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26.12.09 / Stahl und Beton contra Vergangenheit / Fast 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Wunden in deutschen Städten noch erkennbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-09 vom 26. Dezember 2009

Stahl und Beton contra Vergangenheit
Fast 65 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sind die Wunden in deutschen Städten noch erkennbar

Geschichte gibt Identität, das empfinden immer mehr Bürger und setzen sich daher für eine Rekonstruktion von im Zweiten Weltkrieg zerstörten Stadtteilen ein. Doch ihr Bestreben stößt bei Stadtplanern nicht immer auf offene Ohren. Ein zäher Kampf, Bürger gegen Stadtplaner, ist die Folge.

Halle, wo einst der deutsche evangelische Theologe, Pädagoge und Kirchenlieddichter August Hermann Francke wirkte und 1698 die sozialen Franckeschen Stiftungen gründete, erhält einen architektonischen Blickfang. Im Sommer 2011 soll der Neubau der Bundeskulturstiftung bezugsfertig sein. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nennt den drei Millionen Euro teuren, aus dem Konjunkturpaket II finanzierten Entwurf des Architektenbüros Dannheimer & Joos „kühn“ und „modern“, andere verspotten den von einem Metallgitter eingeschlossenen Glaskörper bereits als „Vogelkäfig“.

Manchen Bewohner der Stadt verstimmt es zudem, dass für den modernistischen Neubau ein 1685 errichtetes Wohnhaus des Armenviertels Glaucha, das einst den Prediger Francke zu seinem Engagement bewegte, abgerissen werden muss. Der Einwand, es handele sich um ein baufälliges Wohnhaus, das zudem nach Bombentreffern im Krieg in den 50er Jahren zur Hälfte wiederaufgebaut worden sei, es also nicht mehr im Original existiere, tröstet sie wenig. Angesichts des Leerstandes in der historischen Innenstadt könnte die Bundeskulturstiftung angemesse Räume finden, doch die Stadt will einen Neubau, allen voran der der Jury vorsitzende Architekt Peter Kulka, der für seinen Modernisierungseifer bekannt ist.

Auch in Berlin sorgt derzeit ein Architekt für Diskussionsstoff. Das Büro David Chipperfield hat im Auftrag der Senatsbaudirektorin Regula Lüscher Visionen für die historische Mitte der Hauptstadt präsentiert. In einem der fünf Entwürfe lässt er das Gelände im Herzen Berlins einfach fluten. Der City-Hafen, in dessen Mitte die alte Marienkirche auf einer Insel steht, konkurriert mit einem Aufmarschplatz, einem archäologischen Grabungsfeld, einem Stadtpark und einer Amüsiermeile.

Jede andere Hauptstadt der Welt würde sich freuen, wenn sie eine so große Fläche direkt in der Innenstadt in die städtebauliche Planung einbringen könnte, doch in Berlin wird mit dem Gedanken gespielt, diese 14 Hektar zu fluten? Beate Schubert vom Verein Berliner Historische Mitte e.V. kommentiert die Entwürfe gegenüber der PAZ gar nicht erst, schließlich würden bereits genügend Berliner Medien diese glossieren. Bevor man allerdings Ideenwettbewerbe starte, solle man sich zuvor mit der Geschichte dieses Stadtteils befassen. „Unter dem Pflaster liegt die Stadt“ heißt die Ausstellung, die ihre Initiative im August 2010 in der Parochialkirche zeigte. Historische Fotos belegten, wie das Gelände, das heute Marx-Engels-Forum heißt und früher Marienviertel oder Heilig-Geist-Viertel genannt wurde, einst aussah. Aufnahmen aus den Jahren 1945 bis 1965  zeugten zudem davon, dass das SED-Regime völlig intakte Häuser abreißen ließ, um einen Aufmarschplatz im Zentrum zu bekommen. „Als ob wir mittelalterliche Häuser wiederaufbauen wollten“, entgegnet Schubert die Unterstellungen ihrer Gegner. Sie wolle vor allem Vielfalt, das heißt Parzellierung. Allerdings befürworte sie Bauauflagen, die die Historie berücksichtigen, aber ein originalgetreuer Wiederaufbau sei nicht das Ziel ihrer Initiative. Schubert hat sich in dem fast zwei Jahrzehnte andauernden Kampf für den Wiederaufbau des Stadtschlosses engagiert und weiß daher, dass, wer in städtebaulichen Fragen etwas erreichen will, einen langen Atem braucht. Mut macht ihr die Tatsache, dass Kulturstaatssekretär André Schmitz sich für die Bebauung der historischen Mitte ausspricht und eine „Rückgewinnung der Keimzelle der Stadt, ihres eigentlichen Geburtsortes“ fordert. Schmitz dürfte sich zuvor mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, der zugleich auch Kultursenator ist, abgestimmt haben. Da noch vor der nächsten Senatswahl im Sommer 2011 geklärt werden soll, was mit dem Gelände geschieht, wird 2010 das Thema historische Mitte öffentlich Wellen schlagen. Schubert hofft, durch Aufklärung über die Geschichte des Viertels, über das selbst Politiker wenig wissen, für ihre Sache begeistern zu können. Dass Architekten wie Chipperfield ihre „Duftmarken“ im Städtebau setzen wollen, sei zwar verständlich, doch die Tatsache, dass sie es als unter ihrer Würde empfinden, historische Vorgaben nur nachzubauen, dürfte die Stadtplaner eigentlich nicht interessieren, so Schubert.

In Frankfurt am Main ist man weiter. Nach einem zähen Kampf haben Bürgerinitiativen die Rekonstruktion von sieben historischen Fachwerkhäusern durchgesetzt. Hierbei handelt es sich jedoch um einen Kompromiss, denn die Bürger wollten weitere historische Gebäude wiederaufbauen und darin auch das Historische Museum unterbringen, doch für diesen Neubau hat die Stadt bereits einen Architektenwettbewerb ausgeschrieben. Mit vielen kleinen Finten versuchen die Stadtplaner, ein „zu viel an Altstadt“ zu verhindern.

Die Initiative „Mitteschön“ in Potsdam hat es da schon etwas leichter. Erstaunlicherweise findet sie mitten in der ehemaligen SED-Hochburg leichter Gehör als ihre Gleichgesinnten in Frankfurt. Und auch die Gesellschaft Historischer Neumarkt in Dresden kann Stück für Stück die Rekonstruktion durchsetzen. Zwar hat sie auch vom Wiederaufbau der Frauenkirche profitiert, doch bereits zu DDR-Zeiten 1955 hat der Kunsthistoriker Franz Löffler mit seinem Werk „Das alte Dresden“ die Vorarbeit geleistet, so dass bereits in der DDR 1983 mit dem Gedanken der Rekonstruktion gespielt wurde. Die Polen hatten in Warschau, Danzig und Stettin zuvor bewiesen, dass ein Wiederaufbau der durch den Zweiten Weltkrieg zerstörten Identität einer Stadt neues Leben einhauchen kann.

„Es ist nicht mehr aufzuhalten“, so der Sprecher der Dresdner Initiative, Torsten Kulke, über die Rekonstruktionsbestrebungen in vielen deutschen Städten. „Die Städte, die im internationalen Wettbewerb stehen, müssen eine eigene Identität haben. Und wer seine eigene Identität nicht kennt, findet sie vielleicht auf diesem Wege.“                 Rebecca Bellano

Foto: Hingucker? Der Erweiterungsbau der Bundeskulturstiftung in Halle auf dem historischen Gelände der Franckeschen Stiftung in Halle wird wegen seiner Metallgitterfassade bereits jetzt „Vogelkäfig“ genannt.      Bild: Dannheimer & Joos


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