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19.12.09 / Vom Banat über Deutschland nach Stockholm / Herta Müller stand anlässlich der Nobelpreisverleihung den Journalisten Rede und Antwort – »Ich liebe die rumänische Sprache«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-09 vom 19. Dezember 2009

Vom Banat über Deutschland nach Stockholm
Herta Müller stand anlässlich der Nobelpreisverleihung den Journalisten Rede und Antwort – »Ich liebe die rumänische Sprache«

Vor wenigen Tagen kamen in Stockholm die diesjährigen Nobelpreisträger zusammen, um an den Veranstaltungen der Nobelpreis-Woche teilzunehmen. Sie endet traditionell am 13. Dezember.

Für Herta Müller fand die erste große Veranstaltung, eine Lesung vor über 400 Zuhörern, am 7. Dezember im Gebäude der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften statt. Unter den Teilnehmern im „Börssalen“ waren Vertreter des Nobelpreis-Komitees, der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, der internationalen Presse, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und weitere geladene Teilnehmer.

Herta Müller las auf Deutsch aus ihrer Erzählung „Jedes Wort weiß etwas vom Teufelskreis“, in der es darum geht, wie der Hass auf das Regime des rumänischen Diktators Nicolae Ceaucescu der Schriftstellerin Impulse für ihr literarisches Schaffen gab.

Bei einer Pressekonferenz am Tag danach am selben Ort fragten die Journalisten Müller vor allem nach dem Leben unter den Diktator Ceaucescu. Über das heutige Rumänien berichtete Frau Müller den rund 100 überwiegend schwedischen, deutschen und rumänischen Medienvertretern, dass das Land von einer grundlegenden Verbesserung der Lage weit entfernt sei. Der heutige rumänische Geheimdienst sei zu 40 Prozent der gleiche wie unter Ceaucescu. Ein Großteil der Archive stehe immer noch unter Verschluss, die Korruption sei hoch: „Es ist keine Wiederherstellung des alten Systems, aber die Leute der alten Nomenklatura und des Apparats haben ein ‚zweites Leben‘ bekommen. Rumänien braucht eine bürgerliche Gesellschaft, doch ihm fehlen die Voraussetzungen dafür. Die Menschen haben keine Gegner, mit denen sie etwas zu tun haben, sie haben Feinde, die sie vernichten müssen. Sie lernen nicht, zu dis­kutieren und andere Meinungen zu achten. Möglicherweise hat diese Brutalität ihre Wurzeln in der Diktatur … Ein demokratisches Rechtssystem ist nötig, wirklich unabhängige Richter, das ist es, womit man die Korruption besiegen kann, und was es in Rumänien bislang nicht gibt.“

Es wurden auch philosophische Fragen gestellt wie: „Was können Sie Menschen sagen, die zwar eine Sprache, aber kein Zuhause haben?“ Frau Müller antwortete: „Ich weiß nicht, was Zuhause ist. Ich bin in Rumänien geboren und aufgewachsen. Aber ich kann es nicht meine Heimat nennen. Man kann ein Land nicht Heimat nennen, wo man nicht leben kann, wo man Todesangst hat.“

Auf die Frage eines rumänischen Journalisten: „Sie dramatisieren ständig die Situation in Rumänien, haben Sie denn auch irgendwelche positiven Eindrücke von Rumänien?“ antwortete sie: „In jeder Diktatur gibt es auch positive Seiten im Leben. Natürlich habe ich positive Eindrücke von Rumänien: von dem Land, nicht von dem Staat. Ich habe Freunde. Aber die Leute fragen mich nicht, wer mir in schweren Momenten geholfen hat, man fragt mich auch nicht über die glücklichen Augenblicke.“

Über ihr Verhältnis zur rumänischen Sprache sagte sie: „Ich liebe die rumänische Sprache. Wenn ich auf Deutsch schreibe ist Rumänisch stets Teil meines Gedankenflusses.“

Herta Müller verglich die Situation im Land mit der der DDR nach dem Fall der Mauer: „In der DDR hatte die Stasi keine Zeit, Dokumente zu vernichten, und die Archive wurden unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer zugänglich, aber in Rumänien ist die Lage ganz anders. Erst nach zehn Jahren fand man im Jahr 1999 ähnliche Archive und natürlich gab es genügend Zeit, sie zu ändern.“

Das Thema Demokratie und Diktatur wurde auch auf das Beispiel China ausgeweitet. Auf die Frage nach der Demokratie in diesem Land antwortete Herta Müller, dass die Verfolgung von Dissidenten „nicht das Geringste mit Demokratie zu tun hat“, und betonte, dass die westliche Welt eine entschiedenere und härtere Position gegenüber China einnehmen sollte, dann würde die chinesische Regierung über eine Änderung ihrer Politik nachdenken.

Auf die Frage, was die Preisträgerin mit ihrem mit eine Million Euro dotierten Preis anfangen werde, sagte Herta Müller, sie wisse es noch nicht, aber auf jeden Fall werde sie keine Jacht davon kaufen. Sie sagte, der Preis sei für sie ein großes Glück, sie wolle aber genauso weiter leben wie bisher. „Ich bin ein normaler Mensch und das möchte ich auch bleiben.“   Jurij Tschernyschew


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