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19.12.09 / Russki-Deutsch (47): Bolschoi

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-09 vom 19. Dezember 2009

Russki-Deutsch (47):
Bolschoi
von Wolf Oschlies

Das Moskauer „Bolschoi-Theater“ ist übersetzt das „Große Theater“, wie aus Presseberichten, Gastspielen bekannt ist. Womit sprachliche Feinarbeit erst beginnt: Wer in ein Computer-Suchsystem den Begriff „Groß“ eingibt, erhält Zehntausende Verweise der heterogensten Art – von „Müllabfuhr in Groß-Berlin“ bis „Groß-Serbien“. Diese Menge der Bezüge verweist darauf, dass man es hier mit einem Begriff zu tun hat, der sprachlich und inhaltlich höchst mehrdeutig ist. Diese Unklarheit wird in Sprachen wie dem Deutschen noch dadurch ausgeweitet, dass alle denkbaren „Größen“ mit dem identischen Begriff, eben „groß“, benannt werden: Ob jemand „auf großem Fuße lebt“ oder „große Ereignisse ihre Schatten vorauswerfen“, ist sprachlich ein und dasselbe.

Andere Sprachen sind da präziser, etwa das Englische: „Big Ben“ heißt die größte Glocke am Uhrturm des Londoner Westminster-Palace – „Great Britain“ nennt sich der Staat. Ähnlich ist es im Russischen: Von „Velikaja Rus‘“, dem „großen Russland“, sang die alte Hymne der Sowjetunion, und diese Größe war eine andere als die der „Bolschaja Sowetskaja Enciklopedija“, der „Großen Sowjet-Enzyklopädie“. Das Russische unterscheidet zwischen metrischer und meritorischer Größe, also zwischen messbarem Übermaß und verdienstvoller Außergewöhnlichkeit. Der große Reformzar war natürlich Pjotr Velikij, seine begnadete Nachfolgerin Jekatarina Velikaja, also „Katharina die Große“ aus deutschen Landen. Gar nicht zu reden von „Velikaja Otetschestvennaja Vojna“ (Großer Vaterländischer Krieg, wie Stalin den Zweiten Weltkrieg nannte). Im Deutschen kann man diese Nuancierungen kaum nachvollziehen, gerät gar in gefährliche Nähge zu unfreiwilliger Komik: Fried-rich der Große und „der große Stalin“ waren physische Winzlinge. Ob die „große Sowjetunion“ den euro-asiatischen Riesenstaat oder den „ruhmreichen Weltkriegs-Sieger“ meinte, blieb so unklar wie die Bedeutung der biblischen „großen Hure Babylon“.

Von „bolschoi“ stammt „bolsche“ (mehr). Bolsche taucht in „bolschinstwo“ (Mehrheit) auf, woraus die „Bolschewiken“ ihren Namen formten. „Mehrheitler“ hat man sie nie genannt. Das wäre sprachlich korrekt gewesen, sachlich falsch für Lenins Sekte.


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