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21.11.09 / Das Seenotwerk begann in Ostpreußen / Vor 200 Jahren wurde in Memel die erste deutsche Rettungsstation gegründet – 1910 ein engmaschiges Netz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-09 vom 21. November 2008

Das Seenotwerk begann in Ostpreußen
Vor 200 Jahren wurde in Memel die erste deutsche Rettungsstation gegründet – 1910 ein engmaschiges Netz

Es passt zu ihrem Wesen, dass es Ostpreußen waren, die in ihrer ältesten, 1253 gegründeten Stadt Memel schon 1809 die erste aller deutschen Rettungstationen gründeten. Die Kaufmännische Korporation stiftete ein Rettungsboot, das 1810 seinen Dienst aufnehmen konnte, vornehmlich von Lotsen bemannt.

Noch während der „privaten Phase“ der 1839 in eine sogenannte fiskalische, sprich staatliche  Rettungsstation der Königlichen Preußischen Regierung umgewandelten Station Memel verzeichnete das Ruderrettungsboot erfolgreiche, heute nicht mehr datierbare Einsätze. Und diese Memeler Aktivitäten wirkten ansteckend. In den 1820er Jahren entstanden auch in Pillau und Mellneraggen privat geförderte und später zeitweilig „fis­kalisch gewordene“ Rettungsstationen.

Als profunde Kenner der umliegenden Küsten waren sich die Memeler Rettungsmänner illusionslos darüber im Klaren, dass es immer wieder Situationen geben würde, in denen ein gerudertes Rettungsboot beim besten Willen nicht an ein gestrandetes Schiff herankommen konnte. Das verbot sich im steinigen Vorfeld von Steilküsten, für die das Samland besonders bekannt war. Man erreichte per Rettungsboot aber auch havarierte, zum Wrack gewordene Schiffe nur unter Schwierigkeiten oder gar nicht, wenn sie von starker Brandung allzu nahe vor offenen Sandstränden auf Grund geworfen waren.

Die Überlegung der Seenotretter bewegte sich um die Frage, ob die dann gegebene Strandnähe es gestatten würde, von Land aus eine Leinenverbindung zum Abbergen der Schiffbrüchigen herzustellen. Die örtlich zuständige Regierungsbehörde befasste sich mit den Darlegungen und gab 1827 grünes Licht für den ersten Leinenschießversuch mittels Rakete. Der in Memel befehlende Brigadegeneral durfte ihn in offiziellem Auftrag durchführen lassen. Zwei besonders fähige Artillerie-Unteroffiziere stellten die erste leinentragende Rakete Deutschlands her, die im Beisein der für solche Sachfragen zuständigen Rettungsmänner und Lotsen erprobt wurde. Auf dem Erprobungsgelände hatte man die Nachbildung eines Schiffsmastes errichtet. Es gelang auf Anhieb, mit der Rakete aus 250 Meter Entfernung eine Leine dorthin zu schießen. Sie verfing sich in dem Mast. Dieser Erfolg beeindruckte alle Augenzeugen tief. Und doch war die Zeit für ein derart weitblickend vorgenommenes Experiment noch nicht reif. Die Armee hatte für die Weiterent­wick­lung solcher nichtmilitärischen Raketen keinen Etat.

Inzwischen war nach Deutschland durchgedrungen, dass auf den britischen Inseln erfolgreich mit Leinen-Mörsern experimentiert worden war. Ohne Wissen voneinander war es zwei Erfindern gelungen, mittels steilgefeuerter Kanonenkugeln Leinen auf Schiffs­wracks zu schießen. Die Ergebnisse waren derart beeindruckend, dass binnen Kurzem 45 Plätze der englischen Küste mit sogenannten Manby-Mörsern bestückt wurden. Bis zum Jahr 1823 wurden mit Hilfe solcher Mörser bereits 292 Schiffbrüchige gerettet.

Zur Zeit der Memeler Raketenerprobung hatten sich, dem Memeler Beispiel folgend, bereits weitere Rettungsstationen gebildet. Neben Pillau und Mellneraggen waren das im benachbarten Westpreußen Bodenwinkel am Frischen Haff, Neufahrwasser, Brösen und Hela. Zählt man die ebenfalls in Pommern entstandenen Stationen hinzu, dann galt es, insgesamt 20 fiskalische Rettungsstationen nachzurüsten. Das trieb zur Eile. Die preußische Regierung entschied sich deshalb trotz bauartbedingter Nachteile für den Manby-Mörser. Die Mörserkugel wird im Moment des Abfeuerns nämlich sehr stark beschleunigt, und diese ruckartige Bewegung ließ leicht die Leinen brechen. Bei der Memeler Raketen-Erprobung war die Rakete hingegen nach dem Abfeuern sanft davongezogen und hatte ihre Geschwindigkeit erst im weiteren Verlauf der Flugbahn gesteigert. Immerhin gelangen auch in Ostpreußen Rettungen mit dem britischen System, obwohl die Schießpulver-Treibladung der Mörser nur Leinenschussweiten von 120 Metern ermöglichte.

Schon bald lernte man noch eine weitere, ebenfalls aus England importierte Erfindung zu nutzen. Es war die Hosenboje, die auch später bei den Raketengeräten erfolgreich weiterverwendet wurde: Zwischen einem am Strand errichteten Dreibein und dem Wrack wurde eine stabile Rettungstrosse gespannt, an der die Schiffbrüchigen relativ bequem mittels der Hosenboje an Land gebracht werden konnten, zumeist sogar ohne Berührung mit dem Wasser. Die Boje wurde mit einem endlosen Jolltau zwischen Wrack und Strand hin und her gezogen.

Auf Initiative des Nationalökonomen Arwed Emminghaus schlossen sich 1865 die bis dahin entstandenen privaten Rettungsvereine von Bremen, Kiel, Lübeck und Rostock zur Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) zusammen. Später traten auch die Rettungsvereine von Emden, Hamburg, Stralsund und Danzig sowie – in den Jahren 1884 bis 1888 – alle fiskalischen Rettungsstationen Preußens diesem bis heute populären und höchst effektiven Rettungswerk bei.

Ab 1887 wehte auch über den Rettungsstationen von Pillau, Memel und Mellneraggen die schwarz gerandete weiße Flagge mit dem roten Hanseatenkreuz. Schließlich bestand von Borkum bis nach Nimmersatt nördlich Memel ein durchgehendes, einheitlich ausgerüstetes Netz, das 1910 nicht weniger als 129 Rettungsstationen umfasste. Hans Georg Prager


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