20.04.2024

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26.12.09 / Der Zauber eines Winterabends

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-09 vom 26. Dezember 2009

Der Zauber eines Winterabends

Leicht geduckt stand der alte Förster hinter einer Tanne und horchte. Es hatte den ganzen Nachmittag geschneit, und inzwischen überzog eine dicke Schneedecke die Lichtung. Bereits seit Wochen war er auf der Suche nach dem Wilderer, der im Revier sein Unwesen trieb. Bislang hatte er nur einige Hasen erlegt, aber da es in dieser Gegend sehr viel Damwild gab, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis ihm ein kapitaler Bock vor die Flinte kam.

Heute war Heiligabend, und eigentlich sollte er längst zu Hause sein. Seine Frau hatte sicher schon den Abendbrottisch gedeckt und die Lichter am Weihnachtsbaum angezündet.

Der Wind trug den Klang der Glocken aus dem nahen Dorf zu ihm hinüber, und Heinrich hob lauschend den Kopf. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die ersten Sterne der Christnacht am Himmel standen. Von einer inneren Unruhe getrieben verließ er sein Versteck und stapfte durch den tiefen Schnee hinüber zum Hochsitz.

Der Förster wusste wie aussichtslos seine Suche war, aber die Ruhelosigkeit trieb ihn vorwärts. Eine innere Stimme sagte ihm, dass der Wilddieb sich ganz in seiner Nähe aufhielt. Er musste ihn finden ...

Heinrich klopfte den Schnee von seinem Hut und ging tiefer in den Wald hinein.

Er wusste nicht mehr, wie lange er schon unterwegs war, als er plötzlich am Nachthimmel einen großen, leuchtenden Stern er- blickte. Fasziniert starrte er nach oben und ging langsam weiter, immer mit dem Stern in eine Richtung.

Er hatte bereits jedes Zeitgefühl verloren, als er unvermittelt vor einer alten Hütte stand. Vorsichtig versuchte er, durch die blinden Scheiben zu spähen. Ihm stockte der Atem, er konnte nicht glauben, was er sah.

Ein stattlicher Mann, in verschlissenen Kleidern beugte sich über eine offene Feuerstelle, während eine Frau einen Säugling auf ihrem Arm wiegte. In der Ecke der Hütte lag ein gescheckter Esel und kaute an einigen Futterrüben.

Der Förster lehnte sich verwirrt gegen die morsche Holzwand des Schuppens. Was hatte das zu bedeuten? Hatte er den Wilderer endlich gefunden?

Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und klopfte zaghaft an die Brettertür.

Im Haus rührte sich nichts. Gerade, als er ein zweites Mal klopfen wollte, hörte er eine Stimme, und die Tür wurde geöffnet. Der Mann musterte den Förster freundlich und forderte ihn auf einzutreten.

Zögernd ging Heinrich ins Innere der Hütte. Eine wohlige Wärme, und der Geruch nach gebratenem Fleisch empfing ihn. Die junge Frau hatte den Säugling in eine Futterkrippe gelegt und stellte eine Schale mit geröstetem Brot auf den Tisch.

Man bot dem Förster einen Platz an und lud ihn ein, an dem Mahl teilzuhaben. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein, und Heinrich war gefangen von dem Zauber, der diese Menschen umgab. Vergessen war der Wilddieb und der eisige Wintersturm. Es gab nur ihn, diese kleine Familie und die Heilige Nacht.

Heinrich aß von dem gebratenen Fleisch und trank aromatischen Tee dazu. Man unterhielt sich, und die Zeit verging wie im Fluge.

Als der Förster Stunden später die Hütte verließ, begann es zu schneien. Von Ferne hörte er die Glocken der kleinen Kapelle, die zur Christmesse riefen. Martha, seine Frau würde schon ungeduldig auf ihn warten. Den Wilderer hatte er längst vergessen, er dachte an die kleine Familie in dem alten, baufälligen Schuppen und auf einmal wurde ihm ganz warm ums Herz.

Als er später vor der kleinen Krippe in seiner Stube stand und auf den gescheckten Esel schaute, war ihm, als ob dieser ihm verstohlen zuzwinkerte. Helga Licher


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