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21.11.09 / Kampf der Systeme im Kinderzimmer / Mit dem Fall der Mauer kam auch das Ende der drei Jahrzehnte währenden Koexistenz der Sandmännchen Ost und West

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-09 vom 21. November 2008

Kampf der Systeme im Kinderzimmer
Mit dem Fall der Mauer kam auch das Ende der drei Jahrzehnte währenden Koexistenz der Sandmännchen Ost und West

Der Historiker neigt dazu, selbst bei aktuellen Themen wie dem 50. Geburtstag des TV-Sandmännchens nach den geschichtlichen Wurzeln zu suchen. Diese Suche führt in diesem Fall bis ins Mittelalter. Damals war Sandmann, auch „Sander“ genannt, ein Beruf. Er baute feinen Quarzsand ab, der beispielsweise zum Scheuern von Holzdielen genutzt wurde. Die Lieferung dieses Sandes erfolgte häufig am Abend und damit zu einer Zeit, in der es vor allem für Kinder angebracht war, das Bett aufzusuchen. Dieser Berufsstand fand dann auch Eingang in die Welt der Mythen, Legenden und Sagen.

Der Königsberger Dichter E. T. A. Hoffmann (1776–1822) widmete dem Sandmann gar eine eigene Novelle gleichen Namens. Dieser Sandmann ist allerdings grausam. Er kommt des Nachts in die Schlafzimmer der Kinder, um ihnen Sand in die Augen zu streuen, bis diese bluten. Der Sandmann des eine Generation jüngeren Dänen Hans-Christian Andersen (1805–1875) hat dann die sympathischen Eigenschaften, die wir an ihm schätzen. In seinem ebenfalls „Der Sandmann“ betitelten Märchen spritzt der „Ole Lukoje“ genannte Kobold jeden Abend den Kindern Milch in die Augen. Später trat dann Sand an die Stelle der süßen Milch.

Nach der Erfindung des Fernsehens nahm sich dann auch dieses Medium des kleinen Sympathieträgers an. Die Idee hierzu kam der leitenden Redakteurin des Kinderfunks und Kinderfernsehens beim Sender Freies Berlin (SFB) Ilse Obrig Anfang des Jahres 1959. Gemeinsam mit der Puppengestalterin und Autorin Johanna Schüppel entwickelte sie eine einfache kleine Handpuppe, die mit „Sandmännchens Gruß für Kinder“ eine eigene Sendung im SFB erhielt. Der Beginn der Ausstrahlung der Serie durch den SFB am 1. Dezember 1959 wurde bereits frühzeitig in den Medien bekanntgegeben.

In gewisser Hinsicht zu früh, denn als Heinz Adameck, seines Zeichens Intendant des staatlichen Fernsehens der DDR, des Deutschen Fernsehfunks (DFF), Anfang November von der neuen West-Berliner Gute-Nacht-Sendung erfuhr, hielt er die Zeit für noch ausreichend, der West-Berliner Konkurrenz mit einer eigenen Sandmännchen-Sendung, sozusagen mit einem „Me-too“-Produkt (Nachahmer-Produkt), zuvorzukommen. Am 22. November 1959 und damit neun Tage vor dem SFB-Original kam das DFF-Sandmännchen mit „Unser Sandmännchen“ in die Wohnstuben. Es folgten drei Jahrzehnte, in denen bundesdeutsches und DDR-Sandmännchen gemeinsam in Konkurrenz, aber auch in friedlicher Ko-existenz um die Sympathien der deutschen Kinder rangen.

Mit dem Ende der Koexistenz der beiden Systeme, der beiden Blöcke und der beiden deutschen Staaten kam auch das Ende der Koexistenz der Sandmännchen. Im selben Jahr wie die Mauer verschwand auch das bundesdeutsche Sandmännchen.

Dem DDR-Sandmännchen schien ein ähnliches Schicksal beschieden. Am 31. Dezember 1991 stellte der DFF den Betrieb ein. Wie vieles in der Ex-DDR schien nun auch deren Sandmännchen abgewickelt zu werden. Aber anders als im großen Kalten Krieg gewann im Kalten Krieg der Sandmännchen der Osten. Nicht nur dass 1992 das DFF/DDR-Sandmännchen von den neu gegründeten mitteldeutschen Sendern Mitteldeutscher Rundfunk (MDR) und Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg (ORB) übernommen wurde, auch der SFB und der Norddeutsche Rundfunk sowie KI.KA, der Kinderkanal der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) und des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), bringen inzwischen das Ostmännchen zu den Kindern ihres Ausstrahlungsgebietes.

Wurde hier in einer vergleichsweise unpolitischen und daher den Erwachsenen unwichtig erscheinenden Frage der Ostalgie, der DDR-Befindlichkeit, dem in Mitteldeutschland anzutreffenden Gefühl, nur angeschlossen worden zu sein, Rechnung getragen, ein Opfer gebracht oder hat hier der Bessere das Feld als Sieger verlassen? Manche mögen ja, wie der aus Dresden stammende Matthias Gretzschel im „Hamburger Abendblatt“ den Zwitter aus Hubschrauber und Wolke, mit dem das West-Männchen einschwebte, „albern“ finden und statt dessen den Panzer und dergleichen vom DDR-Männchen benutzte Fahrzeuge als schicker erachten; mancher mag es ja auch bedauern, dass das West- im Gegensatz zum DDR-Männchen der Truppe keinen Besuch abstattete. Aber, mit Verlaub, es muss doch nicht jeder frühkindliche Wehrerziehung gut finden. Und alleine schon das Aussehen! Was ist das DDR-Männchen mit seinen zu Punkten reduzierten Augen und dem Verschnitt eines Walter-Ulbricht-Bartes im Vergleich mit dem West-Pendant mit seinem gutmütigen Mondgesicht, den vergleichsweise großen Augen und dem sympathischen norddeutschen Seemannsbart? Zudem war das West-Männchen viel großzügiger. Das DDR-Männchen kommt mit leeren Händen. So heißt es in dem von Walter Krumbach geschriebenen und Wolfgang Richter vertonten Lied „Sandmann, lieber Sandmann, hab’ nur nicht solche Eil! Dem Abendgruß vom Fernsehfunk lauscht jeden Abend alt und jung, Sei unser Gast derweil.“ Das West-Sandmännchen hingegen ist spendabel, nach dem Begrüßungslied von Helga Mauersberger und Kurt Drabek verkündet es: „Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht.“ Über die Frage, welches Lied nun schöner ist, gehen selbst in der PAZ-Redaktion die Meinungen auseinander. Über Geschmack lässt sich nicht streiten und die Beantwortung dieser Frage ist wie diese gesamte Gegenüberstellung subjektiv. Ich würde jedoch morgens nicht mehr in den Spiegel schauen können, hätte ich in diesem Artikel meine Sympathie für das Sandmännchen meiner Kindheit verleugnet. Meinem Herzen konnte ich in diesem Beitrag um so leichter folgen, als ich der festen Überzeugung bin, dass das andere Sandmännchen auf unserer Leserbriefseite eine angemessene, nicht weniger subjektive Würdigung finden wird.     Manuel Ruoff

Foto: Friedliche Begegnung: Sandmännchen West (rechts) trifft Sandmännchen Ost.


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