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16.01.2010 / Kriminelle Partner schaden dem Ruf / Jürgen Lieser von Caritas international über Fehler und Versäumnisse beim Afghanistan-Einsatz

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-10 vom 16. Januar 2010

Kriminelle Partner schaden dem Ruf
Jürgen Lieser von Caritas international über Fehler und Versäumnisse beim Afghanistan-Einsatz

Jürgen Lieser gehört zu den bekannten Namen in der deutschen Entwicklungs- und Katastrophenhilfe. Im Interview mit Konrad Badenheuer erläutert er alte und neue Probleme der Entwicklungspolitik und seine Vorbehalte gegen den Militäreinsatz in Afghanistan.

PAZ: Herr Lieser, Sie sind stellvertretender Vorsitzender des Verbandes Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisatioen e.V. (Venro) und von Caritas international. Können Sie uns etwas über die beiden von Ihnen vertretenen Organisationen sagen?

Lieser: Bei Caritas international laufen aktuell rund 700 Projekte der Katastrophenhilfe und Ent- wicklungsförderung mit einem Gesamtvolumen von etwa 45 Millionen Euro im Jahr. Wir haben rund 70 Mitarbeiter in Freiburg und weitere knapp 25 in Auslandsbüros. Unsere Projekte werden über einheimische Partnerorganisationen umgesetzt, deswegen die eher geringe Zahl eigener Mitarbeiter im Ausland.

PAZ: Und der Venro?

Lieser: Diesem Verband gehören rund 110 Mitgliedsorganisationen an, alle großen nichtstaatlichen deutschen Entwicklungshilfegesellschaften sind dabei, auch Caritas international. Zu meinen Verantwortlichkeiten gehört die Afghanistanpolitik.

PAZ: Wie oft waren Sie selbst in Afghanistan?

Lieser: Drei- oder viermal, das erste Mal schon in der „Taliban-Zeit“, noch vor Beginn der Nato-Intervention Ende 2001.

PAZ: Der Venro und Sie persönlich befürworten tiefgreifende Änderungen an der Afghanistan-Strategie des Westens. Welche?

Lieser: US-Präsident Barack Obama hat kürzlich gefordert, die Truppenstärke im Land zunächst aufzustocken, um dann abziehen zu können. Logisch ist das nicht.  Schon jetzt sind über 70000 Isaf-Soldaten im Land, das ist ein massiver Einsatz. Die hohen Kosten sind für die Nato auf die Dauer kaum tragbar, eine weitere Aufstockung würde die Probleme dort nicht lösen.

PAZ: Sie fordern aber nicht den schnellen oder gar sofortigen Abzug, wie etwa Bischöfin Käßmann oder die Linkkspartei?

Lieser: Nein, das nicht. Man kann die Uhr nicht einfach zurück-drehen. Der Einsatz hat aber seine selbst gesteckten Ziele nicht erreicht, eher ist das Gegenteil der Fall. Die Sicherheitslage hat sich in den vergangenen drei Jahren massiv verschlechtert. Wenn die USA jetzt noch mehr Truppen fordern, dann sind auch prominente Bundeswehrvertreter skeptisch, die sagen, dass die Probleme dort allein militärisch nicht zu lösen sind.

PAZ: Militärs und Entwicklungshelfer bewerten die Situation also ähnlich?

Lieser: Das Problem sind weniger die Militärs als vielmehr die Politiker, die über den Einsatz entscheiden, ohne dass eine klare Strategie erkennbar wäre.

PAZ: Konkret, was könnte geschehen?

Lieser: Ein grundlegender und früher Fehler bestand in der engen Zusammenarbeit mit der sogenannten „Nordallianz“. Damit gelang der Nato zwar kurzfristig die Verdrängung der Taliban mit geringem eigenen Truppeneinsatz. Doch unter den Vertretern der Nordallianz befinden sich „Warlords“ und Milizenchefs mit sehr viel Blut an den Händen, die später zusammen mit Karzai in Kabul und in den Regionen in einflussreiche Positionen kamen. So schwierig eine Entwaffnung dieser Kräfte wäre, sollte doch die Zusammenarbeit mit ihnen beendet werden. Die einfachen Afghanen sehen genau, dass die Nato hier oft - pardon - mit Kriminellen kooperiert. Das hat viel zur Ablehnung der Intervention beigetragen, die eben nicht nur religiöse und nationale Motive hat.

PAZ: Wie sieht die Zusammenarbeit mit diesen Kräften konkret aus?

Lieser: Die USA zahlen an etliche lokale Milizenchefs Schutzgelder und stärken sie damit - die Bevölkerung weiß das genau.

PAZ: Zahlen nur die USA?

Lieser: Von den USA wissen wir es zuverlässig, bei anderen Isaf-Staaten wäre es naheliegend. Diese Politik fördert unmittelbar die Korruption. Es wird zu Recht viel darüber berichtet, dass die Korruption eines der Haupthindernisse für gute Regierungsführung und wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan ist. Weniger liest man davon, dass diese Korruption nur einer kleinen Minderheit nützt, die breite Bevölkerung darunter leidet.

PAZ: In zwei Wochen tagt die „Truppenstellerkonferenz“ in London. Sie haben schon die Vermutung geäußert, die USA wollten gar nicht abziehen aus Afghanistan.

Lieser: Die von den USA betriebene Politik passt nicht zu diesem nach außen verkündeten Ziel. Seine geostrategische Lage macht Afghanistan zu einem attraktiven Stützpunkt, gleich vier Konflikt-herde liegen in unmittelbarer Nachbarschaft: Iran im Westen, Pakistan im Süden, Kaschmir im Osten und die chinesische Unruheprovinz Xinjiang im Nordosten. Also bleibt das Land als Stützpunkt für die USA attraktiv, obwohl die al Kaida ihren Schwerpunkt längst anderswo hat.

PAZ: Haben die USA nicht schon Standorte in Mittelasien?

Lieser: Diese Präsenz ist fragil, und seit der Schließung der Basis in Usbekistan 2005 verbleibt den USA sonst nur noch der Standort Manas in Kirgistan, den sich das Land sehr teuer bezahlen lässt.

PAZ: Welche weiteren Forderung erhebt Venro, um in Afghanistan voranzukommen?

Lieser: Die Zivilgesellschaft dort und die Entwicklungszusammenarbeit müssten gestärkt werden, das ist die erste Forderung. Zweitens sollte die Uno der Nato das Isaf-Mandat entziehen und in ein genuines UN-Mandat verwandeln. Die Dominanz der Nato macht es in einem islamischen Land besonders schwer. Zumal es bei militärischen Operationen der Nato immer noch zu viele zivile Opfer gibt.

PAZ: Warum geschieht das nicht schon?

Lieser: Ein Problem sind die hohen Kosten, die Uno hat ja keine eigenen Truppen. Es ist eine Frage des politischen Willens, ob die USA und weitere Nato-Länder im Interesse des Erfolges der Mission bereit sind, etwas von ihrem Einfluss aufzugeben. Eine Führung des Mandats durch die UN haben wir erst kürzlich gefordert und sind schon überrascht, dass bisher keine Partei sich diese Position zu eigen gemacht hat. - Weitere Anliegen sind, dass man sich von der Vorstellung trennt, die al Kaida sei in Afghanistan noch wirksam zu bekämpfen. Schließlich ist die Bekämpfung der Korruption von überragender Bedeutung. Was nützt die beste Polizistenausbildung, wenn der geschnappte Kriminelle an eine korrupte Justiz übergeben wird, die ihn laufen lässt, sobald sich Zahlungswillige finden? Schließlich fordern wir eine Verringerung der Truppenpräsenz im Land, was auch erhebliche Mittel freimachen würde.

PAZ: Wie viel Interesse gibt es in der Politik für diese Vorschläge der Praktiker?

Lieser: Am kommenden Freitag nehme ich an einer Anhörung in der SPD-Zentrale über die Afghanistan-Politik teil. Ich bin schon gespannt, ob nach der Kundus-Affäre die Bereitschaft der Politik gewachsen ist, die bisherige Afghanistan-Politik zu überdenken und Stimmen aus der Zivilgesellschaft ernstzunehmen, die das Land kennen und dort keine eigenen wirtschaftlichen oder militärischen Interessen haben.

Foto: Nothilfen für Inlandsvertriebene in Kabul: Im Rahmen des Projekts werden 2500 Familien mit Nahrungsmittelpakete versorgt.


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