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23.01.10 / Preußens größte Katastrophe vor 1945 / Vor drei Jahrhunderten wütete im Herzogtum die Pest ­– Ganze Dörfer starben damals aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-10 vom 23. Januar 2010

Preußens größte Katastrophe vor 1945
Vor drei Jahrhunderten wütete im Herzogtum die Pest ­– Ganze Dörfer starben damals aus

„Die wilde Pest heert weit und breit, / mit Leichen ist die Welt bestreut. / Schon manchen Toten deckt kein Grab, / der’s graben wollt, sank selbst hinab.“ Dieses alte Pestlied ist der beste Chronist jener furchtbaren Seuche, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts Altpreußen heimsuchte und ein Drittel der Bevölkerung des Landes zwischen Weichsel und Memel hinwegraffte. Ein ausgeblutetes Land, dessen Aderlass drei furchtbare Jahre lang dauerte, der Höfe wüst, Städte und Dörfer menschenleer werden ließ.

Vor 300 Jahren, im Winter 1709/10 herrschten in Ostpreußen unbeschreibliche Zustände. Vor allem in Königsberg, das aufgrund eines behördlichen Erlasses von der Außenwelt abgesperrt worden war und wo sich in den engen Gassen Szenen abspielten, die man unbeschreiblich nennen könnte, wenn sie nicht doch Chronisten in ihren Aufzeichnungen festgehalten hätten. So können wir uns heute ein sehr genaues Bild von dem Schwarzen Tod machen, der erst spät an die Stadttore klopfte, als er im weiten Land, besonders in Masuren und dem nördlichen Ostpreußen, schon Zehntausende hinweggerafft hatte.

Dabei hatte das 18. Jahrhundert doch so hoffnungsvoll begonnen. Die Tataren hatten nach ihren verheerenden Einfällen zwar ein verwüstetes Land zurückgelassen, aber es begann sich sichtbar zu erholen. Zwar blieb es hinter der Grenze unruhig – so ging der Kampf des schwedischen Königs gegen Polen weiter –, doch Brandenburg-Preußen war neutral und dank seines Machtaufschwungs wurde diese Neutralität von den Konfliktparteien respektiert. Königsberg sonnte sich im Glanz als junge Krönungsstadt, die Huldigungsfeierlichkeiten für den ersten König in Preußen waren verklungen, aber die Königskrönung hatte viel zum Wandel des bis dahin mittelalterlichen Stadtbildes beigetragen. Das friedliche Königsberg wurde zum Zufluchtsort für die Emigranten aus den Krisengebieten. So trieben die Siege des schwedischen Königs viele Polen nach Königsberg, sogar die Gemahlin des polnischen Königs Stanislaus Leszynski suchte hier Zuflucht. Man zählte um 1700 mehr als 6000 Polen in der preußischen Residenzstadt, die mit 40000 Bürgern doppelt so viele Einwohner hatte wie Berlin.

Jenseits der Grenze, in Polen und Litauen lauerte jedoch die furchtbarste Seuche des Mittelalters darauf, noch einmal zur Geißel der Menschen in dem vom 30-jährigen Krieg weitgehend verschont gebliebenen Altpreußen zu werden. In Preußen wurden die Grenzen streng bewacht, die Wälder wurden unbegehbar gemacht. Doch die Pest fand einen Schleichweg. Ende November 1708 tauchte sie im 25 Kilometer südöstlich von Osterode gelegenen Hohenstein auf. Der folgende harte Winter bereitete der Seuche geradezu das Bett. Die gesamte Wintersaat war vernichtet, die Getreidepreise stiegen ins Unermessliche. Auch die Obstbäume waren weitgehend erfroren, einen Kartoffelanbau gab es noch nicht. Die geschwächten Körper der hungernden Menschen boten keinen Widerstand.

So brach zu Beginn des Jahres 1709 zugleich in verschiedenen grenznahen Teilen Masurens und des nordöstlichen Preußens die Pest aus und griff trotz verordneter Isolierung der betroffenen Orte in rasender Geschwindigkeit um sich: Zwischen Weichsel und Memel begann das große Sterben in einem vorher nie gekannten Ausmaß.

Königsberg war in den ersten Monaten des Jahres 1709 noch von der Seuche verschont geblieben. Ein aus Regierungsmitgliedern und Ärzten gebildetes Sanitätskolleg hatte strenge Edikte erlassen – so ein Handelsverbot mit dem „verpesteten“ Danzig –, aber im August zeigten sich erste Krankheitsfälle auf dem Steindamm und dem Haberberg. Im September brach die Seuche dann mit voller Wucht aus. Die vor den Toren errichteten Pest­häuser reichten bald nicht mehr aus, die Erkrankten mussten in ihren Wohnungen verbleiben. Was das bei den beengten Wohnverhältnissen bedeutete, kann man sich heute nicht mehr vorstellen. In Königsberg herrschten im wahrsten Sinne „Pestilenz und Höllen­stank“ und damit begann auch das große Schweigen, das sich über die lebensfrohe Stadt wie ein Leichentuch legte. Nur die Kirchen standen offen, denn man wollte dem Verkehr der verzweifelten Seelen mit ihrem Gotte kein Hindernis bereiten – so in der Sprache des Chronisten. In der „Geschichte der Königl. Haupt- und Residenzstadt Königsberg in Preußen“ von Richard Armstedt sind diese grauenvollen Zustände dokumentiert:

„Jeder Umgang mit den Kranken war bei Todesstrafe verboten, keine liebende Hand durfte Linderung bringen, schon die Krankheit zerriss die Familienbande. Erst wenn die Schatten der Nacht Straßen und Plätze deck­ten und nur die Pestfeuer ihren lodernden Schein zum Himmel warfen, begannen Menschenpflicht und Nächstenliebe ihre Tätigkeit. Pestträger, Pestärzte und Pestprediger walteten ihres schweren Amtes, bekleidet mit wachsleinenen und durch Pestessig gereinigten Gewändern, in der Hand die Glocke, um die Gesunden vor der verderblichen Begegnung zu warnen. Die Pestträger durchsuchten die infizierten Häuser und nahmen die Toten mit. War ein Haus ausgestorben, wurde es vernagelt und mit großen weißen Kreuzen versehen, alle getragenen Sachen wurden verbrannt.“

Wenn das traurige Geschäft der Pestträger eine Stunde nach Mitternacht beendet war, begannen Ärzte und Geistliche ihre Besuche bei den noch Lebenden. Sie brachten Medizin und Lebensmittel und suchten durch den Trost die Verzweifelten aufzurichten. Aber im Schatten der Nacht bewegten sich auch andere Gestalten durch die Straßen: die Leichenfledderer, denen die Gier die Angst vor dem Tod nahm. Der doch auf sie lauerte, wenn sie gefasst wurden. Das belegt eine Verordnung des Königsberger Magistrats vom Oktober 1709:

„Weil es sich ausgewiesen, dass des Abends Handwerksleute in Mänteln vermummt, die Vorbeigehenden häufig überfallen und ihnen die Almosen mit Gewalt abnehmen sowie in die infizierten Häuser eindringen, auch andere Gottlosigkeiten desto freier verrichten, weil solche Delinquenten meinen, dass man sie nicht bestrafen könnte, wo man nicht die Gefängnisse durch sie anstecken wollte, so haben wir insonderheit für sehr nützlich befunden, solche Verbrecher in das Pesthaus zu bringen und daselbst zur Verrichtung der unflätigen Arbeiten als Wegbringen der Exkremente, Zumachen der Gräber und sonst pro qualitate ihres Verbrechens bestrafen lassen …“

Erst am Morgen, wenn die Ärzte die Kranken versorgt, die Geistlichen sie getröstet hatten, wagten sich die Gesunden auf die Straßen. Die Geschäfte wurden mit größter Vorsicht abgewickelt, das Geld musste in eine mit Pestessig gefüllte Schale gelegt werden. Aber alle Maßnahmen nützten nichts, das große Sterben ging weiter. Als im Oktober die Zahl der wöchentlich Verstorbenen auf über 600 stieg, begann die Flucht der Behörden und vieler Bürger aus der Stadt, vor allem nach Wehlau und Brandenburg.

Die Geflüchteten bewirkten die völlige Absperrung Königsbergs von der Außenwelt. Eine Doppelkette von Landmiliz bildete einen Ring um die Stadt, vor drei Toren wurden in der Nähe der Hochgerichte so genannte „Galgenmärkte“ errichtet. Zwischen doppelten Schranken standen Soldaten, die auf einem Brett den Bürgern und Bauern Ware und Geld zuschoben, dabei wurden oft beide Seiten von den Soldaten geprellt. Das Schlimmste aber war, dass hier zwischen stinkenden Schindergruben und Gehängten mit Lebensmitteln gehandelt wurde. Diese unbeschreiblichen Zustände ließen den Bürgermeister der Altstadt so wütend werden, dass er in einem Pestepos Gott und die Welt anklagte und seiner geliebten Stadt zurief: „O denke doch daran, lass deine Kinder wissen, ja, lass die Nachwelt sehn, was man aus dir gemacht!“ Endlich fanden die Bitten der Königsberger Bürger beim König Gehör, und er hob am 21. Dezember die Sperre auf.

Mit dem Abflauen der Seuche begann wieder das Leben in der Stadt, die mit über 9300 Toten fast ein Viertel ihrer Bürger verloren hatte. Hauptsächlich traf es die ärmere Bevölkerung, die durch schlechte Wohnverhältnisse und mangelhafte Ernährung auch für andere Seuchen wie Ruhr und Cholera besonders anfällig war. Bei den Wohlhabenden machte sich nach dem Abklingen der Großen Pest eine andere Seuche bemerkbar: die Lebensgier, die zu einem Verfall alter Bürgersitten führte, so dass von den Behörden wieder neue Erlasse erfolgten „gegen das unmäßige Zechen, Fressen und Saufen“!

Zwar war die Pest in Königsberg im Frühjahr 1710 erloschen, aber im weiten Land wütete sie erbarmungslos weiter. Allein im nördlichen Ostpreußen – damals Preußisch Lithauen – wurden 30000 Menschen durch die Seuche dahingerafft, das schon dünn besiedelte Land wurde menschenleer. Die Pest fand ihren Weg auch zu den einsamsten Katen. Von den in Ostpreußen „wüst“ gewordenen 10000 Höfen lagen 8000 in diesem Grenzgebiet. Die Städte wurden menschenleer, allein in Stallupönen starben 1600 Menschen. Die „Herren Doctores“ standen dem Schwarzen Tod fast hilflos gegenüber, sie griffen immer häufiger zu dem starken Insterburgischen Bier, wie aus einem Bericht des Amtes Insterburg zu entnehmen ist, „doch sind sie trotz alledem nicht zur Trunkenheit gekommen“.

Hinter den nüchternen Zahlen in den alten Chroniken und Kirchenbüchern steht ein kaum zu beschreibendes Elend. So ist in der Kirchenrechnung des Dorfes Eckersberg vermerkt: „Eckersberg ausgestorben. Tuchlinnen ausgestorben. Sastroßnen verpestet gewesen ..., Dombrowken mehrteils ausgestorben, Gregersdorf: verpestet gewesen, Drosdowen: verpestet gewesen.“ Manche Ortschaften wurden nicht wieder aufgebaut wie das einst „ansehnliche“ Dorf Dobeln, das bis auf zwei Bauern vollständig ausstarb, die sich dann auch zur Auswanderung entschlossen. Spätere Generationen mieden dieses Gelände, es soll dort „gespukt“ haben. Das wusste man auch in anderen Orten zu erzählen, wo die Seuche gewütet hatte.

Viele ostpreußische Sagen und überlieferte Berichte haben mit der Großen Pest zu tun, sie hat auch Eingang in die Literatur gefunden wie in dem berühmten Gedicht „Die Frauen von Nidden“ von Agnes Miegel. Allerdings dürfte die Pest nicht mit den Elchen über das Haff geschwommen sein, sondern ist über die Nehrungsstraße oder mit einem Boot gekommen. Vielleicht waren es wirklich die „Pestmänner“ gewesen, von denen noch in unserer Zeit berichtet wurde. Schwarz verhüllte Gestalten, die den Pfarrer des kleinen Nehrungsdorfes zwangen, mitten in der Nacht eine Trauung in der Kirche vorzunehmen. Mit verbundenen Augen, aber er fühlte, „dass die Hände des Brautpaares kalt wie Eis und die Ringe heiß wie rotes Eisen“ waren. Als der Pfarrer wieder von den schwarzen Männern in sein Haus gebracht worden war, hörte er die Sterbeglocke läuten. Er wagte einen Blick aus dem Fenster und sah auf dem Haff einen großen Kahn mit schwarzen Segeln und einem Totenkopf auf dem Wimpel, in den schwarz gekleidete, verschleierte Gestalten stiegen. Das Boot legte ab und obgleich es windstill war, verschwand es schnell im Dunkel der Haffnacht. Der nächste Tag war ein Sonntag, und als der Pfarrer mit seiner Gemeinde die Kirche betrat, stand da ein offener Sarg mit einer toten Braut, die mit Kranz und Schleier und einem eisernen Ring geschmückt war. Da hielt der Pfarrer die Totenfeier, und die Fischer begruben die Braut, die niemand gekannt hat. Von der Nacht an war die Pest im Dorf und alle Menschen mussten sterben. So erzählt die Sage, und sie soll für viele alte Überlieferungen aus der Zeit der Großen Pest stehen, die bis zu dem großen Orlog 1945, der Tod, Verschleppung und Vertreibung brachte, als die größte Katastrophe galt, die Preußen je getroffen hatte.            Ruth Geede

Foto: „Die Pest legt sich über die Kurische Nehrung“ aus dem Zyklus „Die Frauen von Nidden“ von Helmut Heine            Bild: privat


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