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12.12.09 / Grüne Zerreißproben und Existenzfragen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-09 vom 12. Dezember 2009

Gastkommentar
Grüne Zerreißproben und Existenzfragen
von Rolf Stolz

Die Grünen begannen einst als eine Partei, die „weder rechts, noch links, sondern vorn“ sein wollte und sich als Speerspitze des Fortschritts zu ökologischer Selbstbesinnung und naturnahem Wirtschaften begriff. Natürlich fehlten auch Illusionen und Verdrängungen nicht: Viele, die von (pseudo)links kamen, behielten trotz geänderter Slogans ihre alten Vorurteile und Borniertheiten bei. Viele „Linke“ waren ohnehin verkappte Marktliberale, die das ungehemmte Krebswachstum der herrschenden Wirtschaftsordnung nie ernsthaft in Frage gestellt hatten, sondern nur eine gewisse kosmetische Berücksichtigung von „Umweltpolitik“ wollten. Eine flottierende Menge sich irgendwie links fühlender Selbstversorger verband sich sozusagen naturwüchsig mit platten Verfechtern des liberalen Laufen-Lassens und mit garantiert gesinnungsfreien und gerade deshalb allseitig verwendbaren Opportunisten. Aus dieser spannenden Mischung bildete sich die Funktionärsbasis für die Bonner und später Berliner Politik der grünen Parteiführer.

Nimmt man die Wahlergebnisse als Maß aller Dinge, so hat die Strategie der Anpassung an die herrschenden Verhältnisse und die vorherrschenden Vorurteile einen gewissen Erfolg gehabt: Die Grünen haben heute bessere Wahlergebnisse als in den 80er Jahren und sie haben einige Jahre als Ersatz-FDP an der Seite der SPD statt Raketenbasen Regierungsbänke besetzen können. Aber erstens war letzteres nicht von Dauer und zweitens schwindet mit dem Ausbluten der Sozialdemokratie die Chance auf Wiederholung. Allenfalls scheinen noch der flotte dunkelrot-rosarot-grüne Dreier und das Andocken bei der CDU politisch realisierbar. Jedoch ist die Zukunft der Grünen als zusätzliche Linkspartei ebensowenig gesichert wie als Juniorpartner der CDU/CSU – in beiden Fällen würde ein nennenswerter Teil der eigenen Mann- und Frauschaft und der Wähler sich mit Grausen abwenden. Sollte dann noch zu solchen (Ab)Spaltungen ein weiterer grüner Skandal à la Visa-Affäre oder Fischers Selbstvermittlung in hochdotierte Tätigkeiten für die Energiemonopolisten hochkommen – womöglich durch den Fund einer Leiche aus Regierungszeiten im grün-roten Aktenkeller, sollte sich die SPD berappeln oder sollten FDP und „Linke“ weiter zunehmen, so könnten die Grünen unfreiwillig wieder dort anlangen, wo sie 1980 standen: in der Außerparlamentarischen Opposition – allerdings dann als ruinierte Polit-Senioren.

Diese Konstellation ist den Parteistrategen durchaus bewusst – daher wird man die einst kritisierte sozialdemokratische Breitband-Lüge („mit der SPD für und gegen Atomenergie und Atomraketen“) imitieren durch ein grünes Breitwand-Illusionstheater, in dem für die Zuschauer alles zu haben ist: Claudia Roth als wagnernde Bayreuth-Wallfahrerin und als multikulturelle Deutschland-Abschafferin, Cem Özdemir als ex-muslimischer Aufklärer und Fast-Atheist und zugleich als frommer Moscheebaumeister und kleiner Bruder der großen Muslimbrüder, Jürgen Trittin als abgeklärter Realissimus und als altlinker Dogmenreiter, Renate Künast als radikalreformerische gute Mutter der „Grünen Jugend“ und zugleich als gestrenge Oberin, die dem Nachwuchs die Ohren langzieht, jede Debatte über Inhalte unterbindet (zuletzt in Weimar: „Wir sind gut beraten, uns nicht inhaltlich zu erneuern. Wir müssen unsere sehr guten und vom Wähler honorierten Inhalte jetzt in Alltagspolitik übersetzen.“) und noch viele Jahre vorne sitzen will. Mit anderen Worten: Man wird versuchen, sich mit Taktieren über die Runden zu retten, oder hofft darauf, dass für die grüne Partei die Quelle ewiger Jugend entdeckt wird.

Aus Angst vor einem biologischen Abschmelzen der PDS-Wählerschaft im Osten suchten Bisky und Gysi nach 1990 eine westdeutsche Blutzufuhr – nach Anfangsschwierigkeiten erfolgreich. Ähnliches gelang den Grünen im Osten nicht. Im Westen geraten sie in die Situation, dass die vielen Mitglieder, die 1980 bei Gründung der Partei um die 40 waren, ins Rentenalter oder auf den Friedhof kommen. Der Einfluss des nicht allzu zahlreichen grünen Nachwuchses in den vielfältigen Jugendszenen hat sich noch weiter reduziert, seit der „Generation Praktikum“ kaum noch Staatsposten zu verschaffen sind und selbst die Piratenpartei als cooler und hipper erlebt wird.

Hinzu kommt, dass die Führung der Grünen die Komplettliquidation Deutschlands als Land der Deutschen und als demokratischer Nationalstaat radikaler und vollständiger betreibt als alle anderen Parteien – im Sinne eines allseitigen Ausverkaufs an die von Brüssel aus wuchernde und weltweit operierende EU-Struktur. Das wird sich rächen, wenn erst der deutsche Michel (und gerade die lange national indifferente bis antipatriotische Jugend!) aus dem europaseligen Tiefschlaf erwacht ist. Laut den Beschlüssen der letzten Bundesdelegiertenkonferenz sind die „Vereinigten Staaten von Europa“ das Nahziel. In ihnen hätte der deutsche Teilstaat nur noch Zweitrangiges zu entscheiden. Die grünen Führer kritisieren die „rück-wärtsgewandte nationalstaatliche Argumentation des Lissabon-Urteils“ des Bundesverfassungsgerichts und wollen „endlich wieder politisch über eine neue Form einer übernationalen öffentlichen Ordnung“ diskutieren. Offen wird erklärt, man wolle das Grundgesetz substanziell ändern (beziehungsweise faktisch annullieren), um ähnliches wie das „Lissabon-Urteil“ künftig zu verhindern.

Fünf etablierte Parteien bilden den Kern des deutschen Parteienspektrums. Daneben haben an den beiden Enden des politischen Spektrums rechte und linke Kleinparteien längst ihr angestrebtes Ziel erreicht: den Logenplatz als Sekte am äußersten Rand unter Mondsüchtigen und anderen Spinnern – in garantierter Wirkungs- und Aussichtslosigkeit. Allerdings bleiben noch zwei Leerstellen und Marktlücken: Erstens für eine demokratische Rechtspartei im Feld zwischen CDU/CSU und Rechtsextremismus und zweitens für eine Kraft außerhalb der üblichen Farbenlehre, als flügelübergreifende, weder auf einem Flügel noch in der diffusen Mitte festzumachende Alternative zu allem Bestehenden. Seit über 20 Jahren ist dieses Terrain mit der Einbindung der Grünen auf der politischen Linken, mit der Selbstfesselung und dem Wegschleudern des Erstgeburtsrechtes als erste und einzige „Anti-Parteien-Partei“ (Petra Kelly) und als Bewegung quer zu allen Fronten so gut wie unbesetzt. Er ist damit frei verfügbar – wenn man denn die Kraft aufbringt, diesen Platz gegen alle politisch-psychologischen Widerstände zu besetzen und so festzuhalten, dass die Öffentlichkeit es mitbekommt und ein Zustrom von Unterstützern beginnen kann, durch den allein die Gegenattacken der Etablierten und die unvermeidliche Verteufelung seitens der Medien ins Leere laufen würden.

Auf diesen beiden unbesetzten Freiräumen dürfte sich irgendwann in näherer Zukunft ein neuer Konkurrent etablieren. Das Terrain einer demokratischen Partei, die außenpolitisch jedem imperialen Militarismus abgeschworen hat, die wirtschaftspolitisch ebenso auf Eigenverantwortlichkeit wie auf Solidarität und kollektive Anstrengungen setzt, die die menschlich-kulturellen Werte Europas hochhält, die Mensch und Natur gegen die zerstörische Profitsucht der Globalisierungsfanatiker verteidigt – das ist das Gelände, in dem Auswege aus dem alten Elend zu finden sind.

 

Rolf Stolz ist Publizist, belletristischer Schriftsteller und Fotograf und war 1980 Mitgründer der Grünen. Er sieht sich als „dissidentischen Linken zwischen den Fronten“.


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