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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-10 vom 16. Januar 2010
Kritik mit Substanz Auf die Frage, was er denn sei, Philosoph, Soziologe, Politologe, Theologe oder Historiker, antwortete der Autor anlässlich eines Kolloquiums: „Moralpädagoge“. Daran zweifelt niemand, der „Von Auschwitz nach Jerusalem“ gelesen hat. Alfred Grosser weist einen Weg in eine bessere Zukunft. Aber Grosser ist weit mehr als ein Wegweiser; er geht selbst diesen Weg, glaubwürdig, und das seit vielen Jahrzehnten. 1925 in Frankfurt am Main als Sohn jüdischer Eltern geboren, musste er 1933 die Heimat verlassen. Er wurde Franzose. Unter einer falschen Identität konnte er als Lehrer an einer katholischen Schule die Jahre der Verfolgung überstehen. Von Tätern und Helfern umgeben, wurde ihm damals zur Gewissheit, „dass es keine Kollektivschuld gibt“, aber Mitverantwortung für die Zukunft, auch der besiegten Deutschen. Und dieser Vorsatz bestimmt sein Leben. Grosser erwähnt die Anfeindungen, denen er ausgesetzt war und noch heute ist. Er zeigt zugleich, dass sie ihn von der „Suche nach einem kulturübergreifenden ethischen Minimum“ nicht abbringen können. Sein hohes Ansehen, die Ehrungen, die er entgegennehmen durfte, sind also nicht erkauft durch Gehorsam gegenüber den Vorgaben der „Political Correctness“ oder durch Schmeicheleien gegenüber den Mächtigen. Im Gegenteil: Das Buch ist randvoll mit substanzhaltiger Kritik. Bedauernd räumt er freilich ein, dass er diese Freiheit seinem Jude-Sein verdankt in einem Lande, das an wachsendem Masochismus leidet. Seine Liebe zur Wahrhaftigkeit lässt ihn gestehen, dass er, als er den Ex-Bundespräsidenten Theodor Heuss an die Sorbonne einlud, auf Wunsch des Gastes davon absah, dessen Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz zu erwähnen. Offen stellt er sich die Frage: „Wie mutig wäre ich gewesen, um mich für verfolgte Andere einzusetzen?“ Seine fundierte, nachvollziehbare Kritik trifft Lebende wie Tote, Deutsche, Franzosen und Israelis, Christen, Juden und Moslems, Rechte wie Linke, auch Ernesto Guevara, Daniel Goldhagen, Walter Jens, Günter Grass und andere Ikonen der „anständigen Deutschen“. Grass’ Sünde sei es nicht gewesen, dass er als junger Soldat in die Waffen-SS eingegliedert wurde, „sondern seine Be- und Verurteilung des damaligen Kanzlers, wo er doch hätte öffentlich sagen sollen: ‚Hier [in Bitburg] hätte auch mein Grab sein können.‘“ Alfred Grosser: „Von Auschwitz nach Jerusalem – Über Deutschland und Israel“, Rowohlt, Reinbek 2009, geb., 204 Seiten, 16,90 Euro |
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