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28.11.09 / Ambitionierte Alma mater mit viel Tradition / Vor 600 Jahren gründeten diskriminierte Deutsche der Prager Karls-Universität in Leipzig eine neue Hochschule

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-09 vom 28. November 2009

Ambitionierte Alma mater mit viel Tradition
Vor 600 Jahren gründeten diskriminierte Deutsche der Prager Karls-Universität in Leipzig eine neue Hochschule

Was haben Hans-Dietrich Genscher, Angela Merkel, Verónica Michelle Bachelet, Ulrich von Hutten, Thomas Müntzer, Gottfried Wilhelm Leibniz und Gotthold Ephraim Lessing, Johann Wolfgang Goethe, Johann Gottlieb Fichte, Robert Schumann, Richard Wagner, Fried­rich Nietzsche sowie Erich Kästner gemein? Sie alle hatte es an die Universität Leipzig gezogen. Rund 50 Nobelpreisträger hatten mit ihr eine enge Verbindung, darunter Theodor Mommsen, Wilhelm Ostwald und Werner Heisenberg.

Die Universität Leipzig ist nach der 1385 gegründeten Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg die zweitälteste Alma mater in Deutschland, die ohne Unterbrechung besteht. Ihre feierliche Eröffnung fand am 2. Dezember 1409 im Speisesaal des Leipziger Thomasklosters durch die wettinischen Landesherren, die Markgrafen Friedrich und Wilhelm, statt.

Heute sind etwa 30000 Studenten in Leipzig immatrikuliert, die an 14 Fakultäten und über 150 Instituten ihr Wissen vertiefen. Rund 100 Studiengänge sind im Angebot von A wie Anglistik bis Z wie Zahnmedizin, darunter auch seltene Fächer. Das Institut für Sorabistik ist das einzige in Deutschland, an dem Sorbischlehrer und Sorabisten ausgebildet werden, und auch die Onomastik, die Namensforschung, ist in Deutschland einmalig. Das Deutsche Literaturinstitut Leipzig bietet als weitere Außergewöhnlichkeit an, professionelle literarische Schreibkompetenz zu erlernen. Prominenteste Absolventin ist Juli Zeh. 1974 geboren, gehört sie zu den erfolgreichsten Schriftstellerinnen der jüngeren Generation. Ihr Debüt-Roman „Adler und Engel“ wurde in 28 Sprachen übersetzt und mit mehreren Preisen ausgezeichnet.

Der Anlass zur Gründung der Universität war der Auszug deutscher Studenten und Professoren aus der Prager Karls-Universität. Nachdem im Zuge der Hussiten-Bewegung alle nicht-böhmischen Studenten und Hochschullehrer in ihrer Mitsprache stark eingeschränkt beziehungsweise abgesetzt worden waren, machten sie sich auf die Suche nach einer neuen Stätte für Lehre und Bildung. Ein großer Teil wurde in Leipzig fündig. Der Neuanfang dort begann mit 46 Magistern und 369 Studenten.

Nach der Zulassung von Frauen zum Studium 1906 erreichten die Studentenzahlen einen Höchststand von fast 12000. In den beiden Weltkriegen gingen die Immatrikulationszahlen deutlich zurück – bis auf 1560 im Jahr 1939. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren die meisten Gebäude beschädigt oder vollständig zerstört. Im Februar 1946 wurde die Universität wieder eröffnet und 1953 in „Karl-Marx-Universität“ umbenannt. Vier Jahre später beschloss der Akademische Senat die „Grundsatzerklärung zur sozialistischen Entwick­lung der Karl-Marx-Universität Leipzig“, die ihren Höhepunkt in der Umgestaltung des Campus am Augustusplatz erfuhr. Dabei war die im Krieg nahezu unversehrt gebliebene Universitätskirche St. Pauli den Machthabern ein Dorn im Auge. Am 30. Mai 1968 wurde sie gesprengt.

Nach der Wiedervereinigung fanden 1991 die ersten geheimen Wahlen für das Rektoratskolle-gium seit 1933 statt. Die Rück­kehr zum alten Namen „Universität Leipzig“ ist einer der ersten Beschlüsse der neuen Universitätsleitung. Alle Hochschullehrerstellen wurden neu ausgeschrieben, Fakultäten und Institute wieder eingerichtet und neu gegründet, viele Gebäude grundsaniert oder neu gebaut.

Dazu gehörte auch die Neugestaltung des innerstädtischen Campus am Augustusplatz in Anlehnung an den historischen Gebäudekomplex um die alte Universitätskirche. Das Herzstück, das Paulinum, wird dabei zukünftig durch eine zu öffnende Glaswand in einen geistlichen und einen weltlichen Teil getrennt sein. Zum Jubiläum 2009 hat man die Fertigstellung des neuen Universitätskomplexes jedoch leider nicht ganz geschafft.

Mit der Universität, sechs Hochschulen, drei Max-Planck-Instituten und einer Vielzahl außeruniversitärer Forschungseinrichtungen verfügt Leipzig über ein reiches Forschungs- und Entwicklungspotential. Mit Investitionen von über 750 Millionen Euro gelang die Schaffung eines Biotech-Campus am Deutschen Platz mit Bio City Leipzig, Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie sowie dem Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. Dazu führt die Universität Leipzig jährlich über 200 Kongresse und Tagungen durch, die meist auf dem Neuen Messegelände stattfinden.

Zum Jubiläum bekräftigt die Uni ihren Anspruch, wieder in die Wissenselite aufzurücken. Ein wesentlicher Bestandteil auf dem Weg zu diesem anspruchsvollen Ziel ist die Überwindung von Instituts-, Fakultäts- und zum Teil sogar Universitätsgrenzen. Seit 2004 hat man begonnen, gemeinsam mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Stadt, die Forschungsaktivitäten auf so genannte Profilbildende Forschungsbereiche zu fokussieren, mittlerweile existieren sechs von ihnen. Das beschert allen Beteiligten erhebliche Synergieeffekte und ermöglicht so international wettbewerbsfähige Forschung mit attraktiver Doktoranden-Qualifizierung.

Bereits mit einigem Erfolg widmet sich der Forschungsbereich „Von Molekülen und Nanoobjekten zu multifunktionalen Materialien und Prozessen“ den Selbstorganisations-Mechanismen für organische und anorganische Strukturen. Auch in die weiteren Forschungsbereiche „Molekulare und zelluläre Kommunikation: Biotechnologie, Bioinformatik und Biomedizin in Therapie und Diagnostik“, „Gehirn, Kognition und Sprache“, „Veränderte Umwelt und Krankheit“, „Mathematik und ihre Anwendung in den Naturwissenschaften“ sowie „Riskante Ordnungen“ setzt die Universität große Hoffnung. Helga Schnehagen


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