weil sie selbst die Mitte ist“, schwelgt die Madrider Zeitung „El País“. Hans Heckel

Foto: Vertrautes Terrain: Beim EU-Gipfel führte Merkel Westerwelle in die Geflogenheiten ein.


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