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23.01.10 / Volksparteien ringen um ihre Zukunft / Ratlosigkeit bei der SPD, »Lavieren in der Mitte« bei der CDU – Gesellschaftliche Gruppen lösen sich auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-10 vom 23. Januar 2010

Volksparteien ringen um ihre Zukunft
Ratlosigkeit bei der SPD, »Lavieren in der Mitte« bei der CDU – Gesellschaftliche Gruppen lösen sich auf

Die Volksparteien CDU und SPD ringen um ihre Zukunft. Seit einiger Zeit schon sind beide in Gefahr, ihr Profil und damit ihren angestammten „Markenkern“ zu verlieren, weil sie entweder einseitig Wechselwählern ohne feste Überzeugungen hinterherlaufen oder ihre Positionen in Grundsatzfragen zu oft oder zu stark geändert haben.
Die Situation von CDU und SPD hat die Gemeinsamkeit, dass eine immer stärker „atomisierte“ Gesellschaft ohne feste Wählergruppen traditionellen Volksparteien die Gewinnung von stabilen Mehrheiten naturgemäß erschwert. Doch es gibt auch große Unterschiede. Die SPD sitzt in der „Klemme“ zwischen einer nach links gerückten CDU und einer Linkspartei, die offensiv um Stütze-Empfänger wirbt.

So kann man bei der SPD feststellen, dass sie ihren Charakter als progressiv-technikfreundliche Partei der Aufsteiger, als die sie in den 60er und 70er Jahren galt, immer stärker verloren hat. Damit wurde sie für Ingenieure, Facharbeiter und andere Leistungsbereite unattraktiv. Diese sind immer stärker in Richtung Union und neuerdings sogar in Richtung FDP gewandert.

Auch ihre andere Kernklientel wurde für die SPD immer schwerer erreichbar: die klassischen einfachen Arbeiter und ihre ideologischen Sympathisanten, speziell Lehrer und Studenten. Diese Schicht wurde etwa durch die Deindustrialisierung des Ruhrgebietes und die Verlagerung vieler einfacher Arbeiten ins Ausland immer dünner. Zudem besteht sie oft aus Ausländern ohne deutschen Pass und Wahlrecht. Das heutige „Prekariat“ – überwiegend Transferempfänger und manchmal auch Leistungsverweigerer – ist dermaßen desinteressiert, dass es sich mehrheitlich erst gar nicht zur Wahlurne bequemt.

Durch die harten aber nötigen und letztlich erfolgreichen Hartz-Reformen in der rot-grünen Regierungszeit fühlte sich diese Klientel von der SPD im Stich gelassen oder sogar verraten. Sie fand eine neue Zuflucht bei der WASG und dann Linkspartei. Auch Lafontaines aggressiver Rhetorik ist es zu verdanken, dass viele SPD-Linke zusammen mit dem früheren SPD-Chef zur „dreimal umgemodelten SED“ abgewandert sind. Gleichzeitig wildert eine sozialdemokratisierte CDU bei den verbliebenen leistungsbereiten Anhängern der SPD. Die Folge: Mit 23 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 hat die SPD einen historischen Tiefpunkt erreicht.

Zutiefst verunsichert erscheint darüber die neue SPD-Führung um Sigmar Gabriel und Andrea Nahles. Statt einer kämpferischen Generalabrechnung mit dem schwachen Start der schwarz-gelben Koalition ist bei der SPD immer noch „Wundenlecken“ angesagt. Gabriel schaffte es bei der Klausurtagung seiner Partei nur zu einem lauen Zwölf-Thesen-Papier mit der fast schon flehenden Bitte, die Partei möge wieder „atmen lernen“, mit Nichtmitgliedern in Kontakt kommen, Frauen, jungen Leuten, Migranten. Garniert wird das mit zweifelhaften Korruptionsvorwürfen an die Adresse der FDP und der Union. Doch dieses Ausweichen auf Nebenkriegsschauplätze – typisch für die SPD-Wahlkämpfe  seit 1998 – kann die programatische Ratlosigkeit nicht verdecken. Das ständige Lavieren – etwa in der Frage: Hartz-Reformen und Rente mit 67 zurückdrehen oder nicht? – und die dauernden Kehrtwenden nach dem Motto „Was wir damals als Regierungspartei gemacht haben, damit haben wir heute nichts mehr zu tun“, zerstören Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Wenn eine Partei keine Linie hat, kann sie auch nicht überzeugen.

Dasselbe muss sich die CDU von konservativen Kritikern auch aus den eigenen Reihen ins Stammbuch schreiben lassen. Ihr Spitzenpersonal, Merkel, Gröhe, Pofalla, de Maiziere, Schäuble, von der Leyen, verprellt fast schon systematisch die klassische Kernklientel: Konservative, kirchentreue Katholiken, aber auch konservative Protestanten, Heimatvertriebene, gemäßigte Nationale, marktwirtschaftlich denkende Mittelständler sowie die Anhänger einer starken Polizei und Inneren Sicherheit. 

Hier sei nur an das unerträgliche Lavieren im Fall Steinbach erinnert, an die immer noch weiter wachsende Staatsquote und -verschuldung, an die Kritik der Kanzlerin an Papst Benedikt XVI., an Schäubles Zurückhaltung in Sachen Islamismus, an die Erhebung der voll berufstätigen Mutter zum Leitbild der Familienpolitik, an die Leisetreterei bei der Inneren Sicherheit angesichts Hunderter brennender Autos in Berlin und Hamburg – und an das offensichtliche Fehlen eines nachvollziehbaren Koordinatensystems im Kopf der Kanzlerin, wie eine im klassischen Sinne christlich-bürgerlich-konservative Gesellschaft aussehen soll. Folge: Stammwähler wenden sich massenhaft ab.

Auch mit der „Berliner Erklärung“ vor wenigen Tagen ist der CDU-Vorstand diesen Gruppen nur verbal entgegengekommen. Personelle oder inhaltliche Angebote werden den Konservativen nicht gemacht, vielmehr heißt es dort sogar, dass die CDU sich noch weiter öffnen wolle für bisherige Wähler von SPD, Grünen und FDP. Neue Wahlerfolge sind damit nach dem ernüchternden Ergebnis vom September kaum zu erzielen.             Anton Heinrich


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