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28.11.09 / Früh mit den Kommunisten sympathisiert / Vor 100 Jahren kam die »rote Gräfin« Dönhoff zur Welt – Kehrtwende in Sachen Ostpreußen, offene Fragen zur Biographie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-09 vom 28. November 2009

Früh mit den Kommunisten sympathisiert
Vor 100 Jahren kam die »rote Gräfin« Dönhoff zur Welt – Kehrtwende in Sachen Ostpreußen, offene Fragen zur Biographie

Sie war preußische Aristokratin, Ostpreußin und eine bedeutende Publizistin. Am liebsten aber sah sie sich als die „rote Gräfin“, die als moralische Instanz und Mahnerin mit der Feder Einfluss auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nahm.

Marion Gräfin Dönhoff wurde am 2. Dezember 1909 als jüngstes von sieben Kindern auf Schloss Friedrichstein unweit von Königsberg geboren. Ihr schon früh verstorbener Vater August war Diplomat und Politiker, ihre Mutter Maria Hofdame der letzten Kaiserin Auguste Viktoria. 1924 wurde Marion auf ein Mädchenpensionat in Berlin geschickt. Nachdem sie dort gegen die strengen Regeln aufbegehrt hatte, wechselte sie an ein Gymnasium nach Potsdam, wo sie 1929 in einer Jungenklasse das Abitur machte. Anschließend ging sie auf eine Hauswirtschaftsschule in der Schweiz und unternahm ausgedehnte Reisen in die USA und nach Afrika.

Als Studentin der Volkswirtschaftslehre in Frankfurt am Main fiel sie durch standeswidrige politische Ansichten auf. Sie sympathisierte mit den Kommunisten und verteilte linke Flugblätter, was ihr erstmals die Bezeichnung „rote Gräfin“ einbrachte. 1933 wechselte sie an die Universität Basel, wo sie 1935 das Studium mit der Promotion abschloss. Bald darauf übernahm sie die Leitung des Familiengutes Quittainen bei Preußisch Holland und kümmerte sich zusätzlich um Schloss Friedrichstein. Im September 1941 unternahm sie gemeinsam mit ihrer Cousine Sissi von Lehndorff einen fünftägigen Ritt durch Masuren, den sie nach dem Krieg als „Abschiedsritt“ durch ihre Heimat darstellte, die sie zu diesem Zeitpunkt bereits als verloren angesehen habe.

Im Januar 1945 musste auch Marion Gräfin Dönhoff ihre Heimat verlassen. Die genauen Umstände ihrer Flucht aus Ostpreußen bleiben im Dunkeln. Sie selbst hat später einen siebenwöchigen Ritt auf ihrem Pferd „Alarich“ beschrieben, der sie über 1200 Kilometer nach Westfalen geführt hatte. Nachdem sie durch eine Schrift über den Widerstand und Gedanken über eine Nachkriegsordnung Kontakt zur britischen Besatzungsmacht bekommen hatte, bot sie dieser ihre Dienste an. Ihr Text wurde den Gründern der Wochenzeitung „Die Zeit“ in Hamburg vorgelegt, die sie im Frühjahr 1946 zur Mitarbeit in der Redaktion aufforderten.

Dönhoffs erste Artikel thematisierten den Widerstand und ihren „Ritt nach Westen“. Dann wandte sie sich mutig gegen Besatzungswillkür und die Demontage. Im Jahre 1952 wurde sie Leiterin des Politikressorts und stellvertretende Chefredakteurin. Diese Stellung nutzte sie, um die „Zeit“ auf linksliberalen Kurs zu bringen und sie als publizistische Avantgarde der linksintellektuellen Bourgeoisie zu etablieren. Ihre Positionen beeinflussten für Jahrzehnte die gesellschaftlich relevanten Gruppen im Lande und prägten die öffentliche Meinung. 1969 rückte die damals 60-Jährige für vier Jahre in die Chefredaktion auf. Anschließend wurde sie Mitherausgeberin der „Zeit“, was sie sie bis zu ihrem Tode blieb. Unter ihrer Ägide stützte die Zeitung die APO und redete der Gewalt gegen Sachen „um des demokratischen Zwecks willen“ das Wort.

Obwohl sie sich zu ihrer ostpreußischen Herkunft bekannte, ging Marion Gräfin Dönhoff auf kühle Distanz zu den Vertriebenenverbänden. Schon früh trat sie wie diese auf der Grundlage von Gewaltverzicht und Wiedergutmachung für eine Verständigung mit Polen ein. Auch ein Territorialverzicht kam für sie zunächst nicht in Frage. Mit dem Beginn der Kanzlerschaft ihres Freundes Willy Brandt änderte sie dann plötzlich ihren Standpunkt und bereitete dessen Ostpolitik publizistisch den Boden. Dazu, den Bundeskanzler zur Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zu begleiten und „ein Glas auf den Abschluss des Vertrages zu trinken, der den Verlust meiner Heimat Ostpreußen besiegelte“, konnte sie sich dann doch nicht durchringen. Für ihre rück­haltlose Unterstützung der Ostpolitik wurde sie 1971 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels belohnt, 1979 war sie auf Anregung Brandts sogar als mögliche Bundespräsidentin im Gespräch.

Im Jahre 1989 kehrte Dönhoff erstmals nach Ostpreußen zurück, wo sie erschüttert feststellen musste, dass ihr großes Geburtshaus eine Ruine war. Ihr persönlicher Besitz Quittainen war zwar verfallen, aber nicht zerstört. Sie engagierte sich für kulturelle Projekte in der Heimat und die Aufstellung eines Replikats des verschollenen Kant-Denkmals in Königsberg, was sie als „einzige wesentliche Tat“ in ihrem Leben ansah.

Als Herausgeberin der „Zeit“ gab Dönhoff unangefochten die „Grande Dame“ des deutschen Journalismus. In fortgeschrittenem Alter trat sie zudem gern als moralische Autorität und Personifizierung preußischer Tugenden auf, ohne dass klar wurde, auf welcher Grundlage sie diese Rolle beanspruchte.

Trotz ihrer unbestrittenen publizistischen Verdienste um die demokratische Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland bleiben ihr Leben und Wirken nicht widerspruchsfrei. Legte sie einerseits Wert darauf, als zur Bürgerlichen gewandelte aristokratische Gutsherrin zu erscheinen, ließ sie sich andererseits gern hofieren und als „Gräfin“ titulieren. Unermüdlich erinnerte Dönhoff an ihren hingerichteten Vetter Heinrich von Lehndorff und die Protagonisten des 20. Juli, „um ihnen den gebührenden Rang in der deutschen Geschichte zu verschaffen“. Dabei warf sie ihren Zeitgenossen Mitläufertum und den ehemaligen Kriegsgegnern Desinteresse vor. Mit dem Schweizer Historiker Paul Stauffer, der wesentliche Punkte ihrer „Widerstandsbiographie“ widerlegen konnte, entwickelte sich eine Kontroverse, die zu einem „kleinen Historikerstreit“ ausartete. Über die engen Beziehungen einiger ihrer nächsten Angehörigen zum Nationalsozialismus schwieg sie. Und so, wie sie mit ihren politischen Weissagungen und Analysen oft daneben lag, entsprach auch ihre Interpretation der deutschen Geschichte nicht immer der Realität, sondern folgte eher dem Zeitgeist. Befremdlich ist auch, dass sie angesichts des nahenden Untergangs des Kommunismus für ein Existenzrecht der DDR eintrat.

Vielfach geehrt und ausgezeichnet starb die große Publizistin Marion Gräfin Dönhoff am 11. März 2002 auf Schloss Crottorf in Rheinland-Pfalz.

Jan Heitmann

Foto: Marion Gräfin Dönhoff mit der Zeitung, die sie prägte und mit der sie Politik machte


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