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05.12.09 / Endlich Geschichte zur Kenntnis geben / Westpreußen, Schlesien, Pommern zwischen den Kriegen: Spannungen zwischen Deutschen und Polen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-08 vom 05. Dezember 2009

Endlich Geschichte zur Kenntnis geben
Westpreußen, Schlesien, Pommern zwischen den Kriegen: Spannungen zwischen Deutschen und Polen

Als Rezensentin für die PAZ liest man so manches Buch über den historischen deutschen Osten. Erinnerungsbücher, Sachbücher, Biographien; die Liste der gelesenen Titel dürfte mehrere hundert umfassen und trotzdem gibt es immer wieder Autoren, die das Thema so aufbereiten, dass man noch Neues entdeckt und dies zudem sprachlich und erzählerisch auf höchstem Niveau präsentiert wird. Ulla Lachauer und Hans-Dieter Rutsch ist dies in „Als der Osten noch Heimat war – Was vor der Vertreibung geschah: Pommern, Schlesien, Westpreußen“ gelungen. Obwohl für eine WDR-Dokumentation als Begleitbuch entstanden, schildern die beiden Autoren mit ihren Beiträgen über Schlesien und Westpreußen die Lage in diesen beiden Regionen nach dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg derart lebendig, dass der Leser spüren kann, wie sich die Spannungen zwischen Deutschen und Polen in den Provinzen Stück für Stück verstärkten. Lachauer wie Rutsch suchten sich ehemalige Bewohner als Gesprächspartner und bereisten zum Teil mit ihnen die thematisierten Gebiete. Rutsch reiste mit Sigismund Freiherr von Zedlitz und Lachauer traf sich mit Schülern der Graudenzer Goetheschule, an deren Schicksal sie die damaligen Entwicklungen nachzeichnet. Obwohl 1951 und 1954 geboren, recherchieren Lachauer und Rutsch ohne die in ihrer Generation verankerten Vorurteile und teilen dem Leser − die Atmosphäre genial einfangend − ihre Erkenntnisse mit. Dass viele Deutsche individuelle Schuld auf sich luden, indem sie einem Psychopaten wie Hitler folgten, ist unbestritten, doch die Autoren gehen auch der Frage nach, wieso so viele Menschen in den untersuchten Provinzen mehr oder weniger das NS-Regime bejubelten oder zumindest akzeptierten.

Auch Gerald Endres, der in dem aus fünf Beiträgen bestehenden Buch über Pommern schreibt, erkennt das Herzensanliegen vieler Vertriebener: „Sie wissen, dass man die Zeiger der Zeit nicht auf die scheinbar heile Welt des Vorkriegs zurückdrehen kann. Sie wollen nur noch, dass ihre Geschichte und ihr Verlust zur Kenntnis genommen und anerkannt wird.“ „Als der Osten noch Heimat war“ macht es Nachgeborenen leicht, den Verlust dieser Menschen nachzuempfinden. So fühlt man den Schmerz des Goetheschülers Hanno Henatsch nach, der 1945 mit dem Motorrad floh und sich damals geweigert hatte, seine Schwester bei 15 Grad Minus auf dem Rücksitz mitzunehmen: Alleit starb im Juli 1946 im Arbeitslager Pustascha nahe Moskau. „Wir Goetheschüler waren nicht kritisch“, so Henatsch. Doch der Leser kann nach der Lektüre selbst erschließen, dass eine derartige Selbstkritik bezüglich der eigenen NS-Begeisterung und der daraus resultierenden Folgen nur in der Rück-schau leicht ist.

Ulla Lachauer schildert differenziert die Lage in Westpreußen nach dem Ersten Weltkrieg. Sie berichtet, wie die deutschen Westpreußen durch die Alliierten zu Fremden in ihrer eigenen Heimat wurden, die nun nach dem verlorenen Krieg ohne rechtliche Grundlage weitgehend Polen zugeschlagen worden war. Nur wer etwas zu verlieren hatte, wie Gutsbesitzer, Metzgereibesitzer und andere Gewerbetreibende blieb. Die meisten anderen verließen ihre angestammte Heimat gen We-sten, da sie weder ihre Sozialversicherungsansprüche verlieren noch sich den Polen unterordnen wollten. Jene, die blieben, zogen schon allein aufgrund ihres Besitzes den Neid der Polen auf sich, die sich zudem immer nationalistischer gaben, was wiederum die Deutschen veranlasste, ihre eigenen deutschen Werte zu betonen. Eine Spirale wurde in Gang gesetzt, deren Drehung mit der Machtergreifung Hitlers auch vom Reich aus beschleunigt wurde. Doch Lachauer, die mit Deutschen und Polen sprach, kann keinen Hass entdecken. Man sei sich fremd und fremder geworden, doch Hass? Der sei von wo anders hergekommen. „Wegen ihrer Nähe zu den Deutschen hat man hiesige Polen lange pauschal Verräter genannt“, schreibt sie über die polnischen Graudenzer.

In Oberschlesien hingegen herrschte oft Hass, was auch daran lag, dass das Industriegebiet einen starken Zuzug von polnischen Arbeitern schon vor dem Ersten Weltkrieg erlebt hatte. Über Jahrhunderte bewährte nachbarschaftliche Beziehungen waren hier deutlich seltener als in Westpreußen. Rutsch schreibt: „Aber die Aussicht auf den Volksentscheid und die Anwesenheit einer Besatzungsarmee lösten das entscheidende Problem nicht: Die Konfliktparteien bekämpften einander weiter in einer Propagandaschlacht und einem blutigen Partisanenkrieg. Mutlos schauten italienische, britische und französische Soldaten zu, wie Deutsche und Polen sich gegenseitig umbrachten. Heute wissen wir aus den damaligen Akten, dass die Alliierten mit der polnischen Seite sympathisierten, um die deutsche Seite zu schwächen. Dank seiner gewaltigen Kriegskasse konnte Korfanty Tausende polnische Schlesier in diesem Bürgerkrieg verpflichten und mit Waffen ausrüsten … Für die polnischen Schlesier war die Mitgliedschaft in der Armee der Aufständischen eine sichere Einnahmequelle. Die Bauern lebten in den Wintern fast ohne Einkünfte. Die Industrieproduktion lief in den ersten Nachkriegsjahren nur schleppend.“ Ein paar Seiten später: „Doch nun geschah etwas, womit weder die Deutschen noch die Polen gerechnet hatten: Die Alliierten ignorierten das Abstimmungsergebnis und teilten Schlesien. Zwei Drittel des Industriereviers wurden zu polnischem Staatsgebiet erklärt. Eine Million Deutsche lebten plötzlich in Polen und verloren die deutsche Staatsbürgerschaft.“         R. Bellano

Beate Schlanstein (Hrsg.): „Als der Osten noch Heimat war – Was vor der Vertreibung geschah: Pommern, Schlesien, Westpreußen“, rowohlt, Berlin 2009, geb., 314 Seiten, 19,90 Euro


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