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14.11.09 / Kruzifix-Urteil fördert die Diktatur der Minderheiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-09 vom 14. November 2009

Gastbeitrag
Kruzifix-Urteil fördert die Diktatur der Minderheiten
von Jürgen Henkel

Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil fällt, wonach Kreuze in Klassenzimmern gegen die Menschenrechte verstoßen, dann ist dies eine Entscheidung, die bezüglich der geistig-kulturellen und religiösen Identität Europas ans Eingemachte geht.

Es gab auch in der jüngeren Geschichte immer wieder staatliche Initiativen zur Abschaffung des Christentums: Nur kamen sie meist von Diktaturen, die menschenverachtende Ideologien umzusetzen versuchten, vom Nationalsozialismus bis zum Marxismus-Leninismus, der das Christentum auch wissenschaftlich widerlegen wollte.

Das jetzige Urteil aus Straßburg und vor allem seine Begründung unter dem Deck-mäntelchen des Minderheitenschutzes haben demgegenüber eine neue Qualität. Hier wird versucht, den „Schutz“ der religiösen Freiheit des Individuums zu Lasten der kollektiven Religionsausübung mit einer Rechtsprechung durchzusetzen, die die religiöse Prägung Europas nicht mehr als legitimen Grund der öffentlichen Sichtbarkeit von Christentum und christlichen Symbolen wahrnehmen will. Damit wird jedoch die Beweislast umgekehrt, was letztlich zu einer ebenso kultur- wie geschichts- und identitätsvergessenen Diktatur der Minderheit über die (schweigende) Mehrheit führt.

Wir erleben nun einen vorläufigen Sieg jener linken und liberalen Kräfte, die unter Berufung auf Meinungs- und Religionsfreiheit sowie das Neutralitätsgebot des Staates eine wie auch immer geartete christliche Leitkultur Europas seit Jahren vor allem deshalb bekämpfen, weil sie selbst mit der christlichen Leitkultur Europas nichts anzufangen wissen. Für große Verwunderung sorgte kürzlich in Spanien bei der dezidiert antikirchlich-sozialistischen Regierung Zapatero, dass mehrere hunderttausend Christen auf den Straßen von Madrid gegen die neue Abtreibungsgesetzgebung protestierten, die Abtreibungen bis zur 14. Lebenswoche des Kindes völlig freigeben soll.

Dabei wird Geschichte gerne ausgeblendet. So war die Europäische Gemeinschaft nach 1945 primär ein christlich motivierter friedenspolitischer Zusammenschluss nach den traumatischen Erfahrungen zweier Weltkriege. Politiker wie Alcide De Gasperi, Robert Schuman  und Konrad Adenauer, die die europäische Einheitsidee nach Kriegsende entwickelt und forciert hatten, waren als überzeugte Christen in der europäischen Politik unterwegs. Die Flagge der Europäischen Union erinnert mit ihren zwölf Sternen auf dunkelblauem Untergrund nicht etwa an die anfängliche Zahl der Staaten, sondern an den Sternenkranz Mariens aus der Offenbarung des Johannes. Die Europäische Union hat sich mit diesem Symbol, jedenfalls nach dem Willen derer, die es durchgesetzt haben, bewusst unter den Schutz Gottes gestellt.

Umso verwunderter sind Christen zwischen Portugal und Polen, zwischen Irland und Griechenland heute angesichts dieses Urteils, das zum Glück noch nicht rechtskräftig ist. Italien kann und wird wohl in Revision gehen. Mit diesem Urteil greifen geistige Strömungen um sich, die die kulturellen und moralischen Ursprünge und Werte unserer Kultur negieren. Wir erleben letztlich jetzt auf europäischer Ebene das, was wir besonders in Deutschland schon seit etwa 40 Jahren beobachten: den Marsch Linker und Liberaler durch die Institutionen in gesellschaftsverändernder Absicht.

Vor dem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens 2007 waren von den orthodoxen Kirchen vereinzelt skeptische Stimmen zu hören, die einen in EU-Normen und Gerichtsurteilen sich manifestierenden religiösen Substanzverlust bis hin zur offenen Bekämpfung der Kirchen fürchteten. Darauf wurde geantwortet mit dem Verweis auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Kultushoheit der Mitgliedsstaaten. Renommierte Staatskirchenrechtler wiesen darauf hin, dass der Staat bei Wahrung der individuellen Religionsfreiheit sehr wohl das Recht habe, die traditionellen Kirchen bevorzugt zu fördern und dabei auch die religiösen Mehrheitsverhältnisse im Land zu be- rücksichtigen.

Ganz in diesem Sinne gelten innerhalb der Europäischen Union ja auch alle drei Modelle der Beziehung zwischen Kirche und Staat als legitim: das Staatskirchenmodell wie in Großbritannien und Griechenland, die absolute Trennung wie im laizistischen Frankreich und das Kooperationsmodell wie in Deutschland oder Österreich, das in den meisten EU-Mitgliedsstaaten gilt und der traditionell positiven Verhältnisbestimmung zwischen Staat und Kirche der meisten Länder am besten entspricht.

Natürlich können der religiös neutrale Staat und die EU den Bürgern keine religiöse Identität vorgeben oder ihnen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion auch nur nahelegen. Denn dann würde der Staat seine Neutralitätspflicht tatsächlich verletzen oder sich selbst zur religiösen Größe erklären, wie es die pseudoreligiös gestylten Liturgien des kommunistischen Systems vorführten.

Aufgabe des Staates kann es aber auch nicht sein, seine Bürger bewusst religionskritisch zu beeinflussen, wie das etwa im Fach „Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde“, kurz LER, an den staatlichen Schulen in Brandenburg geschieht. Dort sollen Kinder und Jugendliche bewusst zu einer Lebensgestaltung unter Überwindung der Religion erzogen werden. Der Staat verletzt seine religiöse Neutralität auch, wenn er die Religionsausübung und die religiöse Prägung der Mehrheitsbevölkerung missachtet oder ignoriert. Und da haben wir selbst in der Bundesrepublik trotz des Atheismus-Schubs durch die Wiedervereinigung immer noch über 50 Millionen Menschen, die sich zum Christentum bekennen. Das können Staat und Politik, Medien und Gesetzgebung nicht einfach übergehen.

Die Frage nach der religiösen Prägung und der öffentlichen Sichtbarkeit von Religion stellte sich nach 1989 besonders in den Reformstaaten Osteuropas. Sogenannte „Menschenrechtsgruppen“ kämpften und kämpfen in manchen Ländern bis heute munter gegen die Kirchen – in Rumänien zum Beispiel unter so wohlklingenden Namen wie „Helsinki Komitee“ oder „Liga Pro Europa“.

Solche Kreise bekämpfen laut und öffentlichkeitswirksam Kreuze und kirchlichen Religionsunterricht in den Schulen und wollen staatliche Fördergelder für Kirchen abschaffen, freilich ohne zu sagen, womit die Kirchen dann ihre dringend nötige Sozialarbeit finanzieren sollen. Im Westen bekommen solche atheistisch geprägten Gruppen dann schnell Bühnen geboten, wenn sie nur deutlich genug das Fähnchen der vermeintlichen Bürgerrechtsbewegung schwenken.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl setzte als praktizierender Christ aus besten Gründen auf EU-Ebene durch, dass die Kultuspolitik auch im vereinten Europa Ländersache bleibt, also von den EU-Mitgliedsstaaten nach ihren eigenen Traditionen entschieden wird. Und dabei geht es um wesentlich mehr als die deutsche Regelung der Kirchensteuer.

Nun wird über die Hintertür von Klagen und Rechtsprechung versucht, diesen klaren Schutz der Kirchen, der religiösen Traditionen und der christlichen Identität Europas auszuhebeln. Völlig zu Recht weist der Bundesvorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, darauf hin: „Schon das vormalige Scheitern aller politischen Versuche, das Gottesgebot in den europäischen Verfassungsvertrag aufzunehmen, war ein Fanal auf dem Weg in ein vom christlichen Glauben befreites Europa.“ Von der Bundeskanzlerin, CDU-Vorsitzenden und Pastorentochter Angela Merkel wartet man bisher vergeblich auf eine klare Stellungnahme. So könnte das Kruzifix-Urteil auch die Christdemokratie zu einer dringend notwendigen neuen Grundsätzlichkeit herausfordern.


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