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26.12.09 / Russki-Deutsch (48): Propusk

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-09 vom 26. Dezember 2009

Russki-Deutsch (48):
Propusk
von Wolf Oschlies

Selbst liebedienerischste Sowjetanbeter wie der deutsche Schriftsteller (und tschechische Diplomat) Franz Carl Weiskopf (1900–1955) wandelte die Verzweiflung an, wenn sie auf sowjetische Bürokratie zu sprechen kamen. Als deren Wahrzeichen empfanden sie den „Propusk“, den Passierschein, den Weiskopf – politisch ein Dussel, aber schriftstellerisch ein Talent – brillant charakterisierte. Er hatte bei Moskauern Kindern ein neues Spiel „Propusk“ beobachtetet, „entschieden das schönste von allen“. Und so geht es: „Man suche sich eine enge Gasse aus, oder ein Haustor, nehme ein Strick, sperre mit ihm die Gasse ab und warte, bis irgendjemand daherkommt. Dann stürze man sich dem Ahnungslosen entgegen mit der Frage: Ihr Propusk, Bürger?“

Weiskopf ließ sich nicht erpressen: „Ich zeigte den Passierschein vor, den ich soeben vom Hauswart gegen Vorweisung eines Dutzends verschiedener Legitimationen und Dokumente erhalten habe.“ Ohne Propusk – von dem Verb propustitj (durchlassen) – war in der Sowjetunion 70 Jahre lang kein Schritt möglich. Vor jedem Amt, Hotel und Institut saßen „Ochraniki“, bewaffnete Wachen, die den Propusk sehen wollten, auch von Angestellten, die sie seit Jahren kannten. Auch das postkommunistische Russland hat von dieser Unsitte nicht abgelassen, wie 2002 eine deutsche Studentin erfuhr: „Ohne Papier ist man in Russland ein Käfer – heißt ein russisches Sprichwort: Ohne Dokument kein Mensch. Letzthin war ich wieder einmal so ein Käfer. Ich hatte nämlich keinen Propusk. In die allermeisten Bürogebäude kommt man nur mit dem Propusk hinein.“

Nach dem Krieg lernten auch die Deutschen der Sowjetischen Besatzungszone den Propusk kennen: „Wir schliefen wieder ein. Wachten auf, weil der Lastzug anhielt. Russische Stimmen; Paschol, Propusk“, heiß es in Georg Lentz’ Roman „Molle mit Korn“: Los, den Propusk her! So etwas hört man seit langem nicht mehr, denn zahllose Touristen haben die Propusk-Front aufgeweicht, aber ganz verschwinden wird er nie. Die erwähnte Studentin wusste warum: Der Propusk ist natürlich überflüssig, aber an ihm hängen die Jobs ungezählter „ochraniki“, die ohne ihn arbeitslos wären. Was sie und andere nicht wollen.


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