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13.02.10 / Aktivierung ist entscheidend / Das System der Hartz-IV-Versorgung muss reformiert werden – »Gegenleistung für staatliche Unterstützung«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06-10 vom 13. Februar 2010

Aktivierung ist entscheidend
Das System der Hartz-IV-Versorgung muss reformiert werden – »Gegenleistung für staatliche Unterstützung«

Kaum eine Debatte in Deutschland ist so unübersichtlich wie diejenige über die staatlichen Leistungen für Langzeitarbeitslose. Fest steht: Durch untragbar hohe Kosten und zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind bei „Hartz IV“ größere Reformen notwendig.

„Weg mit Hartz IV!“ war einer der Schlachtrufe der Linkspartei, als sie noch PDS hieß und sich mit Oskar Lafontaine anschickte, nach Westen zu expandieren. Was im Eifer des Gefechts übersehen wurde: Ein großer Teil der heute 6,5 Millionen Hartz-IV-Bezieher würde lange Gesichter machen, wenn das alte System wiedereingeführt würde. Denn für Arbeitslosen- und Sozialhilfe gab der Staat in den letzten Jahren vor dieser Reform jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro aus, danach waren es zunächst fast 40 Milliarden Euro. Selbst in den Boomjahren 2007 und 2008, als der Arbeitsmarkt in weit besserer Verfassung war als vor dieser Reform, sank dieser Betrag nicht wieder nennenswert unter 35 Milliarden. Kurz: Was von Gerhard Schröder als Spargesetz geplant war und von Millionen Betroffenen auch so empfunden wurde, wurde im Ergebnis zu einem der größten Leistungsgesetze in der Geschichte der Bundesrepublik. Mehr als zehn Prozent des Bundeshaushalts gehen dafür drauf.

Denn zu den fiskalischen Kosten kommen Verwaltungskosten von zehn Milliarden Euro, die Sozialgerichte stöhnen unter der Prozessflut, die Mitarbeiter in den Vermittlungsstellen der Arbeitsagenturen (Neudeutsch: „Jobcenter“) klagen über 40 Gesetzesänderungen in fünf Jahren.

Reformdruck kommt von allen Seiten: Im zerrütteten Bundeshaushalt müssen in den Jahren ab 2011 weit über 50 Milliarden Euro pro Jahr eingespart werden − und einer der wenigen Bereiche, wo Ausgaben nicht durch langfristige Verpflichtungen festliegen, ist eben Hartz IV.

Dazu kommt eine doppelte Vorgabe aus Karlsruhe: Schon im Dezember 2007 verpflichtete das Verfassungsgericht den Gesetzgeber, die doppelte Zuständigkeit der Arbeitsagenturen und der Kommunen für die „Jobcenter“ bis Ende 2010 neu zu ordnen. Nun kam in dieser Woche das Urteil über die Höhe der Sätze für Kinder hinzu: Die Berechnung sei falsch, die Sätze zu niedrig. Auch hier muss der Gesetzgeber bis zum Jahresende tätig werden.

Angesichts von 1,7 Millionen Kindern in Hartz-IV-Familien bedeutet dieses Urteil unmittelbare Mehrausgaben des Bundes in Milliardenhöhe. Der Soziologe und Ökonom Gunnar Heinsohn warnt eindringlich vor einem weiteren Problem: „Charles Murray formulierte 1984 sein heute berühmtes Gesetz, dass Versorgungsleistungen an Sozialhilfemütter ihre Kinder nicht besserstellen, sondern lediglich immer mehr von Sozialhilfe abhängige Mütter und Kinder hervorbringen.“ Der inzwischen vielfach bestätigte Mechanismus hat zwei Hauptursachen: Mitnahmeeffekte bei Geringverdienern, für die es sich bei entsprechenden staatlichen Leistungen nicht mehr lohnt zu arbeiten, sowie zusätzliche Geburten in dieser Gruppe. Heinsohn will den betroffenen Eltern keinen Vorwurf machen, denn diese „handeln genauso rational wie andere Subventionsempfänger auch. Wenn mir der Staat Geld anbietet, wäre ich dumm, es nicht zu nehmen.“ Der schwarze Peter liege deswegen beim Gesetzgeber, der seine Sozialgesetze so ausgestalten müsse, dass bei aller notwendigen Absicherung gegen materielle Not keine Anreize zum Nichtstun geschaffen werden.

Diese Einsicht ist zwar nicht neu und stand geradezu am Anfang der Debatte über die Hartz-Reformen. Allein, es hapert mit der Umsetzung. „Wer Arbeitslosengeld II bezieht, gering qualifiziert ist und Kinder hat, steht einschließlich der Zuschläge häufig finanziell besser da als der Nachbar mit schlecht bezahlter Vollzeitstelle“, erklärte der Chef der Fünf Wirtschaftsweisen Wolfgang Franz. Wer aber mit beispielsweise 160 Stunden Arbeit im Monat am Ende nur 200 Euro mehr in der Tasche hat, dem bleiben als Mehrverdienst „netto“ nur gut 1,20 Euro in der Stunde.

Bei dieser Rechnung ist, wohlgemerkt, der in der Praxis häufige Fall noch nicht berücksichtigt, dass Hartz-IV-Empfänger schwarz etwas hinzuverdienen. Es muss ja  nicht gleich der große Betrug einer Vollzeitbeschäftigung sein. Dieser ist auch nicht mehr so einfach wie früher, weil die Leistungsempfänger öfter als vor der Reform beispielsweise zu Fortbildungen herangezogen werden. Weit verbreitet sind hingegen die kleinen Schiebereien, dass Gelegenheitsarbeiten schwarz erledigt werden oder den Arbeitsagenturen zu hohe Mietzahlungen gemeldet werden. Angesichts der schieren Masse der Fälle, der meist kleinen Beträge und einer milden Sozialgerichtsbarkeit scheint hiergegen bisher kein Kraut gewachsen zu sein.

Experten weisen darauf hin, dass es entscheidend ist, Stütze-Empfänger aktiv zu halten. Wer notfalls zur gemeinützigen Arbeit auf Ein-Euro-Basis herangezogen wird, gewöhnt sich nicht an spätes Aufstehen, hat keine Zeit zur Schwarzarbeit oder Schlimmerem und hat sogar, weil er unter die Leute kommt, die höhere Lebensqualität. „Wir müssen jedem Hartz IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertiger Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung“, drängt Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU). Schon das geltende Recht lässt dies zu, nur wird es nicht konsequent angewendet. Alle vergleichenden Untersuchungen bestätigen aber den Nutzen der konsequenten Aktivierung der Erwerbslosen. Nicht zuletzt ist diese trotz aller Schwierigkeiten viel eher durchsetzbar als die Kontrolle von Millionen Menschen, ob sie etwa beim Schonvermögen oder bei kleinen Zuverdiensten getrickst haben.

Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz fordert darum eine Kombination von erweiterten Zuverdienstmöglichkeiten und niedrigeren Sätzen: Bei um 30 Prozent gekürzten Regelsätzen sollten den Hartz-IV-Beziehern die ersten 200 (statt bisher 100) selbstverdienten Euro voll belassen werden, weitere Zuverdienste, die am ersten Arbeitsmarkt verdient wurden, zu 50 statt bisher 20 Prozent. „Gibt es auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitsplätze, sollen Kommunen und Wohlfahrtsverbände ,Arbeitsgelegenheiten‘ einrichten, bei denen man aber maximal das ungekürzte Arbeitslosengeld II erzielen kann“, so Franz. Der Sozialstaat soll damit allerdings nicht demontiert werden und am Ende sollte niemand schlechter stehen als bisher: „Bekommt der Arbeitslose selbst dort keine Arbeit, bleibt ihm der ungekürzte Regelsatz erhalten.“           Konrad Badenheuer

Foto: Vorbildlich: Die Stadt Halle zieht Hartz-IV-Empfänger zum Schneeräumen heran.        Bild: action press


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