19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.12.09 / Kalte Schulter vom Senat / Berliner Politik kürzt Mittel für Kältehilfe: Obdachlosencafé akut von Schließung bedroht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-09 vom 26. Dezember 2009

Kalte Schulter vom Senat
Berliner Politik kürzt Mittel für Kältehilfe: Obdachlosencafé akut von Schließung bedroht

Bis zu 10000 Obdachlose leben in den Straßen Berlins. Bei Minusgraden kann das bisweilen lebensgefährlich werden. Weil der rot-rote Senat die Mittel gekürzt hat, muss das Obdachlosen-Nachtcafé „Unter Druck“ zum Jahresende wahrscheinlich schließen.

In der kalten Jahreszeit, in der die Christenheit die Geburt des Gottessohnes Jesus Christus feiert, wird viel Geld ausgegeben. Freunde und Verwandte beschenken einander. Wenn die Leute schon mal die Brieftasche auf haben – denken sich die Sozialmissionare – kann man von der Gebefreudigkeit profitieren. Plakate am Straßenrand versuchen beispielsweise Angst- und Schuldgefühle der Autofahrer zu entfachen. Dabei stellt kaum einer die Frage, ob mit den Kosten (Werbefirma, Druckerei und Klebekolonne) sich nicht in Uganda drei Dorfschulen einschließlich der dazu gehörigen Lehrergehälter für ein Jahr hätten finanzieren lassen.

Diejenigen, die keine Eigenwerbung machen können, kommen zu kurz. Dazu gehören Obdachlose. Sie haben wenig Unterstützer und profitieren nicht von der politischen Korrektheit. Vornehmlich sind es Deutsche, Hartz-IV-Empfänger, Scheidungsgeschädigte oder durch Arbeitslosigkeit aus der Bahn Geworfene, die zu den drei- bis viertausend vom Roten Kreuz vermuteten Wohnungslosen in der deutschen Hauptstadt gehören. Andere Schätzungen gehen von 10000 Berliner Obdachlosen aus.

Dahinter verbergen sich ganz unterschiedliche Schicksale. Dietrich B. verbringt die meiste Zeit des Tages am Bahnhof Zoo. Er winkt Autofahrer in Parkplätze ein und hofft dann auf einen Euro. Der zweifache Familienvater verdiente gut im Öffentlichen Dienst, hatte einen sichere Stelle. Dann ging seine Frau fremd, reichte die Scheidung ein, er sollte zahlen, seine „Ex“ machte beim gemeinsamen Sorgerecht der Kinder Schwierigkeiten. Irgendwann verlor Dietrich B. seinen Lebensantrieb, ging nicht mehr zur Arbeit, verlor den Job, zahlte keine Miete und kein Telefon, flog aus der Wohnung und „wohnt“ nun im Sommer meistens im Volkspark Mariendorf.

Volker H. hat sogar studiert. Auch er hatte eine gute Stelle. Aber dann kam die „Midlifecrisis“. Er hatte plötzlich keine Energie mehr. Verschenkte sein Sparbuch an seine Freundin, kündigte „ganz normal“ und stieg aus, jetzt sitzt auch er auf der Straße.

Thomas K. hatte hingegen nie viel zu verschenken, malochte in den 70er Jahren als Hilfsarbeiter. Dann wurde er arbeitslos. In seinem Wohnquartier im Märkischen Viertel zogen viele Migranten ein. Da gab es Streit. Eines Tages kam es zu Gewalt. Da wollte er weg. Heute tut es ihm leid, dass er in der Schule so faul war. Er hätte mehr als die Hauptschule schaffen können, da ist er sich sicher. Und dann wäre er jetzt vielleicht nicht hier.

Marek gehört eigentlich gar nicht zu den Obdachlosen. Dennoch steht der junge Mann aus Breslau vor einem Lidl-Markt und versucht, eine Obdachlosenzeitung zu verkaufen. Meist schläft er in einer Einrichtung der Caritas. Er hatte auf verschiedenen Baustellen schwarz gearbeitet und wurde dort um seinen Lohn geprellt. Bis Weihnachten will er versuchen, mit Gelegenheitsarbeiten Geld zu verdienen, das Fest will er bei der Familie in Schlesien feiern.

Solange es die Witterung zulässt, schlafen sie auf Parkbänken oder unter Büschen in Grünanlagen. Wenn das Thermometer unter Null sinkt, wird das lebensgefährlich. Ein Anlaufpunkt sind dann die Kirchengemeinden. Dort wird niemand abgewiesen. Die Berliner Verkehrsbetriebe halten zudem einige Bahnhöfe auch nach Betriebsschluss geöffnet. Dort findet sich auch mancher „Tippelbruder“ ein.

Die „Berliner Kältehilfe“ schließlich betreibt seit 20 Jahren verschiedene Einrichtungen. Sie wird unterstützt von den beiden großen christlichen Kirchen wie den Wohlfahrtsverbänden und erhält Zuwendungen des Berliner Senats. Die Kältehilfe stellt täglich rund 300 bis 400 Übernachtungsplätze bereit. Neben Notunterkünften gibt es Suppenküchen und so genannte Nachtcafés. Besonders bitter ist es für die Obdachlosen, dass das Café „Unter Druck“ in Berlin-Mitte gerade von der Schließung bedroht ist und womöglich ausgerechnet jetzt dichtmachen muss, wo es wirklich kalt geworden ist. Schon seit 2007 werden der Einrichtung die Mittel des Bezirks gekürzt. Immer wieder wurde dagegen erfolglos protestiert. Der Bezirk gibt aber auch nur sein kleiner gewordenes Budget weiter, das er vom rot-roten Senat erhält. Bis zum Jahresende kann das „Unter Druck“ noch überleben. Man hofft dort aber auf Spenden zur Weihnachtszeit, um den Betrieb weiterführen zu können. Für besondere Verärgerung sorgt, dass es ausgerechnet die Senatsparteien SPD und Linke sind, die sich sonst besonders heftig als Anwälte der Schwächsten aufspielen, und nun den Obdachlosen buchstäblich die eiskalte Schulter zeigen.

Seit 1994 ein Obdachloser erfroren ist, wurde immerhin der Berliner Kältebus ins Leben gerufen, der Bahnhöfe, Baugrundstücke und Parks abfährt, um dort Menschen Schutz vor Kälte zu bieten. Trotzdem kommt es immer wieder zu Todesfällen. Vor zwei Jahren wurde in einem Park im Nobelviertel Zehlendorf ein Toter auf der Parkbank gefunden. Er war erfroren.             Hans Lody

Foto: Er bringt warme Decken und heißen Tee oder führt Obdachlose zu einer Notunterkunft: Seit 15 Jahren sind die Mitarbeiter der Berliner Stadtmission mit dem Kältebus unterwegs. Bild: ddp


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren