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12.12.09 / Russki-Deutsch (46): Gorbi

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-09 vom 12. Dezember 2009

Russki-Deutsch (46):
Gorbi
von Wolf Oschlies

Herbst 2009 − 20 Jahre nach dem Mauerfall – Erinnerungen werden wach, vor allem an den Russen Michail Sergejewitsch Gorbatschow, Jahrgang 1931, seit März 1985 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. „Gorb, gorbatyj“ heißt auf Russisch „Buckel, bucklig“, aber diese Assoziation kam damals niemandem – weil die Deutschen in West und Ost den Namen längst zu „Gorbi“ verhübscht hatten. Das war zum einen eine sprachliche Hilfe, denn die Namensendung -ow ist von der vertrackten Sorte, die sich wie „e“ schreibt und wie „jo“ spricht.

Aber wichtiger war, dass „Gorbi“ die Sympathie für den Mann ausdrückte, der wie kein anderer der jüngsten Vergangenheit die Welt veränderte und mit Sprachwandel begann: Statt Blockdenken „gemeinsames Haus Europa“, statt Propagandalügen „Glasnost“. Der allem Russischen so feindliche Osten sprach wieder Russisch. Wenn die Moskauer „Prawda“ eine Gorbi-Rede enthielt, stieg in Bratislava der Schwarzmarktpreis pro Exemplar in ungeahnte Höhen. In Polen sang Andrzej Rosiewicz sein Gorbi-Lied „Frühling aus dem Osten“ und ähnlich war es überall: „Gorbi et Orbi“ lästerten die Kabarettisten – zu Recht!

Wie Gorbi in der DDR wirkte, wurde mit gesamtdeutscher Schadenfreude beobachtet. Als Chefideologe Kurt Hager eine Frage nach Reformen à la Gorbatschow mit dem Satz abwies, man müsse ja nicht mitmachen, wenn der Nachbar tapeziere, wurde er in Kabaretts als „Querulant“ verhöhnt und von Sängern wie Udo Magister mit Tapezier-Songs vorgeführt. Die Stalinisten um SED-Chef Honecker ahnten, dass ihr Ende nahe war und probierten Schutzmaßnahmen, etwa das Verbot der Sowjet-Zeitschrift „Sputnik“, die Gorbi-Texte publizierte.

Dann kam Gorbi am 7. Oktober 1989 nach Ost-Berlin, wo ihn „Gorbi, Gorbi“-Rufe begrüßten und wo er über Honecker den Stab brach – mit dem „Jahrhundert-Satz“: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Den hat er zwar so nie gesagt, aber später als „Wappenspruch“ gern akzeptiert. Er hatte nichts mehr gegen die Wiedervereinigung (die er 1987 in seinem Buch „Perestrojka“ noch ablehnte), wurde der Gorbi, den Deutsche auf Dauer dankbar ins Herz geschlossen hatten.


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