19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.12.09 / Tod und Elend noch nach Kriegsende / Das Schicksal der 1,065 Millionen deutschen »Kriegs«-Gefangenen in französichem Gewahrsam

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-09 vom 26. Dezember 2009

Tod und Elend noch nach Kriegsende
Das Schicksal der 1,065 Millionen deutschen »Kriegs«-Gefangenen in französichem Gewahrsam

Im und nach dem Zweiten Weltkrieg befanden sich über eine Million Deutsche in französischer Kriegsgefangenschaft. Zwischen ihrem traurigen Schicksal und der in der Regel völkerrechtskonformen Behandlung französischer Kriegsgefangener durch die Wehrmacht liegen Welten.

Nachdem Frankreich am 3. September 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatte, vergingen noch acht Monate, bis die deutsche Wehrmacht am 10. Mai 1940 ihre Offensive gegen Frankreich begann. Fünf Wochen später, am 14. Juni, rückte die 87. deutsche Infanteriedivision in Paris ein, das zur „offenen Stadt“ erklärt worden war. Eine Woche später schlossen Deutschland und Frankreich einen Waffenstillstandsvertrag, um den Frankreich gebeten hatte. Drei Millionen französische Soldaten gerieten in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Seitdem zahlreiche Staaten, darunter die Französische Republik und das Deutsche Reich, Ende des 19. Jahrhunderts in Genf mehrere Abkommen unterzeichnet hatten, in denen sie sich auf eine humane Behandlung der Kriegsgefangenen geeinigt hatten – die Regelungen wurden 1928 in Haag weiter ausgebaut – standen die Kriegsgefangenen der Unterzeichnerstaaten unter besonderem Schutz. Danach war es verboten, Gefangene zu töten, zu verstümmeln, Grausamkeiten an ihnen zu begehen, sie zu foltern, ihre persönliche Würde zu beeinträchtigen und so weiter.

Es ist heute unbestritten, dass Deutschland sich 1940 an diese Regelung hielt. Unmittelbar nach Abschluss der Waffenstillstandsverhandlungen wurden etwa eine Million französische Gefangene freigelassen. Die übrigen waren in Lagern untergebracht, die sich überwiegend auf dem Territorium des Deutschen Reiches befanden. Offiziere waren vertragsgemäß von Arbeit freigestellt, Unteroffiziere und Mannschaften waren im Arbeitseinsatz, größtenteils in der Landwirtschaft. Im Oktober 1941 wurden die Regelungen für französische und belgische Kriegsgefangene gelockert. Sie konnten nun Ausgang beantragen und in Gruppen Spaziergänge in die Umgebung unternehmen. Ihre Frauen, Töchter und Mütter bekamen Besuchserlaubnis. Den Gefangenen wurde der Besuch von Gottesdiensten angeboten.

Aufschlussreich ist der Vergleich mit dem Schicksal deutscher Kriegsgefangener in Frankreich nach der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945. Millionen von deutschen Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft auch der westlichen Alliierten, davon nur ein eher kleiner Teil – etwa 300000 – in die Hand der Franzosen. Daher lieferte die USA zahlreiche deutsche Gefangene an Frankreich aus, das sie als billige Arbeitskräfte einsetzen wollte. Es waren 740000, darunter 500 bis 600 Frauen, aber auch viele Jugendliche und Kinder. Britische Streitkräfte übergaben den Franzosen 25000 Kriegsgefangene. Sie alle waren auf französischem Boden in 115 Lagern untergebracht.

Das Völkerrecht verlangt zwingend, Kriegsgefangene bald nach dem Ende der Feindseligkeiten freizulassen, sofern im Einzelfall kein begründeter Verdacht auf Kriegsverbrechen oder andere Straftaten besteht. Denn die einzige Rechtfertigung der Kriegsgefangenschaft besteht darin, den entwaffneten feindlichen Soldaten an der Wiederaufnahme des Kampfes zu hindern. Insofern war die jahrelange Gefangenschaft Hunderttausender Deutscher auch in westalliiertem Gewahrsam nach Kriegsende schon per se rechtswidrig.

Hinzu kam, dass die Lebensverhältnisse vor allem in den ersten Monaten grauenhaft waren. In den meisten Lagern gab es zunächst weder Betten noch Tische und Stühle. Im Winter froren die Gefangenen erbärmlich, weil Öfen fehlten. Die Franzosen nutzten den deutschen Zusammenbruch, um Rache an Wehrlosen zu nehmen. Die Verpflegung bestand aus Hungerrationen. Krankheiten breiteten sich aus. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das nach mehreren Monaten endlich Zugang zu den Lagern bekam, protestierte bei der französischen Regierung gegen die unmenschlichen Zustände in den Lagern. Wenn nicht sofort entsprechende Maßnahmen ergriffen würden, so das IKRK, dann sei das Leben von Zigtausenden gefährdet. Fast alle seien, so dass IKRK, ungenügend bekleidet. Im Januar 1946 mussten 70000, die am Rande des Verhungerns waren, an die Amerikaner zurückgegeben werden, weitere 60000 wurden nach Hause entlassen, weil sie zu keiner Arbeitsleistung mehr fähig waren. Im März 1946 waren 90 Prozent unterernährt. Es kam zu zahlreichen Arbeitsunfällen aus Schwäche. Nach Protesten des Roten Kreuzes erhielten die Gefangenen wenigstens Seife, um sich reinigen zu können.

Um nur einen Zeitzeugen zu Worte kommen zu lassen, hier der Bericht des Soldaten Richard Heß aus Ludwigshafen (veröffentlicht in „Die Gefangenen“ von Paul Carell und Günter Böddekar) über die Lebensverhältnisse, denen die deutschen Kriegsgefangenen im Lager Nr. 404 „Septèmes-les-Vallons“ bei Marseilles ausgesetzt waren: „Wir lebten dort fünf Monate im Freien ohne Zelt, ohne Decken, ich hatte noch nicht einmal einen Mantel. Wir schliefen immer auf dem Boden, Mann an Mann. Das Essen ein Minimum, unter anderem Sauerkrautsuppe. Fünf Monate auf der Erde schlafen. Fünf Monate ohne die Wäsche wechseln zu können, die Strümpfe faulten in den Stiefeln. Nach fünf Monaten kam ich dann in das so genannte Stammlager 306, dort wurde es langsam besser.“

Ebenfalls unter dem Druck des IKRK erlaubte die französische Regierung endlich, dass die Gefangenen Pakete aus Deutschland empfangen durften. Die Schweiz schickte Kartoffeln in die Lager. Erst im Frühjahr 1947 bezeichnete das IKRK die Lage der deutschen Gefangenen bezüglich ihrer Ernährung als normal. Nach amtlichen französischen Angaben starben in französischer Gefangenschaft etwa 24000 deutsche Kriegsgefangene – eine Zahl, die von deutschen Sachverständigen als viel zu niedrig bezeichnet wurde. Viel wahrscheinlicher sind Schätzungen, die auf 115000 Tote kommen. Nicht wenige von ihnen starben durch völkerrechtswidrigen Einsatz beim Räumen von Minen und Bombenblindgängern – zunächst ohne jede Hilfsmittel. Die Verlustrate bei den 40000 Deutschen, die zu diesen Einsätzen gezwungen wurden, betrug monatlich 2000 Mann.

Von 1945 bis Ende 1948, als die letzten deutschen Kriegsgefangenen freigelassen wurden, hatten sie an 383 Millionen Arbeitstagen, 3,06 Milliarden Arbeitsstunden geleistet. Als unter dem Druck des IKRK die letzten Kriegsgefangenen entlassen wurden, blieben von den insgesamt rund 1065000 deutschen Kriegsgefangenen in französischem Gewahrsam 71000 als Zivilarbeiter in Frankreich zurück. In Frankreich wurde kein einziger Verantwortlicher für das schreckliche Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen vor Gericht gestellt.

Hans-Joachim von Leesen

Foto: Alliierte Soldaten durchsuchen deutsche Kriegsgefangene: Völkerrechtswidrig wurden den Gefangenen beim Filzen häufig nicht nur Waffen, sondern auch Orden und persönliche Wertgegenstände abgenommen.         Bild: pa


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren