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14.11.09 / Das Spitzenduo spielt Harmonie / Der SPD-Parteitag dürfte Sigmar Gabriel und Andrea Nahles auf den kleiner gewordenen Schild heben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-09 vom 14. November 2009

Das Spitzenduo spielt Harmonie
Der SPD-Parteitag dürfte Sigmar Gabriel und Andrea Nahles auf den kleiner gewordenen Schild heben

„Neuanfang Dresden“ titelt das SPD-Parteiblatt „Vorwärts“ kurz vor dem Dresdener Parteitag an diesem Wochenende – neben einem Bild, das SPD-Fahnen neben der neu aufgebauten Frauenkirche zeigt. Eine heikle Assoziation, hat doch noch jeder in Erinnerung, wie die Frauenkirche vor dem tatsächlichen Neuanfang aussah: Sie war ein großer Trümmerhaufen.

Und genau das – ein Trümmerhaufen, nicht eine frisch aufgebaute Kirche – kommt wohl den meisten Beobachtern in den Sinn, wenn sie sich mit der Situation der SPD befassen: Ein konstanter Abwärtstrend, nur noch 23 Prozent bei der Bundestagswahl, die De-facto-Abspaltung einer Art USPD (= Linkspartei), die der SPD permanent Prozente und die Meinungsführerschaft im linken Lager abgenommen hat, ein Mangel an programmatischen Perspektiven für die Zukunft des Landes, nur noch Nabelschau und Jammer, wohin das Auge blickt.

Das neue Führungsduo der SPD, Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles, sucht sein Heil folgerichtig in der schroffen Abgrenzung von den bisherigen Vorsitzenden Franz Müntefering und Gerhard Schröder sowie ihrer Agenda-Politik, die auch Frank-Walter Steinmeiers Handschrift trägt.

Die SPD dürfe nicht mehr sagen „es war alles richtig, was wir gemacht haben, die Leute waren nur zu dumm, es zu verstehen“, sagte Gabriel und brachte damit eher unfreiwillig ein zentrales Problem der SPD auf den Punkt. Schröder habe die Definition einer eigenständigen sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik aufgegeben. Auch Nahles findet für den Führungsstil in der SPD nur harte Worte: „In den vergangenen Jahren hat es bei uns eine Art Kündigungskultur gegeben. Wenn einem an der Spitze etwas nicht gepasst hat, hat er eben gekündigt oder damit gedroht.“ Damit müsse Schluss sein. „Als Vorsitzender muss man gewinnen können, aber auch mal verlieren können.“

Dabei sind Gabriel und Nahles einander selbst nicht grün, trotz des neuerdings aufgesetzten Geturtels bei den SPD-Regionalkonferenzen und im „Spiegel“-Interview. Nahles gilt als hartgesottene Linke, Gabriel eher als „Realo“ in der SPD. Jahrelang wechselten die beiden kein Wort miteinander. Gabriel ließ Nahles 2005 im Streit um den Posten des Generalsekretärs fallen wie eine heiße Kartoffel, Nahles und ihre Parteilinken verhinderten dafür 2007 den Einzug Gabriels ins Parteipräsidium. Mit ihrer Absprache brachte Nahles ihrem nunmehr künftigen Chef eine der bittersten parteiinternen Niederlagen seines Lebens bei, was Gabriel nicht vergessen hat. Ohnehin weiß der untersetzte „Harzer Roller“ (so einer der Spitznamen des Politikers aus Goslar), dass Nahles eine Intrigantin von hohen Graden ist. Schon im Alter von 35 Jahren, also just an der Schwelle vom Juso-Sandkasten zur richtigen Politik, hatte sie am Sturz von drei SPD-Bundesvorsitzenden entscheidenden Anteil – eine Abschussliste, die seinerzeit sogar das CSU-Blatt „Bayernkurier“ mit einer Art knurrendem Respekt staunend kommentierte. Diese beiden Königskinder sollen nun also die SPD retten – das verspricht zumindest unterhaltsam zu bleiben.

Inhaltliche oder progammatische Neuanfänge sucht man bei Gabriel und Nahles übrigens vergebens. Welche sollten das auch sein? Es könnte ja nur die radikale Abkehr von der bisherigen SPD-Regierungspolitik sein: Weg mit der Rente mit 67, die einst der damalige Arbeitsminister Franz Müntefering verkündete. Oder weg mit der Agenda 2010. Weg mit den einigermaßen strengen Hartz-IV-Regeln, hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen etwa. Aber mit solchen Utopien würde die SPD nicht nur ihre verbliebene Identität weiter beschädigen, sie bewiese auch, dass sie sich treiben lässt von der Linkspartei. Der Leitantrag auf dem Dresdener Parteitag enthält diese Forderungen folglich nicht, es heißt lediglich, die Reformen der letzten Jahre müssten „auf den Prüfstand der sozialen Gerechtigkeit“. Schwammiger geht es kaum.

Von daher entbehrt es nicht einer gewissen Konsequenz, dass Gabriel und Nahles als einzige echte Perspektive für die SPD eine Art potenzielle Machtperspektive entwickeln. Und die lautet: Ja zu Koalitionen mit den SED-Erben von der PDS-Linkspartei, und zwar auf allen Ebenen; weg mit hinderlichen Maßnahmen zur politischen Hygiene, auf denen Müntefering und Steinmeier zumindest im Bund bisher immer noch bestanden. „Es gibt keinen prinzipiellen Grund, nicht mit der Linkspartei im Bund zu koalieren. Es gibt aber auch keinen prinzipiellen Grund, es immer zu tun“, so Gabriel. Beobachter fragen sich indessen, welchen „prinzipiellen Grund“ es bei so viel Flexibilität noch zur Wahl oder gar zum Beitritt zur SPD geben sollte.

Strategisch sind die Aussichten der SPD prekär. Sie ist eingeklemmt zwischen dem sozialistischen Taktgeber Linkspartei und einer weitgehend sozialdemokratisierten CDU – mithin einer Kanzlerin, die die inhaltliche Beliebigkeit ebenfalls nicht selten zum Konzept erhebt, aber damit wenigstens taktisch Erfolg hat und die SPD aus der politischen Mitte verdrängt.

Die gemäßigten Sozialdemokraten – Relikte aus der eigenen Schröder-Regierungszeit – werden aufs Altenteil geschickt. Entweder direkt wie Peter Struck und Franz Müntefering oder faktisch. Oder hat in letzter Zeit jemand etwas von Frank-Walter Steinmeier gehört? Der ist zwar nominell Fraktionsvorsitzender, als Lohn für seine Mühen im Wahlkampf. Doch zu sagen hat er in der SPD nichts mehr, und es ist fraglich, wie lang er als überzeugter Gegner eines rot-dunkelroten Bündnisses im Bund sich in einer von Gabriel geführten SPD an der Spitze der Fraktion halten kann. Anton Heinrich

Foto: Brav applaudieren: Noch ordnet sich Andrea Nahles der Führung von Sigmar Gabriel unter.


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