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21.11.09 / Zum »Kronleuchter« hochstilisiert / Die SPD und die linken Medien feiern Sigmar Gabriel und übersehen die vielen offenen Fragen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-09 vom 21. November 2008

Zum »Kronleuchter« hochstilisiert
Die SPD und die linken Medien feiern Sigmar Gabriel und übersehen die vielen offenen Fragen

Seltsam orientierungslos, aber in guter Stimmung, verließen die meisten SPD-Delegierten den Parteitag in Dresden. In der Tat ist eine Art Neuanfang gemacht, wie von der neuen Führung erhofft. Dass dieser Wechsel nur rhetorisch und personell, aber kaum programmatisch-sachpolitisch begründet ist, hat die meisten Genossen in Dresden nicht gestört.

Der mit 94 Prozent gewählte Parteichef Sigmar Gabriel verstand es, der demoralisierten Basis mit einem zweistündigen rhetorischen Feuerwerk neues Selbstbewusstsein einzuimpfen. Sein Wort von der „Deutungshoheit“, was politisch links und was Mitte sei, die übrigens wieder zurückgewonnen werden müsse, blieb als zentrale Aussage des Parteitags in Erinnerung. Auch hieß es, die SPD sei und bleibe die „Volkspartei der linken Mitte“.

Was die deutsche Links-presse betrifft, verfielen die Kommentatoren von der „Süddeutschen“ bis zur „Frankfurter Rundschau“ umgehend ins Schwärmen. Gabriel sei für die Partei nicht ein „Hoffnungsschimmer“, sondern ein „Kronleuchter“, kommentierte sogar eine linke Redakteurin des BR-Hörfunks. Die ebenfalls SPD-nahen „Nürnberger Nachrichten“ diagnostizierten, noch sei die SPD nicht verloren, ein Aufbruch sei gemacht. Man meint, alte und jüngere 68er aus den linken Redaktionsstuben vor sich zu sehen, wie sie – von neuer Hoffnung beseelt – beim Lied „Brüder zur Sonne zur Freiheit“ feuchte Augen bekommen haben und fest zu schlucken mussten.

Dieser Teil der roten Truppen scheint zu stehen und könnte nun zur Offensive blasen. Das könnte noch zu erheblichen publizistischen Auseinandersetzungen führen, zumal die schwarz-gelbe Bundesregierung einen bemerkenswert schwachen Start hingelegt hat.

Auch der augenfällige Generationswechsel – Gabriel ist 19 Jahre jünger als sein Vorgänger Franz Müntefering, die linke Generalsekretärin Andrea Nahles ist gerade 39 – sorgt für ein bisschen Aufbruchstimmung.

Doch eine Trendwende ist bislang reines Wunschdenken: In Umfragen liegt die SPD momentan zwischen 20 und 21 Prozent und damit noch unter ihrem niederschmetternden Wahlergebnis von 23 Prozent. Kernpunkt des Problems ist der Verlust an Profil, ja an inhaltlicher Identität. Niemand weiß mehr so recht, wofür die SPD steht, was sie anders machen würde, wenn sie zu regieren hätte. Hieran hat auch der Dresdner Parteitag nichts geändert, und die Frage bleibt: Wohin sollte sich die Partei auch bewegen? Einzige Möglichkeit ist eigentlich, nach Linksaußen zu gehen und den zur SED-Linkspartei abgewanderten Wählern nachzulaufen, die radikalere SPD vor dem Godesberger Programm 1959 zu werden und die Dinge, die man selbst in der Regierung beschlossen hat, zurückzunehmen. Doch auch hier bleibt die SPD erstaunlich vage: Der Leitantrag pendelt zwischen einer Überprüfungsankündigung, ob man die Rente mit 67 abschaffen will, die einst Müntefering durchgesetzt hatte, der Beibehaltung von Hartz IV, das einst Steinmeier mit Schröder eingeführt hatte, und drei klar linken Forderungen: der Wiedereinführung einer Vermögensteuer, der Verstaatlichung der Stromnetze und der Ablehnung der Privatisierung der Bahn. Auch das war bisher ein Ziel der SPD gewesen.

Der einzige Beschluss, der wirklich in den nächsten Jahren umgesetzt werden wird, dürfte indes der Plan sein, fortan alle Jahre und nicht alle zwei Jahre Parteitage abzuhalten. Das kostet zwar Geld und Organisation, bringt aber viel Öffentlichkeit. Die SPD wird durch zunehmend radikalere Forderungen die Herzen der Linkspartei-Wähler zurückgewinnen wollen. Von daher erweist sich die SPD in der Tat als „geborene Oppositionspartei“, als die sie viele Kenner bezeichnen: Forderungen aufstellen, die sich nicht an der harten Wirklichkeit messen lassen müssen.

Bei den Präsidiums-Neuwahlen gab es diesmal weniger einen Gegensatz Seeheimer (Parteirechte) und Netzwerker (Mitte) gegen die Parteilinken, sondern eher eine Abrechnung mit der älteren Generation und denen, die eher für Zerstrittenheit der Partei stehen. Nach den 94 Prozent für Gabriel erhielt Andrea Nahles nur 69 Prozent, die sie selbst als Niederlage empfunden haben dürfte. Die Parteibasis signalisiert damit klar, wer in der künftigen Führung Koch und wer Kellner(in) sein soll. Kennzeichnend für die künftigen SPD-Themen und Diskussionen ist die Riege der Partei-Stellvertreter: Mit Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit und der NRW-Landesvorsitzenden Hannelore Kraft wurden zwei Politiker gewählt, die offen die Koalition mit den SED-Nachfolgern anstreben. Die beiden anderen Stellvertreter, Olaf Scholz und Manuela Schwesig, sind Sozialpolitiker. Experten für Wirtschaft, innere Sicherheit und Bildung gibt es in der engeren SPD-Führung nicht mehr.

Von alledem relativ unbeeindruckt ist vorläufig der Fraktionschef Steinmeier. Er ist der führende Repräsentant der auf dem Parteitag allseits verrissenen Schröder-Politik. Er versteht, dass er in einer diffusen SPD, die nach links rücken will, aber sich nicht traut, langfristig nur in seinem Amt bestehen kann, wenn er kraftvolle Oppositionspolitik macht. Im Bundestag hat er sich bereits darauf eingestellt und die Kanzlerin im Wahlkampfstil kräftig angegriffen. Aus dem Wahlkampf raus und in eine kraftvolle Oppositionspolitik rein, dieser Wechsel steht ihm noch bevor. Anton Heinrich

Foto: Abgang von Franz Müntefering: Der Wechsel zu Sigmar Gabriel als Parteichef hat der SPD bislang kein neues inhaltliches Profil gegeben. Viele wissen nicht mehr, wofür die Partei überhaupt steht.


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