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23.01.10 / Flucht mit der JU52 / Ein »Schutzengel« war wohl der ständige Begleiter der Familie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-10 vom 23. Januar 2010

Flucht mit der JU52
Ein »Schutzengel« war wohl der ständige Begleiter der Familie

Über 60 Jahre sind vergangen. Ich war zehn Jahre alt. Meine beiden Brüder und mein Vater waren als Soldaten an der Front. Ein Bruder lag in Lötzen, mit dreimaliger Verwundung, im Lazarett. Die letzte Nachricht vom ihm stammte vom 9. Januar 1945. Meine Mutter und ich waren allein zu Hause. Wir hatten schon längere Zeit eine Mutter mit zwei Kindern aus Masuren als Flüchtlinge bei uns gehabt. Sie waren schon weggegangen. Meine Mutter konnte sich nicht entschließen, fortzugehen und alles stehen und liegen zu lassen.
In der Feme hörten wir schon Artilleriefeuer, es muß um den 20. Januar gewesen sein. Lautsprecherwagen fuhren durch das Städtchen. Gauleiter Koch verkündete: Rette sich wer kann! Nun wurde auch meine Mutter hellwach! Wir gingen zum Bahnhof, aber es fuhren keine Züge mehr. Die Dirschhauer Brücke war schon gesprengt. Wir pack-ten unseren Hörnerschlitten mit dem Nötigsten zusammen, verschnürten ihn so gut es ging, und so brachen wir am 22. Januar bei klirrender Kälte auf. Aber wohin?

Erst einmal die Chaussee runter, die Straße war voller Flüchtlinge, Pferdewagen und Soldaten. Der Schlitten fiel dauernd im hohen Schnee um. Wir gingen von Preußisch Holland zunächst ins nächste Dorf, nach Steegen. Ich nehme an, meine Mutter wollte über Schlobitten und Königsberg über die Ostsee eine Möglichkeit finden, in den Westen zu gelangen. Meine Mutter kannte aus Geschäftstagen den Besitzer eines Hofes in Steegen, dort blieben wir über Nacht. Er gab uns Essen und Unterkunft. Das Haus war voll mit Flüchtlingen. Er wollte mit seinen letzten beiden Pferden versuchen durchzukommen. In der Frühe half er uns auf einen Pferdeschlitten, der Milchkannen nach Schlobitten bringen musste. Wir mussten unseren Schlitten stehenlassen. Wir zogen mehrere Kleidungsstücke übereinander und nahmen nur das mit, was wir tragen konnten. Meine Mutter suchte die wichtigsten Papiere und Unterlagen zusammen. In Schlobitten·angekommen, schickte man uns zu einem Güterzug, er war gefüllt mit Stroh, wir lagen auf dem Boden. Nach einiger Zeit fuhr er an, aber bald blieb er wieder stehen. Der Zug sollte ins Heilsberger Dreieck fahren, ständig blieb er stehen. Überall waren Soldaten.

Es folgte der Aufenthalt in Königsberg. Meine Mutter sagte, was sollen wir noch tiefer nach Ostpreußen reinfahren, wir stiegen aus. Wir schlugen uns zum Samlandbahnhof durch und tatsächlich gingen von dort noch Züge.

Unser Ziel war Rauschen. Dort bekamen wir eine Wohnung mit zwei anderen Müttern. So konnte immer eine bei den Kindern bleiben und die beiden anderen gingen auf die Suche nach einer Möglichkeit, mit dem Schiff weg zu kommen. Aber es klappte nicht, und so machten wir uns bei Dunkelheit auf den Marsch nach Brüsterort, die Spitze des Samlandes. Plötzlich hielt ein Militärfunkwagen, der uns mitnahm, wir Kinder sind dann bald eingeschlafen. Unser Ziel war der Flughafen von Brüsterort.

Inzwischen war es Morgen geworden. Wir sahen zerschossene Flugzeuge am Boden. Eine von den Müttern kannte den Kommandanten des Flughafens. Er sagte: Die wenigen Maschinen, die noch intakt wären, müssten mit Soldaten und Müttern mit ihren Kindern rausfliegen. Meine Mutter bekam Schwierigkeiten, mit mir einen Platz zu bekommen, sie wurde für meine Oma gehalten. Resolut bewies sie anhand ihrer Papiere, dass es sich bei uns um Mutter und Kind handelte. So bekamen wir die Chance, mitgenommen zu werden – es war die gute alte JU52, die uns aufnahm. Wir saßen auf dem Boden, und ich sah unter mir nur Wasser. Wir flogen bis Stolp in Pommern.

Dort sollten wir in ein kleines Dorf. Doch meine Mutter sagte: „Ich will ins Reich, meine älteste Tochter ist dort kriegsverpflichtet.“ Und so mussten wir wieder in ein Flugzeug und flogen bis Fürstenwalde bei Berlin. Von dort fuhren wir nach Lichterfelde zu einem Bruder meines Vaters. Die Verwandten rieten uns: Bloß raus aus Berlin wegen der Luftangriffe! Und so stiegen wir am Potsdamer Bahnhof in den Zug, um nach Braunschweig in Niedersachsen zu meiner Schwester zu gelangen. Der Zug fuhr schon bei Vollalarm aus dem Bahnhof raus. Wir hatten Offiziere im Abteil, die uns erklärten, daß die Tannenbäume am Himmel Suchscheinwerfer waren. In dieser Nacht wurde der Potsdamer Bahnhof völlig zerstört. Wieder hatten wir einen Schutzengel …

In Braunschweig angekommen, fanden wir die Adresse und die Wohnung meiner Schwester, aber das Haus war bombardiert. Meine Schwester war auf einem kleinen Militärflugplatz in Celle als Flughelferin kriegsverpflichtet Wir bekamen ein möbliertes Zimmer. Dort erlebten wir am 8. Mai 1945 den Einmarsch der Engländer – das Kriegsende. Mein Vater kam 1948 aus russischer Gefangenschaft, mein Bruder Karlheinz war zuletzt in Königsberg im Lazarett als Sanitäter. Er marschierte mit letzten Ärzten und Personal am Strand der Ostsee entlang und kam auf Umwegen nach Lübeck. Von meinem Bruder Wolfgang haben wir trotz zahlreicher Nachfragen über den Suchdienst des deutschen Roten Kreuzes nie wieder etwas gehört.

Wir hatten unsere Heimat verloren, trotzdem war es eine Flucht mit einem glücklichen Ausgang. Inge Model


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