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28.11.09 / Die Online-Generation probt den Aufstand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-09 vom 28. November 2009

Moment mal!
Die Online-Generation probt den Aufstand
von Klaus Rainer Röhl

Neulich war ich zu einem Seminar an der Universität Bonn eingeladen. Es ging um die 68er. Ich sollte als Zeitzeuge berichten, wie es damals war. Ja, aber wo anfangen? Woran anknüpfen? Worauf aufbauen? Die Professorin führte in das Thema ein, Sie stellte auch ein paar Fragen. Sie wussten – nichts. Buchstäblich nichts. Von Dutschke und Benno Ohnesorg hatten sie gehört, von Ulrike Meinhof und Andreas Baader auch, den RAF-Film hatten sie noch nicht gesehen. Die jungen Leute schrieben ab und zu ein paar Stichworte mit. Lange her. Sie hörten zu, gar nicht gleichgültig, ganz interessiert. Ach so! Ich erzählte ihnen etwas über die Bewegung gegen den „Atomtod“ 1958 und dann von der 68er Revolte. Die begann auch mit Protesten gegen die Studienbedingungen und die Studiengebühren, gegen die Wohnverhältnisse und die zu engen Räume in der Uni. Etwa 80 Kindergesichter sahen mich an, hörten mir erstaunt zu. Blutjunge Menschen, offene Gesichter, schön anzusehen, lässig angezogen. Sie schrieben ein wenig mit, hatten es aber am Ende eilig wegzukommen, sich schnell von der Professorin die Teilnahme am Seminar testieren zu lassen, die Bestätigung, am Seminar teilgenommen zu haben. Und weg. Seit Wochen sieht man diese fröhlichen, jungen, leuchtenden Gesichter auf Studentendemonstrationen überall in Deutschland. Sie protestieren, sie besetzen Räume und Universitäten, sie sind unzufrieden mit dem Lehrbetrieb, mit der Ausstattung der Uni, mit den Räumen, mit den Professoren, mit den Vorlesungen, die keine Zeit lassen für Fragen, den Studiengängen, die nur auf die Zwischenprüfungen abgestellt sind, und den unsicheren Berufsaussichten, die nach dem bestandenen Examen auf sie warten. Sie sind unzufrieden mit allem. Eigentlich wie 1967 – oder?

Am letzten Wochenende lief nun der „Baader-Meinhof-Komplex“ von Stefan Aust und Bernd Eichinger zur besten Sendezeit in der ARD. Ein mit allen akustischen Schocks und Lichteffekten ausgestatteter Gruselfilm über ein paar junge Männer und Frauen. Die ersten Deutschen, die nach 1945 wieder in den Krieg zogen, gegen die US-Amerikaner, aber auch gegen Deutsche, mit der Waffe in der Hand. Bereit zu töten, aber auch zu sterben. So oder so kaputt. Ein Drama von Liebe, Tod und Verzweiflung, eigentlich nicht viel anders als „Bonnie and Clyde“ und wie dieser Film nicht ohne klammheimliche Sympathie für die Mörder. Sicher, die Filmemacher distanzieren sich von der Gewalt, von der RAF, lassen aber in einer langen Vorgeschichte keinen Zweifel daran, dass alles so kommen

musste. Der Staat und die Gesellschaft waren mitschuldig. Die Studentenbewegung wollte längst überfällige Reformen durchsetzen, gegen verkrustete Strukturen mobilisieren – und dann reagierte der Staat falsch, knüppelte die Proteste nieder, und ein Polizist erschoss Benno Ohnesorg, und die Bewegung rastete aus. Die RAF „schoss zurück“, wie Gudrun Ensslin es einmal gefordert hatte. Dass der Todesschütze Kurras in Wirklichkeit Mitarbeiter der Stasi war, wussten die Filmemacher bei der Beendigung des Streifens noch nicht. Ihr RAF-Film zum Sonntagabend distanziert sich von der Gewalt, aber seine Wirkung ist Sympathie, zumindest Verständnis für die Mörder. Keine Sympathie für die Opfer, Schleyer, Buback und die vielen, vielen anderen.

Wie war es denn damals wirklich? Als Rudi Dutschke, der Moses der Studentenbewegung und weitsichtiger als seine Mitkämpfer, zu ahnen begann, dass die Bewegung ohne Basis in der Arbeiterschaft nicht siegen könne, gab er, in einem rororo-Buch vom Mai 1968, die bis heute folgenreichste Parole aus: Die vom „langen, mühevollen Marsch durch die Institutionen“, den man antreten müsse.

Die Antwort der revolutionären Ungeduld kam prompt: „Feuer unterm Arsch – verkürzt den langen Marsch!“, schrieb eine Anarchistenzeitung, ein etwas wirres und unregelmäßig erscheinendes Sprachrohr der „umherschweifenden Haschrebellen“, das auch nach dem Tode Benno Ohnesorgs geschrieben hatte: „Wir schießen zurück!“ Damit waren die künftigen Schlachtlinien abgesteckt. Mit „Feuer unterm Arsch“ war damals noch nicht viel mehr gemeint als ein gelegentlicher Molotowcocktail auf ein Springer-Auto oder dergleichen. Doch die Wirklichkeit der RAF überbot zwei Jahre später alle Diskussionen.

Heute haben wir, nach über 40 Jahren, wieder eine Studentenbewegung. Besteht die Gefahr, dass sie wieder in Mord und Totschlag ausartet? Nein.

Frank Schirrmacher, immerhin Herausgeber der einflussreichsten deutschen Tageszeitung, der „FAZ“, sagt uns, warum. Schirrmacher, vor ein paar Jahren entsetzt über eine Welt von lauter Alten, die auf uns zukommen wie eine Lawine von Zombies, unaufhaltsam und jedes Jahr älter werdend (das Buch wurde ein Bestseller), hat sich wieder Gedanken gemacht, wie es weitergehen soll mit uns, und dabei ein neues Feindbild ausgemacht – das Internet. Es tötet, schreibt er, das Gedächtnis der Menschen schon im Kindesalter, lockt wie eine Droge zum Dauergebrauch, und danach ist der Mensch nicht mehr zu gebrauchen – es entsteht ein regelrechter Schaden im Gehirn. Es gibt kein Gedächtnis mehr. Und natürlich auch kein Bewusstsein über unsere Wurzeln, unsere Kultur. He, Mann, was ist der Sinn des Lebens? Weiß nicht, muss mal „Google“ anklicken.

Einer der ältesten althochdeutschen Texte, die uns überliefert sind, stellt die Frage nach der Wurzeln: uuoher bistu, uuoher kommstu? Woher bist Du? Woher kommst Du? Weiß nicht. Kannste im Internet anklicken, wenn dich das interessiert.

Was die Studenten fordern, ist mehr Geld und das wurde auch schon eilfertig zugesagt von Frau Bundesministerin für Bildung und Forschung Schavan. Sie fordern die Veränderung der Rahmenbedingungen und die Vergrößerung der Hörsäle, und sie werden sie bekommen. Nur studieren müssen sie noch selber, und das werden sie auch tun. Keine Sorge, diese Studentenbewegung wird keinen Dutschke hervorbringen und keine Ulrike Meinhof und keinen Joschka Fischer. Bestenfalls einen Juso-Vorsitzenden, der es später in den Parteivorstand der SPD schafft und dann eine Hochschulreform entwirft, die wieder nicht ausreichend sein wird. Soll man sich nun darüber freuen, dass mit dieser neuen Studentengeneration alles anders wird?

Diese neue Generation ist gutartig und gutwillig, aber sie glaubt an gar nichts mehr, denn den Glauben an die Machbarkeit des Guten und das Gute im Menschen haben ihnen ihre 68er Lehrer und Hochschullehrer gründlich ausgetrieben. Keine Angst, die hören nicht mehr auf die falschen Propheten und die Gewaltapostel vom schwarzen Block, aber sie hören auch – vorläufig – auf sonst niemand mehr. Warum?

Weil wir es ihnen in unseren Elternhäusern und Patchwork-Familien nicht vorgelebt haben, und weil ein gemeinsames Selbstwertgefühl in dieser Gesellschaft nie aufkommen durfte und mit dem Gedächtnis an das Land, in dem ihre Väter wohnten, und an das Volk, aus dem sie kamen, und an die Geschichte, die sie gemeinsam hatten, ausgelöscht wurde. Und weil die Moral und der Anstand und die Zuverlässigkeit und der Stolz und die Vaterlandsliebe, aber auch der Zorn auf das Lügenhafte und Falsche nicht online zu haben sind.

Der Autor, zur Zeit der 68er Bewegung Ehemann von Ulrike Meinhof, beschrieb die Ereignisse ausführlich in seinem neuen Buch „Mein Langer Marsch durch die Illusionen – Ein Leben mit Hitler, der KPD, den 68ern, der RAF und Ulrike Meinhof“, www.Klausrainerroehl.de


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