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05.12.09 / Judenpolitik nach Opportunität / Erst räumte Kurfürst Joachim I. 30 jüdischen Familien ein Niederlassungsrecht ein, dann ließ er ein grausames Pogrom zu

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-08 vom 05. Dezember 2009

Judenpolitik nach Opportunität
Erst räumte Kurfürst Joachim I. 30 jüdischen Familien ein Niederlassungsrecht ein, dann ließ er ein grausames Pogrom zu

Im Dezember 1509 sorgte Brandenburgs Kurfürst Joachim I. für Aufregung. Gegen den Willen des Adels, der Geistlichkeit und vieler Städte räumte er 30 jüdischen Familien ein Niederlassungsrecht ein. Wenig später folgte ein Pogrom mit neuerlicher Ausweisung – die sprichwörtliche preußische Toleranz war noch nicht geboren.

Gleichzeitig billigte der Fürst jüdischen Händlern Geldleihgeschäfte zu. Für die Zinsen legte Joachim eine Obergrenze fest – zwei Pfennige pro Gulden und Woche. Außerdem wurden ihnen in dem Erlass der Verkauf von Fleisch und das Baden erlaubt. Gemeint war das rituelle Bad in der Mikwe. Künftig sollte es auch einen Rabbiner geben, der gleichzeitig Rechtsstreitigkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinden zu schlichten hatte. Dafür war eine Sonderzahlung in die kurfürstliche Schatulle vorgesehen, über deren Höhe noch verhandelt werden musste.

Für die Landesherren – das galt für das gesamte mittelalterliche Deutschland – waren Judenprivilege gute Geschäfte. Denn die Juden mussten für ihren „Schutz“ bezahlen. Nicht zu wenig. Akten aus dem frühen 16. Jahrhundert verweisen auf einen Cottbuser Juden namens Nathan, der jährlich zehn Gulden zu entrichten hatte. Man sollte sich keinen Illusionen hingeben; reine Nächstenliebe und christliche Toleranz waren mit Sicherheit nicht die einzigen Motive für das fürstliche Entgegenkommen in der frühen Neuzeit. Nur durch die Juden wurde es überhaupt erst möglich, gegen Zinsen Geld zu leihen. Für Christen galten solche Geschäfte damals noch wegen des biblischen Zinsverbotes als unmoralisch und waren deswegen lange verboten.

Noch etwas sollten die brandenburgischen Juden besorgen, sie sollten den Handel entwickeln. Sowohl die Hansestädte im Norden als auch die freien Reichsstädte im Süden waren durch Handel und Handwerk zu Wohlstand gekommen. Brandenburg dagegen konnte weder mit Bodenschätzen noch mit Manufakturerzeugnissen aufwarten. Und der Erlös für die beiden Exportgüter Holz und Getreide hielt sich in engen Grenzen.

Schätzungsweise 500 Juden haben damals in Brandenburg gelebt. Sie konzentrierten sich in Städten wie Berlin, Stendal, Salz­wedel, Brandenburg an der Havel, Kyritz und Nauen. Die märkischen Juden stammten fast ausschließlich aus Polen und verfügten so über exzellente Geschäftsverbindungen in den europäischen Osten.

Schon einmal hatte Kurfürst Joachim eine Entscheidung in Sachen Aufenthaltsrecht für Juden getroffen – allerdings mit umgekehrten Vorzeichen: Am 24. Mai 1503 hatte er verkünden lassen, dass alle Juden bis zum Michaelistag – dem 29. September – das Land zu verlassen hätten. Höchstwahrscheinlich wurde diese Aufforderung am Ende kaum umgesetzt, jedenfalls hatte sich der Hohenzollernfürst sechs Jahre später wieder für das Gegenteil entschieden.

Wie groß die Ablehnung breiter Schichten gegen alles Jüdische offenbar war, zeigte sich schon im Frühjahr 1510. Ein aus heutiger Sicht eher unbedeutender Diebstahl führte zu einem blutigen antisemitischen Flächenbrand. Ein hausierender Kesselschmied – Paul Fromm aus Bernau – hatte in der Kirche zu Knobloch im Havelland einen vergoldeten Becher und zwei geweihte Hostien gestohlen. Diese Hostien wiederum – so gab der Täter nach der Festnahme an – habe er dem Juden Salomon in Spandau verkauft. Der Brandenburger Bischof Hieronymus Schultz verlangte nun vom Kurfürsten, gegen die gesamte Judenschaft vorzugehen. Denn nicht nur auf Hostienfrevel beschränkten sich die Vorwürfe, sondern auch Ritualmorde an christlichen Kindern wurden den Juden zur Last gelegt. Um die 100 „Verdächtige“ wurden festgenommen, deren einziges Vergehen darin bestand, der „falschen“ Glaubensgemeinschaft anzugehören. Der Fürst hatte gegen die „Hexenjagd“ offenbar nichts einzuwenden. Die Gerichtsverfahren gingen aus, wie es zu erwarten war: Die Angeklagten wurden schuldig gesprochen. 38 Juden wurden am 19. Juli 1510 in Berlin auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Zwei getaufte Juden kamen durch das Richtschwert ums Leben. Auch die meisten der anderen Beschuldigten starben. Sie überlebten entweder die Folter nicht oder nahmen sich das Leben. Wer von den Juden nicht dem Henker zum Opfer gefallen war, musste unverzüglich das Land verlassen.

Gewiss haben bei dieser Menschenjagd religionsgeschichtlich bedingter Hass und Menschenverachtung eine wichtige Rolle gespielt, aber auch wirtschaftliche Gründe. Mit den Justizmorden und der Ausweisung waren die Schuldner, die aus den Kreisen des hohen und niederen Adels, der Kaufmann- und der Handwerkerschaft sowie wahrscheinlich sogar auch der Stadtarmen stammten, ihre Verbindlichkeiten losgeworden.

Über Jahrzehnte hinweg werden danach in der Mark Brandenburg keine jüdischen Gemeinden mehr erwähnt. Erst im Jahre 1543 – Brandenburg war inzwischen protestantisch geworden – lässt der neue Kurfürst Joachim II. erneut die Ansiedlung von Juden in seinem Lande zu. Doch auch diese Epoche ist nicht von allzu langer Dauer. Nach Joachims Tod im Jahre 1571 beschuldigt dessen Sohn Johann Georg den jüdischen Münzmeister Lippold, den verstorbenen Kurfürsten erst verhext und dann vergiftet zu haben. Lippold wird 1573 auf grausame Weise hingerichtet. An alle Juden ergeht ein Ausweisungsbefehl, verbunden mit der Zahlung von hohen „Ausreise-Geldern“. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, unter der Regentschaft des Großen Kurfürsten, kehren Juden zurück in die Mark Brandenburg. Diesmal für 250 Jahre. Karel Chemnitz

Foto: Joachim I.: Kurfürst von Brandenburg von 1499 bis 1535


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