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21.11.09 / Russki-Deutsch (43): Wsjatka

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-09 vom 21. November 2008

Russki-Deutsch (43):
Wsjatka
von Wolf Oschlies

Gesetze gab es in Russland zu allen Zeiten im Übermaß, aber die allgemeine Legalität war stets so, dass Präsident Medwedjew zu Recht vom russischen „Rechtsnihilismus“ spricht: Russen kennen und achten russische Gesetze meist nicht. Daraus entstehen Probleme, die Russen seit 90 Jahren mittels „wsjatka“ lösen.

Die Wsjatka ist, was anderswo „Bakschisch“, „bribe“, „Schmiergeld“ oder „Bestechung“ heißt. In Russland nahm das Wort erst unter den Bolschewisten diese Bedeutung an – schwamig definiert als „Bezahlung oder Geschenk an Beamte, die illegale Handlungen im Interesse des Gebers vornehmen“. Vor der Revolution von 1917 war Wsjatka das, was Bienen bei Blumen einsammelten, um daraus Honig zu produzieren. Oder es bezeichnete Trümpfe im Kartenspiel. Immer steckte das Verb „wsjatj“ (nehmen, einstreichen) darin. 

Soweit die linguistischen Bezüge, die politische Umstände nicht ahnen lassen. Die hat 1973 der deutsche Journalist Rolf Winter in seinem Russlandbuch „Die ärmliche Weltmacht“ mit boshafter Detailliertheit aufgelistet: Vom Babyschnuller bis zur Grabstätte muss in Russland für alles Wsjatka hingelegt werden. Vergebens mahnte die Partei zu Ehrlichkeit und übten Behörden Strenge – wenn allgegenwärtige Versorgungsengpässe nur mit Wsjatka zu überbrücken sind, dann wird eben eine ganze Nation korrumpiert.

Kommunistische Mangelwirtschaft besteht in Russland nicht mehr, aber die Wsjatka hat noch zugenommen, wie der deutsche Korrespondent Manfred Quiring 2008 beobachtete: „Ob bei der Verkehrsmiliz, in Ämtern, Schulen oder bei Gericht und im Gesundheitswesen – Bestechungen sind in Russland an der Tagesordnung. Denn ohne Wsjatka, ohne Bestechungsgeld, lassen sich viele Dinge nicht regeln.“ Wer es, wie Quiring, dennoch auf legalem Weg versucht, wird von Russen nur ob seiner „Sturheit“ belächelt. Viele Gesetzestreue gibt es nicht, denn die Gesamtsumme der Wsjatki (Plural) wurde 2006 auf 240 Milliarden Dollar geschätzt, ebenso hoch wie die Staatseinnahmen. In Industrieprojekten gehen 30, bei Bauten 40 Prozent der Investitionssumme für Wsjatki drauf, woran sich nichts ändern wird – allen Reformvorhaben des Juristen Medwedjew zum Trotz.


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