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26.12.09 / Stromstöße statt Gespräche / Historikerin beschreibt den Umgang mit deutschen Kriegsheimkehrern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-09 vom 26. Dezember 2009

Stromstöße statt Gespräche
Historikerin beschreibt den Umgang mit deutschen Kriegsheimkehrern

Ob Sachbeschädiger, Gewaltverbrecher oder Mörder; sie alle haben im deutschen Rechtssystem bessere Karten und stoßen auf Verständnis, wenn sie auf eine schwere Kindheit oder ein Jugendtrauma verweisen können. Deutsche Kriegsheimkehrer hingegen, denen man höchstens vorwerfen kann, dem falschen Regime in den Krieg gefolgt zu sein, mussten über Jahrzehnte um ihre Reputation kämpfen und wurden im Falle echter psychischer Probleme aufgrund traumatischer Erlebnisse auch noch lange als Psychopathen oder Simulanten abgestempelt.

Die deutsche Historikerin Svenja Goltermann hat alte Krankenakten von psychisch erkrankten deutschen Soldaten eingesehen und dokumentiert. Meist stammen die Akten aus den Bodelschwinghschen Anstalten in Bielefeld/Bethel, zum kleineren Teil aus der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik Heidelberg sowie der Fürsorgestelle für Nervöse beim Gesundheitsamt Köln. Im ersten Teil der Ausführungen ihres Buches „Die Gesellschaft der Überlebenden – Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrung im Zweiten Weltkrieg“ dokumentiert die Autorin die in den ausgewerteten Akten der Jahre 1945 bis 1949 geschilderten Fälle. An einigen Stellen kommentiert sie auch, was aber deplatziert wirkt, da sie dies nur tut, wenn es darum geht, sich von den Heimkehrern und ihren Nöten zu distanzieren. So erwähnt sie beispielsweise bereits in der Einleitung den Argwohn, der in manchen Kreisen die Thematisierung der deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges auslöst, und kommentiert diesen mit den Worten: „leider auch nicht durchweg unberechtigt“. Hätte sie diese Opferdebatte, die von Kritikern als „Viktimisierungdiskurs“ bezeichnet wird, in den Zusammenhang der heutigen psychologischen Erkenntnisse gestellt, nämlich dass man über Traumata reden muss, um sie zu verarbeiten, dann würde auch die Opferdebatte in ein rechtes Licht gerückt, zumal deren Ziel überwiegend nicht die Relativierung der NS-Verbrechen ist, sondern der Verarbeitung der Traumata dient, die über Jahrzehnte, wie die Autorin selbst im zweiten und dritten Teil ihrer Ausführungen anführt, nicht als solche anerkannt wurden.

Die Akten dokumentieren, warum jene Männer, die von Alpträumen, Ängsten und Depressionen geplagt wurden, ärztlichen Rat suchten. Doch, wie die Autorin im zweiten Teil anführt, kannte die psychologische Forschung keine Kriegstraumata. Wer sich nach dem Krieg nicht in den Alltag fügte, war entweder Psychopath oder Simulant, der Kriegsrente ergaunern wollte, so die internationale Beurteilung derartiger Fälle. Kein Wunder also, dass die Krankenakten nicht sonderlich aufschlussreich sind. Die Patienten reden hauptsächlich von ihren Symptomen, die Ärzte sind ratlos, haben sie doch etwas vor sich, was es offiziell nicht geben darf. Die heute übliche Therapie, über Schockerlebnisse zu sprechen, um sie so zu verarbeiten, gab es noch nicht und so griffen die Ärzte, wenn sich der Patient nicht von alleine erholte, zu Stromstößen.

Einem heutigen Therapeuten müssten sich beim Lesen der Zeilen die Haare sträuben, denn die Argumente der Medizin, die Goltermann anführt, sind unglaublich. Selbst bei KZ-Opfern wurde anfangs nicht der Rückschluss gezogen, dass ihre Ängste und Albträume von den Erfahrungen im KZ herrühren könnten. Auch hier seien stattdessen schwache Charaktere diagnostiziert worden. Eine Diagnose, die zudem Angst ausgelöst habe, da die Befürchtung bestand, die „Krankheit“ könnte erblich sein. Gerade in Deutschland, wo die Menschen während der NS-Zeit massiv über erbliche Rassemerkmale „aufgeklärt“ worden waren, war diese Diagnose auch nach 1945 noch lange ein furchtbares Stigma.

Anschaulich zeichnet die Autorin nach, wie erst die Anwälte der KZ-Opfer und Israel Stück für Stück Druck auf Deutschland ausübten, deren psychische Leiden anzuerkennen. Bonn zahlte, und  deutsche Psychiater versuchten zu begründen, warum KZ-Opfer rentenrelevante seelische Schäden davontragen konnten, deutsche Soldaten und Kriegsgefangene allerdings nicht. Da half die Debatte um das „Tätervolk“ und seine „kollektive Schuld“ ungemein.

Svenja Goltermann hat ein spannendes Thema bearbeitet, das weiterer Forschung bedarf. Die von ihr geschilderten Patienten und das Umfeld, in dem diese Menschen lebten, die beispielsweise immer wieder im Traum Tote transportieren mussten, lassen Rückschlüsse zu, warum die deutsche Nachkriegs-Öffentlichkeit mit ihrer direkten Vergangenheit so umging, wie sie es tat.  Rebecca Bellano

Svenja Goltermann: „Die Gesellschaft der Überlebenden – Deutsche Kriegsheimkehrer und ihre Gewalterfahrung im Zweiten Weltkrieg“, DVA, München 2009, geb., 591 Seiten, 29,95 Euro


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