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12.12.09 / Mehr als Geldgier / Bankraub deckt alte DDR-Zwangsadoptionen auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-09 vom 12. Dezember 2009

Mehr als Geldgier
Bankraub deckt alte DDR-Zwangsadoptionen auf

Zum 20. Mauerfall-Jubiläum hält die DDR-Geschichte sogar Einzug in die Krimiwelt. Silvia Roth greift im dritten Band ihrer Kommissar-Verhoeven-Reihe eines der dunkelsten Kapitel der SED-Diktatur auf: Zwangs-adoptionen. Anfang der 1970er Jahre entriss der Staat Republikflüchtigen und Regimekritikern ihre Kinder und steckte sie in Heime oder Pflegefamilien. Hauptverantwortliche war die damalige Ministerin Margot Honecker. Bereits 1975 berichtete der „Spiegel“ über die perfiden Praktiken der Staatssicherheit. Von der Zuweisung einer verschimmelten Wohnung über die Erteilung eines Berufsverbots bis hin zur vermeintlichen Bewilligung des Ausreiseantrags ließen die Beamten nichts unversucht, um den Dissidenten das Sorgerecht zu entziehen. Nach der Wende begannen Dutzende Eltern nach ihren Kindern und Kinder nach ihren leiblichen Eltern zu suchen. Ein Geraer Verein hilft den Betroffenen dabei, Familienangehörige wiederzufinden und seelische Qualen zu verarbeiten.

Zu welchen Verzweiflungstaten die traumatische Vergangenheit Opfer treiben kann, konstruiert Roth in einem packenden Psychothriller. Kurz vor Schalterschluss stürmt eine Bande bewaffneter Männer die Sparkassenfiliale in der Wiesbadener Innenstadt. Sie erschießen einen Kassierer und entführen die übrigen Bankangestellten und Kunden. Während draußen ein Scharfschütze mehrere Menschen mit gezielten Schüssen in die Beine niederstreckt, entkommen die Gangster mit ihren Geiseln und verschanzen sich in einer stillgelegten Fabrik. Auch Kommissarin Winnie Heller gerät in die Fänge der Entführer und erkennt bald, dass hinter dem Verbrechen mehr als Geldgier steckt. Warum haben es die Männer ausgerechnet auf den Filialleiter abgesehen, der gerade auf Dienstreise ist und den sie „Malina“ nennen? Kommissar Hendrik Verhoeven und sein Team versuchen fieberhaft, die geheimnisvolle Identität Malinas aufzudecken, da wird kaltblütig die erste Geisel erschossen.

Von der ersten bis zur letzten Seite fesselt die Autorin ihre Leser. Das liegt nicht zuletzt an den verschiedenen Erzählperspektiven von Tätern, Opfern und Ermittlern, die die Gedanken aller Beteiligten nahe bringen. Einfühlsam und authentisch zeichnet Roth die Cha-raktere ihrer Figuren nach und gewährt Einblicke in deren Privatleben. Kommissar Verhoeven und seine Kollegin Heller sind keine strahlenden James Bonds, sondern kämpfen mit Eheproblemen und Familienschicksalen.

„Ich interessiere mich für die Menschen, wie sie denken, warum sie etwas tun“, erklärt die Autorin, deren literarische Vorbilder Agatha Christie und Elizabeth George sind. Arthur Schopenhauer hätte soviel psychologisches Interesse bei einer Schriftstellerin sicher gefreut. Der Philosoph empfahl: „Kriminalgeschichten muss man lesen, um zu erkennen, was, in moralischer Hinsicht, der Mensch eigentlich ist.“             Sophia E. Gerber

Silvia Roth: „Schattenriss“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, geb., 544 Seiten, 14,99 Euro


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